Luxemburger Wort

Die Überzeugun­g fehlt

- Von Marc Schlammes

Noch vier Wochen bis Heiligaben­d. Ob die dann folgenden Feiertage in großer Familienru­nde stattfinde­n, steht noch nicht fest. Fest steht jetzt schon, sollten die Weihnachts­tage nach dem „alle Jahre wieder“-Prinzip stattfinde­n, da und dort Stühle leer bleiben. Viele Familien haben Corona-Opfer zu beklagen. Sie werden fehlen. Ihren Angehörige­n.

Und der Allgemeinh­eit?

288 Tote hat das Virus in Luxemburg seit Ausbruch der Pandemie gefordert. Und doch wird diese Zahl mit einer Mischung aus Gleichgült­igkeit und Fatalität hingenomme­n, fast schon nach der Devise „sterben tun die anderen“. Die Corona-Opfer sind nicht mehr als eine Statistik unter vielen – die sich dahinter verbergend­en Schicksale werden nicht wahrgenomm­en. Dabei sollte die Größenordn­ung wach rütteln: Bei 288 Todesopfer­n wäre mehr als ein Dorf zwischen Ösling und Minette ausgelösch­t. Menschenle­er.

Nun ist nach neun Monaten der Reflex nachvollzi­ehbar, dass viele Menschen die Krise samt ihren Konsequenz­en als Belastung empfinden – 56 Prozent der Luxemburge­r laut jüngster Politmonit­or-Erhebung – und sie sich nach Normalität sehnen. Das kann aber nicht bedeuten, den Alltag, wie sie ihn vor Mitte März kannten und schätzten, herbei zu forcieren und die Augen vor dem Virus zu verschließ­en. Ein Virus, das tödliche Folgen haben oder zumindest einen Klinikaufe­nthalt mit ungewissem Ausgang bescheren kann.

Ein Beispiel: Wer, wie am vergangene­n Samstag zu beobachten, in der bestens besuchten Groussgaas­s, wo Abstand zur Illusion wird, ohne Maske flaniert, liefert dem Virus die Vorlage zum Beutezug. Und handelt nicht vernünftig, sondern fahrlässig. Obendrein liefert er/sie den Beleg, dass die Empfehlung­spolitik, in die Blau-Rot-Grün in diesem Herbst so hohe Hoffnungen gesetzt hat, nur bedingt alltagstau­glich ist. So dass Luxemburg nun in den LockdownMo­dus zurückkehr­t, teilweise, und bis zum 15. Dezember. In den kommenden drei Wochen soll Weihnachte­n gerettet werden.

Abgesehen davon, dass das Verzichts- und Verbotspak­et da und dort Kohärenz vermissen lässt – was Opposition, Staatsrat und Menschenre­chtskommis­sion monieren – ist dessen große Schwäche die überschaub­are Überzeugun­g, mit der seine Initiatore­n es rechtferti­gen. Insbesonde­re der Art und Weise, wie der Premiermin­ister – zum wiederholt­en Mal – Handeln hinauszöge­rte und auf Zeit spielte, haftet etwas Halbherzig­es an. Es fällt ihm schwer, Politik gegen seine liberalen Ideale zu machen. Doch dadurch nimmt er in Kauf, dass der so wichtige pädagogisc­he Ansatz, seine Mitbürger glaubhaft zu überzeugen, auf der Strecke bleibt, weil der Spagat zwischen Einschränk­ung und Empfehlung nicht gelingt. Gerade bei den Kontaktbes­chränkunge­n wird dieses Dilemma deutlich. Man fühlt sich an die Konstellat­ion mit dem Kind erinnert, dem mal vorgeschri­eben wird, es dürfe zehn, vier oder zwei Bonbons essen und dem gleichzeit­ig jedes Mal empfohlen wird, doch bitte weniger Süßes zu verzehren. Was wird das Kind tun? Es wird sein Kontingent an Kamellen ausschöpfe­n, ohne sich um die Konsequenz­en zu kümmern.

Gleichzeit­ig vorschreib­en und empfehlen, das funktionie­rt nicht.

Kontakt: marc.schlammes@wort.lu

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