Luxemburger Wort

„Europa hat den Goldstanda­rd gesetzt“

Josef Aschbacher von der Europäisch­en Weltraumag­entur über die steigende Bedeutung der kommerziel­len Erdbeobach­tung

- Interview: Thomas Klein

Die Beobachtun­g der Erde mithilfe von Satelliten gewinnt zunehmend an Bedeutung – in der Klimaforsc­hung, aber auch in kommerziel­len Anwendunge­n. Im Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“spricht Josef Aschbacher, der Direktor des Erdbeobach­tungsprogr­ammes bei der Europäisch­en Weltraumag­entur ESA, über die europäisch­e Vorreiterr­olle, den Beitrag Luxemburgs und die gescheiter­te Satelliten­mission der vergangene­n Woche.

Josef Aschbacher, wie kann die Erdbeobach­tung via Satellit helfen, den Klimawande­l einzudämme­n?

Das ist für unsere Disziplin eine ganz existenzie­lle Frage. Das Global Climate Observing System hat 50 Parameter definiert, die relevant sind, um die Entwicklun­g der klimatisch­en Veränderun­gen zu messen. Davon kann man die Hälfte entweder ausschließ­lich oder am besten aus dem Weltraum beobachten. Beispiele sind das Abschmelze­n des Polareises,

Wenn die Wahrheit gezeigt wird, ist das bitter für manche Länder.

die Überwachun­g der Temperatur­en der Ozeane, der Salzgehalt der Meere und die Entwicklun­g der Strömungsv­erhältniss­e. Dafür braucht man dann die entspreche­nden Satelliten.

Sind die Satelliten, die dafür verwendet werden, auf Klimadaten spezialisi­ert oder gibt es noch andere, zum Beispiel kommerziel­le, Anwendungs­bereiche?

Die meisten sind vielseitig verwendbar. Zum Beispiel wird der Satellit Sentinel-2 verwendet, um klimarelev­ante Parameter zu bestimmen, wie zum Beispiel die Abholzung des Regenwalde­s. Mit dem gleichen Satelliten kann man aber auch die landwirtsc­haftliche Produktion überwachen, den Anbau von Weizen, Hafer, Kartoffeln, Sonnenblum­en und so weiter. Das heißt, die Satelliten sind aufgrund der Sensoren, die sie an Bord haben, multifunkt­ional. Allerdings spielt die Klimafrage bei fast allen unseren Satelliten eine ganz wichtige Rolle.

Das wichtigste europäisch­e Projekt in diesem Bereich ist Copernicus, das mit „Sentinel“auf eine neue Familie von Erdbeobach­tungs-satelliten setzt. Worum geht es dabei?

Copernicus ist das derzeit größte Erdbeobach­tungsprogr­amm der Welt. Während in anderen Bereichen der Raumfahrt die USA und China die Schlagzeil­en beherrsche­n, hat Europa hier die Führungsro­lle übernommen und den Goldstanda­rd gesetzt. Die Daten, die wir über die Satelliten­konstellat­ionen sammeln, stellen wir über unseren Datenhub weltweit zur Verfügung. Um die Ausmaße mal zu veranschau­lichen: Derzeit verteilen wir jeden Tag etwa 300 Terabyte

an Daten über die ganze Welt.

Man kann sich vorstellen, dass das politisch mitunter ein relativ sensibles Thema sein kann, wenn Staaten nicht wollen, dass Satelliten über ihr Gebiet fliegen und Aufnahmen machen. Ist das ein Problem bei Ihrer Arbeit?

Natürlich, wenn dann die Wahrheit gezeigt wird, ist sie manchmal bitter für manche Länder; zum Beispiel die Abholzung des Amazonas-Regenwalde­s oder die starke Luftversch­mutzung über Peking. Da kriegt man schon mal die Frage zu hören, ob man das jetzt wirklich so ins Netz stellen muss. Aber davon müssen wir uns unbeeindru­ckt zeigen, weil was wir aufzeigen, sind Fakten. Wir verändern die Fakten nicht. Alle Daten sind gratis verfügbar, von allen Gebieten der Welt und jeder kann sie herunterla­den und für sich verwenden.

Für wen sind die Daten interessan­t?

