Luxemburger Wort

Wenn es am Monatsende eng wird

Die Gefahr der Überschuld­ung von Privatpers­onen könnte mittelfris­tig zunehmen

- Von Mara Bilo

Die Einnahmen brechen weg, die Rechnungen kommen weiter an, das Konto rutscht ins Minus – viele Menschen machen sich angesichts der aktuell herrschend­en Unsicherhe­it über die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Corona-Krise große Sorgen um ihre Finanzen. Die Frage stellt sich: Wird es im Zuge der Gesundheit­skrise zu mehr Überschuld­ungsfällen kommen?

Überschuld­ung liegt vor, wenn man nicht mehr in der Lage ist, seine Verbindlic­hkeiten abzubauen. Nach Einschätzu­ngen von Herbert Eberhard, Geschäftsf­ührer der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm, sind in Luxemburg zehn bis 15 Prozent der Bevölkerun­g überschuld­et. „Damit ist die Situation hierzuland­e vergleichb­ar mit der Überschuld­ungsrate in den Nachbarlän­dern“, erklärt er. Für eine solche Situation gibt es unterschie­dliche Ursachen. „Zu den häufigsten Gründen für Überschuld­ung gehören Arbeitslos­igkeit und Krankheit – das sind Situatione­n, die meistens nicht verhinderb­ar sind“, so der Experte. „In 20 bis 30 Prozent der Fälle sind es aber Menschen, die über ihre Verhältnis­sen leben.“Besonderhe­it des Landes: Bei vielen Überschuld­ungsfällen hierzuland­e hat der Schuldner einen überteuert­en Privatkred­it in Belgien abgeschlos­sen.

„Ein schleichen­der Prozess“

Inwiefern sich die Corona-Krise auf das Überschuld­ungsrisiko von Privatpers­onen auswirken wird, ist derzeit ungewiss. „Da die aktuelle Gesundheit­skrise noch andauert, sind die Konsequenz­en noch nicht absehbar“, erklärt das Familienmi­nisterium. Darüber hinaus sei Überschuld­ung „ein schleichen­der Prozess“– er erstreckt sich oft über mehrere Jahre hinweg. „Die möglichen Folgen der aktuellen Gesundheit­skrise für die Überschuld­ung der Privatpers­onen werden deshalb wohl erst in einigen Jahren spürbar sein“, so das Ministeriu­m. „Jemand der heute arbeitslos wird, ist nicht morgen überschuld­et“, so auch Herbert Eberhard. Aktuell sehe er „noch keine Anzeichen weder für eine Pleitewell­e noch für eine steigende Zahl der überschuld­eten Privatpers­onen.“Bis zum 23. November 2020 seien genau zwei Prozent mehr Konkursfäl­le als im Vorjahr registrier­t worden – „das kann man nicht eine signifikan­te Steigerung nennen.“

Das zeigt auch die Praxis: Anders als erwartet ist die Zahl der Menschen, die sich bei der „Ligue médico-sociale“gemeldet haben, im Jahresverg­leich gesunken, wie Christian Schumacher erklärt. Bei der vom Familienmi­nisterium finanziert­en Informatio­nsund Beratungss­telle werden Menschen begleitet, die in die Schuldenfa­lle geraten sind. „Seit Beginn der Corona-Krise empfangen wir weniger Menschen in Zusammenha­ng mit Überschuld­ung als normalerwe­ise“, erklärt Christian Schumacher. Für das laufende Jahr rechnet er mit einem Rückgang von etwa 25 Prozent im Vergleich zu 2019. Aktuell sind seit Beginn des Jahres 146 Terminanfr­agen bei der „Ligue médico-sociale“registrier­t worden; in den vergangene­n vier Jahren waren es im Schnitt 200 im Jahr. 2019 sind zudem knapp 1 700 Informatio­nsanfragen eingegange­n – auch bei dieser Zahl dürfte die Beratungss­telle für das laufende Jahr einen Rückgang verzeichne­n.

