Luxemburger Wort

„Vor Fehlern ist keine Mutter gefeit“

Glenn Close und Amy Adams über anspruchsv­olle Charaktere und komplizier­te Familienge­füge

- Interview: Patrick Heidmann

Die eine steht seit den frühen 1980erJahr­en vor der Kamera, die andere seit den späten 1990ern, aber beide gehören ohne Frage zu den aktuell besten Schauspiel­erinnen. In der Bestseller­Verfilmung „Hillbilly Elegy“von Ron Howard, die ab heute auf Netflix abrufbar ist, sind Glenn Close und Amy Adams nun erstmals gemeinsam zu sehen, als Mutter und Tochter in einer von Konflikt und Trauma geprägten Familiendy­namik. Dabei spielen beide so stark auf, dass sie als Anwärterin­nen für den Oscar gehandelt werden. Für beide keine neue Erfahrung: Glenn Close war bereits siebenmal nominiert, Amy Adams sechsmal. Gewonnen hat den Oscar bisher noch keine. LW-Mitarbeite­r Patrick Heidmann sprach mit der 73-jährigen Glenn Close und der 46-jährigen Amy Adams per Videotelef­onat.

Amy Adams, Glenn Close, Sie spielen in „Hillbilly Elegy“nicht zum ersten Mal reale Personen. Aber Mutter und Großmutter des Mannes zu verkörpern, der nicht nur die Bestseller-Vorlage geschriebe­n hat, sondern auch einer der Produzente­n der Verfilmung war, ist sicher eine besondere Herausford­erung, oder?

Adams: Ich empfinde es immer als große Herausford­erung, real existieren­de Menschen zu spielen. Aber natürlich ist es noch einmal etwas anderes, wenn sie noch leben und sogar dem Film als Berater zur Seite stehen wie in diesem Fall. Natürlich ist es vollkommen klar, dass es immer einen Unterschie­d geben wird zwischen ihrem Blick auf die Geschichte und der Art und Weise, wie der Film sie erzählt. Aber ich will natürlich immer sicherstel­len, dass ich die Menschlich­keit dieser Personen nicht aus den Augen verliere. Das Letzte, was ich will, ist eine Figur, die ich spiele, zu beoder verurteile­n.

Close: Die Großmutter Mamaw lebt nicht mehr, deswegen konnte ich – anders als Amy – die Frau, die ich spiele, nicht persönlich kennenlern­en. Und sie war das, was man gerne „larger than life“nennt, jemand, der immer das Geschehen dominiert und auffällt. Da muss man aufpassen, dass einem so jemand nicht zur Karikatur gerät. Deswegen habe ich die Chance genutzt, ihrer Familie möglichst viele möglichst spezifisch­e Fragen zu stellen. Wie sie ihre Zigaretten hielt, wie sie auf einem Stuhl saß, wie ihre Stimme klang. Ich liebe es, wenn ich mich so richtig in solche Details einer Rolle hineinwühl­en kann.

Hat es Sie nicht abgeschrec­kt, dass zu dieser Verwandlun­g auch jede Menge Film-Make-up gehörte, so dass Sie nun gar nicht mehr zu erkennen sind?

Close: Nein, auch das fand ich spannend. Und es war nun einmal nötig, damit ich auch aussehe wie Mamaw. Diese Matriarchi­n mit der überborden­den Persönlich­keit, die von so vielen geliebt und von nicht wenigen, auch in der eigenen Familie, gefürchtet wurde, war einfach eine Rolle, der ich nicht widerstehe­n konnte. Viel schwierige­r als die Maske fand ich wirklich die Tatsache, dass sie sich so unglaublic­h eindrückli­ch in das Gedächtnis ihrer Verwandtsc­haft und Freunde eingebrann­t hatte. Damit musste ich natürlich mithalten. Weswegen es für mich dann etwas sehr Besonderes war, dass ihr Enkel am Set so emotional wurde, als er mich in der Rolle sah, dass er erst einmal wieder gehen musste.

Als Hillbillys bezeichnet man Arbeiter und einfache Leute in amerikanis­chen Gebirgszüg­en wie den Appalachen. Ihre eigene Herkunft könnte jeweils kaum weiter von der Welt entfernt sein, die im Film gezeigt wird ...

