Die Haushälterin Amerikas
Jane L. Yellen soll die erste Finanzministerin in der Geschichte der USA werden
231 Jahre mussten vergehen, bevor eine Frau die Kontrolle über den Haushalt Amerikas übernehmen durfte. Mit der in Brooklyn zur Welt gekommenen, an der BrownUniversität ausgebildeten und in Berkeley als Professorin lehrenden Volkswirtin Yellen steht künftig eine Finanzministerin an der Spitze des „Treasury Departments“, die in ihrer langen Laufbahn viele Glasdecken durchbrochen hat.
Die „kleine Dame mit dem großen IQ“schrieb schon einmal Geschichte, als der frühere US-Präsident Barack Obama sie 2013 zur ersten Vorsitzenden der amerikanischen Notenbank FED berief. Sie verdiente mit ihrer umsichtigen Amtsführung so viel Bewunderung quer durch das politische Spektrum hinweg, dass Donald Trump kurzzeitig überlegte, die Demokratin für eine weitere Amtszeit vorzuschlagen.
21 Billionen US-Dollar Schulden
Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im US-Senat dürfte die breite Akzeptanz der messerscharfen Analytikerin mit dem markanten Kurzhaarschnitt Joe Biden mit davon überzeugt haben, dass sie genau die richtige Besetzung für die neben dem Außen-, Verteidigungsminister- und Justizministerium wichtigste Position im Kabinett des gewählten Präsidenten ist.
Seinerzeit stimmten elf Republikaner für die künftige FED-Chefin, die eine beeindruckende Bilanz an ökonomischem Vorhersagen vorweisen konnte. Eine Analyse des Wall Street Journal der mehr als 700 Einschätzungen von Mitgliedern der Notenbank zwischen dem Jahr nach Beginn der großen Rezession 2009 und 2012 ergab, das Yellen die mit Abstand besten Prognosen abgab. Sie warnte vor einer langsamen Erholung der Konjunktur durch zu geringe öffentliche Stimuli, während sie die Gefahren einer Inflation durch die lockere Geldpolitik der FED für eher gering einschätzte. Sie behielt recht.
Im Unterschied zur Europäischen Zentralbank muss die FED bei ihrer Geldpolitik nicht nur die Preisentwicklung unter Kontrolle halten, sondern gleichzeitig den Boden für neue Jobs bereiten. Genau darauf wird sich Yellen auch in ihrer künftigen Rolle als Finanzministerin konzentrieren, die Amerikas in der Pandemie abgestürzte Wirtschaft wiederbeleben muss. Eine der ersten Entscheidungen, die auf sie warten, ist die Öffnung von Kreditvergabe-Fenstern ihres künftigen Ministeriums und der FED in der Corona-Krise, die Amtsinhaber Steven Mnuchin gerade unter lautstarken Protest der Experten geschlossen hat. Wie nach der Lehman-Krise argumentiert Yellen auch diesmal, es sei ein Fehler, der Wirtschaft den Geldhahn zu schnell wieder abzudrehen. Heute wie damals warnt die designierte Finanzministerin vor den Konsequenzen einer zu restriktiven Geldpolitik inmitten einer ökonomischen Krise und verweist auf die Erfahrung der Japaner als abschreckendes Beispiel. Wobei sie die 21 Billionen US-Dollar an Staatsschulden, die sie von Trump erbt, durchaus als Problem sieht, aber eines das warten kann.
„Sie argumentiert mit Fakten und steht dazu“, bewundert der Princeton-Ökonom Alan S. Blinder den unaufgeregten Stil der Kandidatin, die als Finanzministerin Bidens Steuer-, Handels- und Arbeitsmarktpolitik prägen wird. Nach ihrem Ausscheiden aus der FED beschäftigte sich Yellen an der Denkfabrik „Brookings Institution“mit den Konsequenzen der wachsenden Ungleichheit und der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt für die wirtschaftliche Entwicklung.
„Diese Themen stehen bei ihr ganz obenan“, sagt Blinder, der mit Yellen als Vize-Vorsitzender in der FED diente. „Als Ministerin kann sie in diesen Bereichen viel bewegen.“Ebenso kann sie auch in der Handelspolitik Akzente setzen.
Während sie nicht davor zurückschreckt, die Volksrepublik China wegen unfairer Handelspraktiken zur Rechenschaft zu ziehen, neigt sie nach Ansicht von Analysten nicht dazu, das Kind mit dem Bad auszuschütten.
Anhängerin des Freihandels
Als überzeugte Anhängerin des Freihandels und einer liberalen Einwanderungspolitik verspricht sie eine Kehrtwende des „Amerika-Zuerst“-Protektionismus der vergangen vier Jahre. International dürfte das bei nach Jahren der Unberechenbarkeit und einer aggressiven Politik Trumps eine willkommene Veränderung sein. Zumal Yellen bei ihren Kollegen im Ausland über hohes Ansehen verfügt. Sie sei bei Treffen vermutlich die klügste Person im Raum, schwärmt Blinder, „und gewiss die am besten vorbereitete“.
In jedem Fall brächte Yellen mehr Insider-Erfahrung mit in die neue Aufgabe als die meisten ihrer Vorgänger. Dazu gehört auch ein tiefes Verständnis der Regierungsmechanik, die sie als Chefin des Wirtschaftsrats im Weißen Haus unter Bill Clinton kennenlernte. Verheiratet ist Yellen mit dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften (2001) George Akerlof, den sie als junge Volkswirtin 1977 bei einem Praktikum in den heiligen Hallen der Notenbank kennenlernte.
Dieser wird sich künftig verstärkt um den Haushalt daheim kümmern müssen, weil seine Frau alle Hände voll mit dem der Nation zu tun haben wird. Der leidenschaftlichen Gärtnerin bleibt auch nicht mehr viel Zeit für ihr Hobby. Ihre neue Aufgabe hat Vorrang, die amerikanische Wirtschaft wieder zum Blühen zu bringen.