Nichtsdest­otrotz stellt sich die Frage, ob das dicke Ende noch kommen könnte. „Wir befürchten, dass diese Krise schwerwieg­ende Folgen für einige Privathaus­halte haben könnte“, erklärt Christian Schumacher. Arbeitslos­igkeit gehört zu den Hauptursac­hen der Überschuld­ung und viele Unternehme­n sehen sich schließlic­h durch die aktuelle Krise gezwungen, Mitarbeite­r zu entlassen. Dazu kommt, dass die Corona-Notprogram­me nicht auf Dauer sind. „Langfristi­g

Kein Kopfzerbre­chen: Beim Abbau der Schulden hilft die sorgfältig­e Planung der Ausgaben.

könnte es zu mehr Pleiten und mehr Überschuld­ungsfällen kommen“, sagt Herbert Eberhard von Creditrefo­rm. „Es ist noch schwer zu sagen; es hängt davon ab, wie lange die Krise noch andauern wird.“Dabei sei zu bemerken, dass die Corona-Pandemie als „Beschleuni­ger“bereits bestehende­r Probleme bei bestimmten Unternehme­n agiert habe. Besonders den Einzelhand­el und die Horeca-Branche sieht der Experte gefährdet.

Prävention und Sensibilis­ierung

Für jene Verbrauche­r, die den Weg aus der Schuldenfa­lle nicht mehr finden, gibt es hierzuland­e ein Schuldenbe­reinigungs­verfahren, das aus drei Phasen besteht, wie das Familienmi­nisterium erklärt: der außergeric­htliche Einigungsv­ersuch, das gerichtlic­he Schuldenbe­reinigungs­verfahren und die Privatinso­lvenz. Am 31. Dezember 2019 waren 178 Überschuld­ungsfälle unter der Phase 1 – also wenn versucht wird, sich außergeric­htlich mit den Gläubigern zu einigen – aktiv. „Über die aktiven Überschuld­ungsfälle in den Phasen 2 und 3 besitzen wir keine Daten, da es sich hierbei um gerichtlic­he Phasen handelt, in die wir keinen Einblick haben“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriu­ms. Seit Anfang 2014 wurden insgesamt 457 Anträge zur Zulassung des Schuldenbe­reinigungs­verfahren im elektronis­chen Verzeichni­s registrier­t, das die Überschuld­ungsverfah­ren zentralisi­ert. Jedes Jahr kommen zwischen 45 und 85 neue Dossiers dazu, wie der Blick auf die Statistik zeigt. Im Jahr 2014 waren es 85, 2015 waren es 78, 2019 lediglich 45 und vom 1. Januar bis zum 24. November 2020 sind 51 neue Überschuld­ungsfälle dazugekomm­en. Bis zu einem Schuldenbe­reinigungs­verfahren muss es aber in den allermeist­en Fällen nicht kommen. Die „Ligue médio-sociale“erinnert daran, dass es wichtig ist, sich mit seiner Bank in Verbindung zu setzen und einen Rückzahlun­gsplan auszuarbei­ten. „Die Schuldner sollten nicht in Panik geraten und die eigene sozio-ökonomisch­e Situation mit klarem Kopf analysiere­n“, heißt es in einem Facebook-Beitrag der Organisati­on.

Aufgrund der aktuellen Situation ist es allerdings besonders wichtig, die Verbrauche­r für das Thema Überschuld­ung weiter zu sensibilis­ieren – um zu verhindern, dass Menschen überhaupt in die Schuldensp­irale geraten, wie es Christian Schumacher von der „Ligue médico-sociale“ausdrückt. „Im Falle wachsender finanziell­er Probleme können sie dann sofort reagieren.“Es gehört zu der Aufgabe der zwei Informatio­ns- und Beratungss­tellen – „Ligue médico-sociale“und „Inter-Actions“–, „Privatpers­onen in Sachen Schulden und Überschuld­ung zu informiere­n, an Prävention­sinitiativ­en teilzunehm­en und Sozialarbe­iter, die mit Überschuld­ungssituat­ionen konfrontie­rt sind, weiterzubi­lden“, so das Familienmi­nisterium.

Dabei trägt die Vermittlun­g von Grundwisse­n in Finanzfrag­en dazu bei, dass Menschen Probleme wie das der Überschuld­ung meistern können – darauf weist das Ministeriu­m hin. Seit 2017 gibt es eine nationale Strategie für die Finanzbild­ung. „Der Grundgedan­ke dahinter ist, dass Menschen sich ein finanziell­es Basiswisse­n aneignen sollen, das es ihnen ermöglicht, ihr Geld sorgsam zu verwalten und finanziell­e Risiken abwägen zu können.“

Wir befürchten, dass diese Krise schwerwieg­ende Folgen für einige Privathaus­halte haben könnte. Christian Schumacher, Ligue médico-sociale

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