„Europa hat den Goldstandard gesetzt“
Josef Aschbacher von der Europäischen Weltraumagentur über die steigende Bedeutung der kommerziellen Erdbeobachtung
Die Beobachtung der Erde mithilfe von Satelliten gewinnt zunehmend an Bedeutung – in der Klimaforschung, aber auch in kommerziellen Anwendungen. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“spricht Josef Aschbacher, der Direktor des Erdbeobachtungsprogrammes bei der Europäischen Weltraumagentur ESA, über die europäische Vorreiterrolle, den Beitrag Luxemburgs und die gescheiterte Satellitenmission der vergangenen Woche.
Josef Aschbacher, wie kann die Erdbeobachtung via Satellit helfen, den Klimawandel einzudämmen?
Das ist für unsere Disziplin eine ganz existenzielle Frage. Das Global Climate Observing System hat 50 Parameter definiert, die relevant sind, um die Entwicklung der klimatischen Veränderungen zu messen. Davon kann man die Hälfte entweder ausschließlich oder am besten aus dem Weltraum beobachten. Beispiele sind das Abschmelzen des Polareises,
Wenn die Wahrheit gezeigt wird, ist das bitter für manche Länder.
die Überwachung der Temperaturen der Ozeane, der Salzgehalt der Meere und die Entwicklung der Strömungsverhältnisse. Dafür braucht man dann die entsprechenden Satelliten.
Sind die Satelliten, die dafür verwendet werden, auf Klimadaten spezialisiert oder gibt es noch andere, zum Beispiel kommerzielle, Anwendungsbereiche?
Die meisten sind vielseitig verwendbar. Zum Beispiel wird der Satellit Sentinel-2 verwendet, um klimarelevante Parameter zu bestimmen, wie zum Beispiel die Abholzung des Regenwaldes. Mit dem gleichen Satelliten kann man aber auch die landwirtschaftliche Produktion überwachen, den Anbau von Weizen, Hafer, Kartoffeln, Sonnenblumen und so weiter. Das heißt, die Satelliten sind aufgrund der Sensoren, die sie an Bord haben, multifunktional. Allerdings spielt die Klimafrage bei fast allen unseren Satelliten eine ganz wichtige Rolle.
Das wichtigste europäische Projekt in diesem Bereich ist Copernicus, das mit „Sentinel“auf eine neue Familie von Erdbeobachtungs-satelliten setzt. Worum geht es dabei?
Copernicus ist das derzeit größte Erdbeobachtungsprogramm der Welt. Während in anderen Bereichen der Raumfahrt die USA und China die Schlagzeilen beherrschen, hat Europa hier die Führungsrolle übernommen und den Goldstandard gesetzt. Die Daten, die wir über die Satellitenkonstellationen sammeln, stellen wir über unseren Datenhub weltweit zur Verfügung. Um die Ausmaße mal zu veranschaulichen: Derzeit verteilen wir jeden Tag etwa 300 Terabyte
an Daten über die ganze Welt.
Man kann sich vorstellen, dass das politisch mitunter ein relativ sensibles Thema sein kann, wenn Staaten nicht wollen, dass Satelliten über ihr Gebiet fliegen und Aufnahmen machen. Ist das ein Problem bei Ihrer Arbeit?
Natürlich, wenn dann die Wahrheit gezeigt wird, ist sie manchmal bitter für manche Länder; zum Beispiel die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes oder die starke Luftverschmutzung über Peking. Da kriegt man schon mal die Frage zu hören, ob man das jetzt wirklich so ins Netz stellen muss. Aber davon müssen wir uns unbeeindruckt zeigen, weil was wir aufzeigen, sind Fakten. Wir verändern die Fakten nicht. Alle Daten sind gratis verfügbar, von allen Gebieten der Welt und jeder kann sie herunterladen und für sich verwenden.
Für wen sind die Daten interessant?
