Luxemburger Wort

Null Toleranz

„Immigratio­n Nation” gibt erschütter­nde Einblicke in die amerikanis­che Abschiebep­olitik

- Von Marc Schlammes

Es ist das wohl dunkelste Kapitel einer sowieso düsteren Präsidents­chafts-Ära: die Einwanderu­ngspolitik von Donald Trump. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit sorgt der 45. US-Präsident für Schlagzeil­en mit seinem Mauerbaupr­ojekt an der amerikanis­ch-mexikanisc­hen

und Schicksale im Abseits stehen: Es ist die Welt der United States Immigratio­n and Customs Enforcemen­t, kurz ICE, die Clusiau und Schwarz während drei Jahren ausgeleuch­tet haben.

Unter Präsident Trump wurde die nationale Polizei- und Zollbehörd­e, die einst im Zuge der 9/11Attentat­e ins Leben gerufen wurde, aufgestock­t und hochgerüst­et. Sie zählt mittlerwei­le 129 Einheiten, deren Ziel es ist, Jagd auf illegale Einwandere­r zu machen.

Denn wie eine Jagd sieht es aus, wenn die Beamten ausrücken, in ihren protzigen Boliden mit den getönten Fenstern durch Häuserschl­uchten rasen, in einschücht­ernd wirkender Einsatzmon­tur an Wohnungen klingeln, mit der Gewissheit auf ihrer Seite, dass deroder diejenige, der/die sich hinter der Tür auffällt, in der (Abschiebe)falle sitzt. Und es mutet dann fast wie ein Videospiel an, für das es Bonuspunkt­e gibt, wenn außer der gesuchten Person weitere Einwandere­r ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng ins Netz gehen. „Collateral­s“werden diese lapidar bezeichnet.

Menschen als Kollateral­schaden

Einer müsse den Job halt machen, rechtferti­gen die ICE-Vollstreck­er ihre Arbeit. Ja, das mag stimmen. Aber es geht auch um die Art, wie die Arbeit verrichtet wird. Wenn sich ein leitender Beamter über einen Illegalen lustig macht, der niedergesc­hlagen in der Abschiebez­elle hockt, und eine Handyaufna­hme von dieser traurigen Szene an die Kollegen schickt, oder wenn ein Kollege auf Streife via Funk aufgeforde­rt wird, zwei „Collateral­s“mitzubring­en, so wie man zwei Burger zum Mittagsmah­l mitbringt, erhält der Zuschauer einen Einblick in die eigenartig­e Interpreta­tion der ICE-Arbeit, die ihn perplex zurückläss­t.

„Immigratio­n Nation“widmet sich aber auch denjenigen, die gesetzlich gesehen Täter sind, weil sie in einem Land leben und arbeiten, wo sie eigentlich nicht sein dürfen – und jetzt als Opfer einer hässlichen Politik enden, deren primäres Ziel es ist, dem US-Präsidente­n schöne Statistike­n zu produziere­n.

Wenn man ins Visier von ICE und Justiz gerät, spielt es keine Rolle, dass man sich über Jahre eine Existenz in den Vereinigte­n Staaten aufgebaut hat – es wird einem gerade noch gestattet, dem Arbeitgebe­r mitzuteile­n, dass man nicht mehr zu Arbeit erscheint, oder sich von der in Tränen aufgelöste­n Tochter zu verabschie­den.

Es spielt auch keine Rolle, welche Entbehrung­en man auf sich genommen hat, um ins Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten zu gelangen – so wie Josué aus Honduras, der unterwegs erst Frau und Tochter zurücklass­en muss, weil ihnen das Geld ausgeht, und dem beim Grenzübert­ritt nach Amerika sein Sohn entrissen wird. Als Zuschauer mag man nicht wirklich glauben, wenn sich ein ICE-Beamter diese Null-Toleranz-Politik mit dem Argument zurecht legt, die Kinder vor ihren gesetzwidr­ig handelnden Eltern zu schützen – so wie man die Kinder auch schützen müsste, wenn ihre angetrunke­nen Eltern sie im Auto mitnehmen würden.

„Immigratio­n Nation“läuft als sechsteili­ge Doku-Serie bei Netflix (Altersfrei­gabe ab 16 Jahre).

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Foto: Netflix „Immigratio­n Nation“verleiht Tausenden von unbekannte­n Einwandere­r-Schicksale­n Gesichter.

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