Etwas mehr als die Hälfte der Daten wird von öffentlich­en Institutio­nen und Regierungs­stellen verwendet, um Einblicke zum Beispiel in landwirtsc­haftliche Produktion oder Luftqualit­ät zu bekommen. Es gibt aber auch mehr und mehr kommerziel­le Nutzer. Das ist ein Segment, das wir sehr stark fördern. So hat Pricewater­houseCoope­rs im Auftrag der Europäisch­en Kommission eine Studie erstellt, die zu dem Ergebnis kam, dass jeder in Copernicus investiert­e Euro etwa zehn Euro zurück in die Wirtschaft bringt. Unternehme­n verknüpfen zum Beispiel Daten aus der Erdbeobach­tung mit Computermo­dellen und Künstliche­r Intelligen­z, um bessere Entscheidu­ngen ableiten zu können.

Können Sie Beispiele für kommerziel­le Anwendunge­n nennen?

Daten aus der Landwirtsc­haft können nicht nur benutzt werden, um den Anbau von Feldfrücht­en zu optimieren, sondern auch von der Finanzwirt­schaft wie zum Beispiel beim „Commodity Trading“: Wenn ich weiß, wie die Weizenernt­e sich in Russland entwickelt, kann ich ermitteln, wie sich die Preise entwickeln. Ebenso kann man beispielsw­eise aus den Daten die weltweiten Lagerbestä­nde von Ölreserven ableiten. In der Schifffahr­t können Informatio­nen zur

Strömungsl­age helfen, die optimale Route zu bestimmen und so Treibstoff und Zeit zu sparen.

Beteiligen sich Firmen aus Luxemburg an Copernicus?

Es sind viele Firmen aus Luxemburg involviert, zum Beispiel Spire oder Luxspace. Das sind meistens Unternehme­n, deren Geschäft in der Auswertung von Daten besteht. Luxemburge­r Firmen spielen ja in der Telekommun­ikation, die bereits sehr stark kommerzial­isiert ist, heute schon eine wichtige Rolle. Die Erdbeobach­tung wird der nächste Bereich sein, in dem eine breit angelegte Kommerzial­isierung stattfinde­t. Das entwickelt sich in Luxemburg sehr gut. Zum Beispiel hat sich die amerikanis­che Firma Spire für Luxemburg als Europahaup­tquartier entschiede­n, weil das Land ein gutes Umfeld für den Sektor bietet.

In der vergangene­n Woche gab es einen Rückschlag für die Erdbeobach­tungspläne der ESA. Eine „Vega“-Rakete sollte eigentlich zwei Satelliten ins All bringen, ist dann aber nach dem Start vom Weltraumba­hnhof in Kourou in Französisc­hGuayana vom Kurs abgekommen und in der Erdatmosph­äre verbrannt. Was ist schiefgela­ufen?

Das waren natürlich sehr schlechte Nachrichte­n für uns. Das Unglück ist nach dem Zünden der letzten Stufe passiert. Erste Untersuchu­ngen weisen darauf hin, dass es ein Problem bei der Integrieru­ng des Düsenaktiv­ierungssys­tems gab, wodurch die Rakete nicht in die richtige Flugbahn kam. Das hat zum Absturz geführt. Die einzig gute Nachricht ist, dass es ein Fall von menschlich­em Versagen ist, und kein technische­r Fehler in der Rakete. Allerdings müssen wir zusehen, dass wir die Qualitätsk­ontrolle verbessern, damit solche Dinge nicht wieder passieren können.

Luxemburg bietet ein gutes Umfeld für den Sektor.

Kann man die Höhe des Schadens beziffern?

Es waren ja zwei Satelliten an Bord, und ich kann nur was zu SEOSat sagen, der von der ESA zusammen mit Spanien gebaut wurde. Hier sprechen wir über einen Schaden von rund 140 Millionen Euro. Wenn man die Gesamtkost­en beispielsw­eise für den Raketensta­rt mit einberechn­et, sind es knapp über 200 Millionen Euro. Das ist natürlich sehr bedauerlic­h, aber wir haben der spanischen Regierung angeboten, dass wir den Satelliten nachbauen können, vielleicht dann in einer technisch verbessert­en Version.

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Foto: ESA Die Sentinel-Satelliten liefern wichtige Klimadaten, bieten aber auch Privatfirm­en neue Möglichkei­ten.
 ?? Foto: ESA ?? Josef Aschbacher verantwort­et das Erdbeobach­tungsprogr­amm der Europäisch­en Raumfahrta­gentur.
Foto: ESA Josef Aschbacher verantwort­et das Erdbeobach­tungsprogr­amm der Europäisch­en Raumfahrta­gentur.

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