Etwas mehr als die Hälfte der Daten wird von öffentlichen Institutionen und Regierungsstellen verwendet, um Einblicke zum Beispiel in landwirtschaftliche Produktion oder Luftqualität zu bekommen. Es gibt aber auch mehr und mehr kommerzielle Nutzer. Das ist ein Segment, das wir sehr stark fördern. So hat PricewaterhouseCoopers im Auftrag der Europäischen Kommission eine Studie erstellt, die zu dem Ergebnis kam, dass jeder in Copernicus investierte Euro etwa zehn Euro zurück in die Wirtschaft bringt. Unternehmen verknüpfen zum Beispiel Daten aus der Erdbeobachtung mit Computermodellen und Künstlicher Intelligenz, um bessere Entscheidungen ableiten zu können.
Können Sie Beispiele für kommerzielle Anwendungen nennen?
Daten aus der Landwirtschaft können nicht nur benutzt werden, um den Anbau von Feldfrüchten zu optimieren, sondern auch von der Finanzwirtschaft wie zum Beispiel beim „Commodity Trading“: Wenn ich weiß, wie die Weizenernte sich in Russland entwickelt, kann ich ermitteln, wie sich die Preise entwickeln. Ebenso kann man beispielsweise aus den Daten die weltweiten Lagerbestände von Ölreserven ableiten. In der Schifffahrt können Informationen zur
Strömungslage helfen, die optimale Route zu bestimmen und so Treibstoff und Zeit zu sparen.
Beteiligen sich Firmen aus Luxemburg an Copernicus?
Es sind viele Firmen aus Luxemburg involviert, zum Beispiel Spire oder Luxspace. Das sind meistens Unternehmen, deren Geschäft in der Auswertung von Daten besteht. Luxemburger Firmen spielen ja in der Telekommunikation, die bereits sehr stark kommerzialisiert ist, heute schon eine wichtige Rolle. Die Erdbeobachtung wird der nächste Bereich sein, in dem eine breit angelegte Kommerzialisierung stattfindet. Das entwickelt sich in Luxemburg sehr gut. Zum Beispiel hat sich die amerikanische Firma Spire für Luxemburg als Europahauptquartier entschieden, weil das Land ein gutes Umfeld für den Sektor bietet.
In der vergangenen Woche gab es einen Rückschlag für die Erdbeobachtungspläne der ESA. Eine „Vega“-Rakete sollte eigentlich zwei Satelliten ins All bringen, ist dann aber nach dem Start vom Weltraumbahnhof in Kourou in FranzösischGuayana vom Kurs abgekommen und in der Erdatmosphäre verbrannt. Was ist schiefgelaufen?
Das waren natürlich sehr schlechte Nachrichten für uns. Das Unglück ist nach dem Zünden der letzten Stufe passiert. Erste Untersuchungen weisen darauf hin, dass es ein Problem bei der Integrierung des Düsenaktivierungssystems gab, wodurch die Rakete nicht in die richtige Flugbahn kam. Das hat zum Absturz geführt. Die einzig gute Nachricht ist, dass es ein Fall von menschlichem Versagen ist, und kein technischer Fehler in der Rakete. Allerdings müssen wir zusehen, dass wir die Qualitätskontrolle verbessern, damit solche Dinge nicht wieder passieren können.
Luxemburg bietet ein gutes Umfeld für den Sektor.
Kann man die Höhe des Schadens beziffern?
Es waren ja zwei Satelliten an Bord, und ich kann nur was zu SEOSat sagen, der von der ESA zusammen mit Spanien gebaut wurde. Hier sprechen wir über einen Schaden von rund 140 Millionen Euro. Wenn man die Gesamtkosten beispielsweise für den Raketenstart mit einberechnet, sind es knapp über 200 Millionen Euro. Das ist natürlich sehr bedauerlich, aber wir haben der spanischen Regierung angeboten, dass wir den Satelliten nachbauen können, vielleicht dann in einer technisch verbesserten Version.