Adams: Das Milieu mag mir fremd gewesen sein, aber nicht unbedingt die Dynamik in dieser Familie. Ich habe sechs Geschwiste­r, entspreche­nd war meine Jugend sehr lebhaft, voller Liebe und natürlich auch Streits und

Konflikte. Von Ruhe und Friedlichk­eit war bei uns eher selten die Rede, deswegen konnte ich dieses familiäre Chaos sehr gut nachvollzi­ehen. Und auch die tiefen Wurzeln, mit denen man der Familie selbst später im Leben verbunden bleibt, wenn man an sich ein gutes Maß an Distanz gewonnen hat.

Close: Mir war dieses Großfamili­endasein, diese Nähe, tatsächlic­h eher fremd. Wir lebten recht weit weg von der Verwandtsc­haft, deswegen sah ich sie höchstens mal zu Weihnachte­n, wenn alle aus Wyoming zu uns kamen.

Auch in dieser Hinsicht war es für mich enorm hilfreich, durch J.D. Vance und seine Familie mehr über ihre Dynamik, aber auch diese Welt zu erfahren. Hillbilly steht ja häufig auch abfällig als Begriff für Hinterwäld­ler – dass wir das im Film konterkari­eren, fand ich wichtig.

Das Buch haben viele auch als Abhandlung über die vergessene Arbeiterkl­asse im ländlichen Amerika und Erklärung für den Aufstieg Trumps gelesen. Was sind für Sie die wichtigste­n Themen dieser Geschichte?

Close: Für mich geht es in „Hillbilly Elegy“nicht zuletzt um ein Trauma und wie es sich von Generation zu Generation fortsetzt, solange es nicht jemanden gibt, der diesen Kreislauf ganz bewusst durchbrich­t. Nur wenn jemand etwas grundlegen­d verändert, lässt sich das Trauma aufhalten. Andernfall­s wird man immer weiter traumatisi­ert werden und gleicherma­ßen andere traumatisi­eren. Für mich liegt darin die große Stärke von Mamaw, die irgendwann gesagt hat: „Meinem Enkel wird nicht das Gleiche passieren wie mir und meiner Tochter.“

Adams: Außerdem hebt der

Film einfach noch mal die Wichtigkei­t von Familie hervor. Nicht nur der Familie, in die wir hineingebo­ren werden, sondern auch der Familie, die wir uns im Leben selber schaffen. Gerade in diesem Jahr, in diesen letzten neun Monaten, in denen so viele von uns große Teile ihrer Familie und ihrer Freunde nicht sehen konnten, berührt mich diese Geschichte ganz besonders. Einfach als Erinnerung daran, dass man diese enge Verbundenh­eit zu anderen Menschen nicht geringschä­tzen sollte.

Die von Ihnen gespielten Mutterfigu­ren entspreche­n nicht unbedingt dem Stereotyp der liebevolle­n Glucke, den es in HollywoodF­ilmen sonst oft zu sehen gibt ...

Close: Stimmt, doch das heißt nicht, dass Mamaw nicht auch ein Archetyp ist. Sie mag nicht zärtlich und auch nicht immer liebevoll sein, aber starke Großmütter, die mit aller Macht die Familie zusammenha­lten und ihren Enkeln eine gute Zukunft sichern wollen, gibt es überall.

Adams: Auch in Beverly erkenne ich viele Gemeinsamk­eiten zu mir selbst und Müttern allgemein, auch wenn sie viele Fehler und Schwächen hat und ihre Kinder oft unter ihr leiden. Vor Fehlern und Verletzung­en ist allerdings keine Mutter gefeit. Und auch sie will eigentlich das Beste für ihre Kinder. Sie versucht wirklich, ihre Sache gut zu machen. Was den Schmerz, auch für sie selbst, umso größer macht, wenn sie scheitert. Mich hat das sehr berührt und es war mir wichtig zu zeigen, dass sie viel mehr Facetten hat als man zwischen ihren Drogenprob­lemen und der Wut im ersten Moment sieht.

Close: Darin steckt ja auch eine Lehre, die ich selbst in meinem Leben gelernt habe. Die Bürde der Vergebung liegt bei den Kindern. Eltern machen immer Fehler, manchmal schwerwieg­ende. Davon, ob man ihnen die verzeihen kann, hängt es ab, ob die Beziehung eine Zukunft hat oder nicht.

Eltern machen immer Fehler. Davon, ob man ihnen die verzeihen kann, hängt es ab, ob die Beziehung eine Zukunft hat. Glenn Close

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Fotos: Lacey Terrell/Netflix Amy Adams (o.) und Glenn Close (u.r.) verkörpern in „Hillbilly Elegy“ein Mutter-Tochter-Gespann aus der US-Unterschic­ht mit reichlich Konfliktpo­tenzial.

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