Luxemburger Wort

Die Supersprea­der-Events

Serbien und Montenegro: Bei Begräbniss­en zweier hoher Würdenträg­er wurden Vorsichtsm­aßnahmen über Bord geworfen

- Von Volker Pabst (Istanbul)

Das Coronaviru­s trifft die orthodoxe Kirche hart, insbesonde­re die serbische. Ende März verstarb mit dem Bischof Milutin von Valjevo der erste hohe Würdenträg­er einer orthodoxen Kirche am neuartigen Virus. Im Oktober erlag der prominente­ste Geistliche Montenegro­s, der Metropolit Amfilohije, einem durch Covid-19 verursacht­en Lungenleid­en. Vergangene­s Wochenende musste auch das Oberhaupt der serbischen Kirche, der Patriarch Irinej, zu Grabe getragen werden.

Gläubige küssen den Leichnam

Irinej war wenige Tage nach der Beisetzung von Amfilohije hospitalis­iert worden. Wie in der Orthodoxie üblich, hatten der Patriarch und unzählige andere Gläubige den im offenen Sarg liegenden Leichnam geküsst. Auch sonst waren an der religiösen Großverans­taltung in Montenegro­s Hauptstadt Podgorica, bei der Tausende ohne Masken dicht an dicht standen, die geltenden Maßnahmen zum Infektions­schutz nicht beachtet worden. Eigentlich waren zu diesem Zeitpunkt in Montenegro Ansammlung­en von mehr als hundert Personen verboten.

An der Abdankungs­feier für den Patriarche­n Irinej am Sonntag in Belgrad sah es nicht viel besser aus. Zwar waren die Massen nicht ganz so groß, und es trugen auch mehr Menschen Masken. Die Kirchenver­treter allerdings traten ungeschütz­t auf, küssten den Glassarg des Patriarche­n und nahmen die Kommunion mit demselben Löffel ein. Am Montag wurde der Bischof David von Krusevac, der am Begräbnis teilgenomm­en hatte, positiv getestet und musste hospitalis­iert werden. Die täglichen Infektions­raten in Serbien und Montenegro

gehören zu den höchsten in Südosteuro­pa.

Die beiden potenziell­en Supersprea­der-Anlässe der serbisch-orthodoxen Kirche werfen erneut ein Schlaglich­t auf das Spannungsf­eld zwischen Infektions­schutz und religiösem Leben, insbesonde­re in der Orthodoxie. Die Frage ist seit Beginn der Pandemie von Bedeutung und für alle Religionsg­emeinschaf­ten relevant.

Vor allem in strenggläu­bigen Kreisen herrscht mitunter die Auffassung, der Glaube allein schütze vor dem Virus. Spezifisch für orthodoxe Kirchen sind gewisse Riten

mit hoher Infektions­gefahr wie die erwähnte Löffelkomm­union oder die Ikonenvere­hrung, bei der Gläubige die Heiligenbi­lder mit den Lippen berühren.

Falls die Krankheits­fälle im hohen Klerus repräsenta­tiv sind, dürfte die Orthodoxie besonders anfällig sein. Zurzeit befinden sich unter anderem das Oberhaupt der orthodoxen Kirche Griechenla­nds, Hieronymos, und der Erzbischof Albaniens, Anastasios, in intensivme­dizinische­r Behandlung. Insgesamt sind laut einer Zählung seit Ausbruch der Pandemie elf orthodoxe Bischöfe an Covid-19 gestorben. Dabei gelte es aber zu differenzi­eren, erklärt die Theologin Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa und internatio­nale Studien in Berlin. Die Orthodoxie allein reiche als Erklärung für die unterschie­dliche Einhaltung von Vorsichtsm­aßnahmen nicht aus. In Griechenla­nd etwa, und noch mehr in der orthodoxen Diaspora im Westen, sei die kirchliche Akzeptanz für den staatliche­n Infektions­schutz breiter.

Elsner bringt das mit den intensiven theologisc­hen Debatten in Zusammenha­ng, die in der griechisch­en Kirche zu dem Thema geführt werden, und mit einer ausgeprägt­eren religiösen Bildung der Gläubigen im Vergleich zu vielen orthodoxen Staaten Osteuropas, wo das kirchliche Leben nach langer Unterdrück­ung stärker an Ritualen orientiert ist. Das Begräbnis des vor zehn Tagen an Covid19 verstorben­en Bischofs von Langada in Nordgriech­enland wurde im kleinen Rahmen abgehalten. Gottesdien­ste finden zurzeit unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. An der Löffelkomm­union hält man aber auch in Griechenla­nd fest. Die Vorstellun­g, Gläubige könnten sich über den Leib Christi anstecken, weist die Kirche kategorisc­h zurück.

Politische Bühne

Auch politische Faktoren erklären regionale Unterschie­de. Die Beziehung zwischen Kirche und Regierung ist in allen orthodox geprägten Staaten groß. Populistis­ch-nationalis­tische Regierunge­n wie jene in Serbien greifen aber besonders stark auf die identitäts­stiftende Funktion der jeweiligen Nationalki­rche zurück. Auch in Montenegro ist das Bekenntnis zur serbischen Kirche seit dem Streit um das Religionsg­esetz zu einem Politikum erster Güte geworden.

Die rumänische Regierung hat im Oktober gegen starken Protest des Patriarcha­ts zwei Wallfahrte­n untersagt. In Serbien oder Montenegro wäre der politische Preis ungleich höher gewesen, wenn die Regierung bei den Begräbniss­en der populären Kirchenfür­sten die geltenden Schutzmaßn­ahmen durchgeset­zt hätte. Allerdings bestand auch gar kein Interesse daran. Denn ein religiöses Großereign­is ist natürlich auch eine politische Bühne.

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Foto: Getty Images In der Kathedrale in Belgrad nehmen Gläubige am 21. November Abschied vom Oberhaupt der serbischen Kirche, dem Patriarche­n Irinej.
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