Der europäische Amerikaner
Die Berufung Antony Blinkens zum designierten US-Außenminister sendet ein starkes Signal an die Verbündeten in Europa
Der gewählte US-Präsident und sein künftiger Außenminister sehen die Welt mit denselben Augen. Das mag auch daran liegen, dass Antony Blinken seit der Jahrtausendwende ein enger Wegbegleiter Joe Bidens ist. Erst als Stabschef im mächtigen Auswärtigen Komitee des US-Senats, dem Biden vorstand, dann bei dessen Anlauf auf die Präsidentschaft 2008 und schließlich als rechte Hand des Vizepräsidenten.
Als designierter Chefdiplomat Amerikas wartet auf den pragmatischen Zentristen die größte Herausforderung seiner schillernden Laufbahn. Ihm fällt die Aufgabe zu, nach vier Jahren „America First“unter Donald Trump die USA aus der Isolation in die Weltgemeinschaft
zurückzuführen. Erklärte Prioritäten des überzeugten Vertreters einer multilateralen Weltordnung sind die Rückkehr in das Pariser Klimaabkommen, den Atomvertrag mit Iran und die Weltgesundheitsorganisation WHO. „Für die großen Probleme, denen wir uns als Land und Planet ausgesetzt sehen – ob es der Klimawandel, die Pandemie oder die Verbreitung von schlimmen Waffen sind – gibt es keine unilateralen Lösungen“, sagte Blinken im zurückliegenden Wahlkampf, in dem er Biden als außenpolitischer Berater zur Seite stand.
Nach vier Jahren Trumpismus sind dies neue Töne aus den USA, die unter Biden ihre Rolle als Führungsmacht der freien Welt zurückverdienen will. Wozu eine Wiederbelebung der engen transatlantischen
Joe Bidens langjähriger Weggefährte Antony Blinken soll der neue US-Chefdiplomat werden. Zusammenarbeit mit den zuletzt verstoßenen Freunden in Europa gehört. Blinken spricht nicht nur fließend Französisch, er kennt aus seiner Zeit als Obamas stellvertretender Sicherheitsberater und Bill Clintons Berater für Europa im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) seine Gegenüber auf der anderen Seite des Atlantiks.
„Zögerlicher Interventionist“Einen „pro-europäischeren“Außenminister als Blinken könnte sich der alte Kontinent nicht wünschen. Nach seiner Zeit in Paris, wo er mit seiner Mutter und deren zweiten Ehemann, dem weltberühmten Anwalt Samuel Pisa, als Jugendlicher lebte, beschäftigte er sich in seiner Doktorarbeit an der Harvard University mit der Koexistenz zwischen den USA und Russland. Sein
Stiefvater, der in Dachau und Auschwitz wie ein Wunder den Holocaust überlebte, schärfte Tonys moralisches Gewissen und machte ihn zu einem entschlossenen Kämpfer gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenrechtsverletzungen. Aus dieser Motivation heraus versteht sich Blinken als „zögerlicher Interventionist“, der in ganz engen Grenzen den Einsatz amerikanischer Militärmacht nicht ausschließt.
Ein Falke ist der Zentrist mit dem Hang zum Musischen nicht. Im Gegenteil gilt er als umgänglich und als einer, der die Zwischentöne schätzt. In jedem Fall darf sich Europa auf diesen Minister freuen, der Amerikas traditionelle Verbündeten als „Partner der ersten, nicht der letzten Wahl“sieht.