Die Krise hat erst begonnen
Der britische Finanzminister will der Wirtschaft weiterhin kräftig unter die Arme greifen, plant aber auch Sparmaßnahmen
Als Finanzminister Rishi Sunak gestern seinen Haushaltsplan fürs kommende Jahr vorstellte, begann er mit ernüchternden Zahlen: Laut dem unabhängigen Rechnungshof OBR wird die Wirtschaft in diesem Jahr um über elf Prozent schrumpfen – so viel wie zuletzt vor über 300 Jahren. Um die Folgen der Corona-Rezession zu bekämpfen, hat der Staat bislang 280 Milliarden Pfund ausgegeben. Aber Sunak warnte auch: „Unser wirtschaftlicher Notstand hat eben erst begonnen.“Selbst wenn alles gut geht, werde Großbritannien erst Ende 2022 das wirtschaftliche Niveau vor der Pandemie erreicht haben.
So hat der Finanzminister auch fürs kommende Jahr umfassende Rettungsgelder in Aussicht gestellt: 55 Milliarden Pfund sind veranschlagt für die Bekämpfung der Pandemie – für Schutzausrüstung und Impfungen, aber auch für den Gesundheitsdienst NHS, das Transportwesen und die Lokalbehörden. Dazu kommen Investitionen in die Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen. Bislang hat der Staat knapp 400 Milliarden Pfund Schulden gemacht, um die Rezession abzudämpfen, mehr als jemals zuvor in Friedenszeiten.
Weniger Entwicklungshilfe
Aber Sunak sagte auch, dass die Regierung eine Verantwortung habe, „zu einer nachhaltigen fiskalen Position zurückzukehren“– was im Klartext heißt, dass es auch erhebliche Einsparungen geben wird. So werden Millionen von öffentlichen Angestellten im kommenden Jahr keine Lohnerhöhung sehen, mit Ausnahme der Gesundheitsangestellten; inflationsbereinigt werden sie also Lohneinbußen hinnehmen müssen. Das hat umgehend Kritik ausgelöst, nicht zuletzt weil viele Angestellte im öffentlichen Dienst – etwa im Transportwesen oder in der Pflege – in der Corona-Pandemie unersetzliche Arbeit geleistet haben. „Viele der Schlüsselkräfte, die in der Krise so viel Verantwortung auf sich genommen haben, werden jetzt gezwungen, ihren Gürtel enger zu schnallen“, sagte etwa die finanzpolitische Sprecherin der LabourPartei, Anneliese Dodds. Aufgrund der Sparpolitik seit 2010 liegen die Löhne der öffentlichen Angestellten heute noch immer über ein Prozent tiefer als vor zehn Jahren.
Zudem will Sunak Geld sparen, indem er das Budget für die Entwicklungshilfe
Manche Tories sehen in Finanzminister Rishi Sunak den nächsten Premierminister.
trimmt: Bislang hat Großbritannien jeweils 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in Hilfsgelder für ärmere Länder gesteckt – ab nächstem Jahr sollen es nur noch 0,5 Prozent sein, eine Einsparung von vier Milliarden Pfund. Das ist selbst bei vielen von Sunaks Parteikollegen schlecht angekommen: Der Tory-Abgeordnete Andrew Mitchell, ehemaliger Minister für internationale Entwicklung, sagte, dass dieser Schritt 100 000 Menschenleben kosten könnte. Auch der Erzbischof von Canterbury, als Oberhaupt der anglikanischen Kirche eine moralische Instanz in England, bezeichnete den Schritt als „beschämend und falsch“.
Bislang hat der Finanzminister für seine Antwort auf die Pandemie viel Lob erhalten, insbesondere von seinen Parteikollegen; manche sehen ihn sogar als nächsten Premierminister. Die gemischte Reaktion auf seinen Haushaltsplan verdeutlicht aber auch, dass es in Zukunft schwieriger sein dürfte, die Balance zu finden: zwischen der Notwendigkeit, die Wirtschaft mit genügend Geld zu versorgen, und Sunaks Bestreben, als fiskalisch verantwortlich zu gelten.
Mehrere Krisen im Anmarsch
Dazu kommt die unsichere Zukunft Großbritanniens, die bald neue Maßnahmen erfordern könnte. In einem regierungsinternen Dokument vom September, das die Tageszeitung „The Guardian“vorgestern publik gemacht hat, wird vor einem „deutlichen Risiko“gewarnt, dass in diesem Winter möglicherweise mehrere Krisen auf einmal übers Land brechen könnten: Überschwemmungen, eine Grippe-Welle, Streiks sowie die Folgen des Brexit. So könnten beispielsweise die Lieferketten von Lebensmitteln unterbrochen werden, während die Vorräte bereits wegen der Corona-Pandemie aufgebraucht worden sind. Im Dokument ist sogar von der Gefahr sozialer Unruhen die Rede.
Millionen von öffentlichen Angestellten werden im kommenden Jahr keine Lohnerhöhung sehen.