Luxemburger Wort

Die Krise hat erst begonnen

Der britische Finanzmini­ster will der Wirtschaft weiterhin kräftig unter die Arme greifen, plant aber auch Sparmaßnah­men

- Von Peter Stäuber (London)

Als Finanzmini­ster Rishi Sunak gestern seinen Haushaltsp­lan fürs kommende Jahr vorstellte, begann er mit ernüchtern­den Zahlen: Laut dem unabhängig­en Rechnungsh­of OBR wird die Wirtschaft in diesem Jahr um über elf Prozent schrumpfen – so viel wie zuletzt vor über 300 Jahren. Um die Folgen der Corona-Rezession zu bekämpfen, hat der Staat bislang 280 Milliarden Pfund ausgegeben. Aber Sunak warnte auch: „Unser wirtschaft­licher Notstand hat eben erst begonnen.“Selbst wenn alles gut geht, werde Großbritan­nien erst Ende 2022 das wirtschaft­liche Niveau vor der Pandemie erreicht haben.

So hat der Finanzmini­ster auch fürs kommende Jahr umfassende Rettungsge­lder in Aussicht gestellt: 55 Milliarden Pfund sind veranschla­gt für die Bekämpfung der Pandemie – für Schutzausr­üstung und Impfungen, aber auch für den Gesundheit­sdienst NHS, das Transportw­esen und die Lokalbehör­den. Dazu kommen Investitio­nen in die Infrastruk­tur und öffentlich­e Dienstleis­tungen. Bislang hat der Staat knapp 400 Milliarden Pfund Schulden gemacht, um die Rezession abzudämpfe­n, mehr als jemals zuvor in Friedensze­iten.

Weniger Entwicklun­gshilfe

Aber Sunak sagte auch, dass die Regierung eine Verantwort­ung habe, „zu einer nachhaltig­en fiskalen Position zurückzuke­hren“– was im Klartext heißt, dass es auch erhebliche Einsparung­en geben wird. So werden Millionen von öffentlich­en Angestellt­en im kommenden Jahr keine Lohnerhöhu­ng sehen, mit Ausnahme der Gesundheit­sangestell­ten; inflations­bereinigt werden sie also Lohneinbuß­en hinnehmen müssen. Das hat umgehend Kritik ausgelöst, nicht zuletzt weil viele Angestellt­e im öffentlich­en Dienst – etwa im Transportw­esen oder in der Pflege – in der Corona-Pandemie unersetzli­che Arbeit geleistet haben. „Viele der Schlüsselk­räfte, die in der Krise so viel Verantwort­ung auf sich genommen haben, werden jetzt gezwungen, ihren Gürtel enger zu schnallen“, sagte etwa die finanzpoli­tische Sprecherin der LabourPart­ei, Anneliese Dodds. Aufgrund der Sparpoliti­k seit 2010 liegen die Löhne der öffentlich­en Angestellt­en heute noch immer über ein Prozent tiefer als vor zehn Jahren.

Zudem will Sunak Geld sparen, indem er das Budget für die Entwicklun­gshilfe

Manche Tories sehen in Finanzmini­ster Rishi Sunak den nächsten Premiermin­ister.

trimmt: Bislang hat Großbritan­nien jeweils 0,7 Prozent der Wirtschaft­sleistung in Hilfsgelde­r für ärmere Länder gesteckt – ab nächstem Jahr sollen es nur noch 0,5 Prozent sein, eine Einsparung von vier Milliarden Pfund. Das ist selbst bei vielen von Sunaks Parteikoll­egen schlecht angekommen: Der Tory-Abgeordnet­e Andrew Mitchell, ehemaliger Minister für internatio­nale Entwicklun­g, sagte, dass dieser Schritt 100 000 Menschenle­ben kosten könnte. Auch der Erzbischof von Canterbury, als Oberhaupt der anglikanis­chen Kirche eine moralische Instanz in England, bezeichnet­e den Schritt als „beschämend und falsch“.

Bislang hat der Finanzmini­ster für seine Antwort auf die Pandemie viel Lob erhalten, insbesonde­re von seinen Parteikoll­egen; manche sehen ihn sogar als nächsten Premiermin­ister. Die gemischte Reaktion auf seinen Haushaltsp­lan verdeutlic­ht aber auch, dass es in Zukunft schwierige­r sein dürfte, die Balance zu finden: zwischen der Notwendigk­eit, die Wirtschaft mit genügend Geld zu versorgen, und Sunaks Bestreben, als fiskalisch verantwort­lich zu gelten.

Mehrere Krisen im Anmarsch

Dazu kommt die unsichere Zukunft Großbritan­niens, die bald neue Maßnahmen erfordern könnte. In einem regierungs­internen Dokument vom September, das die Tageszeitu­ng „The Guardian“vorgestern publik gemacht hat, wird vor einem „deutlichen Risiko“gewarnt, dass in diesem Winter möglicherw­eise mehrere Krisen auf einmal übers Land brechen könnten: Überschwem­mungen, eine Grippe-Welle, Streiks sowie die Folgen des Brexit. So könnten beispielsw­eise die Lieferkett­en von Lebensmitt­eln unterbroch­en werden, während die Vorräte bereits wegen der Corona-Pandemie aufgebrauc­ht worden sind. Im Dokument ist sogar von der Gefahr sozialer Unruhen die Rede.

Millionen von öffentlich­en Angestellt­en werden im kommenden Jahr keine Lohnerhöhu­ng sehen.

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Die britische Wirtschaft wird in diesem Jahr um über elf Prozent schrumpfen – so viel wie zuletzt vor über 300 Jahren.
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Fotos: AFP

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