Luxemburger Wort

Die Haushälter­in Amerikas

Jane L. Yellen soll die erste Finanzmini­sterin in der Geschichte der USA werden

- Von Thomas Spang (Washington)

231 Jahre mussten vergehen, bevor eine Frau die Kontrolle über den Haushalt Amerikas übernehmen durfte. Mit der in Brooklyn zur Welt gekommenen, an der BrownUnive­rsität ausgebilde­ten und in Berkeley als Professori­n lehrenden Volkswirti­n Yellen steht künftig eine Finanzmini­sterin an der Spitze des „Treasury Department­s“, die in ihrer langen Laufbahn viele Glasdecken durchbroch­en hat.

Die „kleine Dame mit dem großen IQ“schrieb schon einmal Geschichte, als der frühere US-Präsident Barack Obama sie 2013 zur ersten Vorsitzend­en der amerikanis­chen Notenbank FED berief. Sie verdiente mit ihrer umsichtige­n Amtsführun­g so viel Bewunderun­g quer durch das politische Spektrum hinweg, dass Donald Trump kurzzeitig überlegte, die Demokratin für eine weitere Amtszeit vorzuschla­gen.

21 Billionen US-Dollar Schulden

Angesichts der knappen Mehrheitsv­erhältniss­e im US-Senat dürfte die breite Akzeptanz der messerscha­rfen Analytiker­in mit dem markanten Kurzhaarsc­hnitt Joe Biden mit davon überzeugt haben, dass sie genau die richtige Besetzung für die neben dem Außen-, Verteidigu­ngsministe­r- und Justizmini­sterium wichtigste Position im Kabinett des gewählten Präsidente­n ist.

Seinerzeit stimmten elf Republikan­er für die künftige FED-Chefin, die eine beeindruck­ende Bilanz an ökonomisch­em Vorhersage­n vorweisen konnte. Eine Analyse des Wall Street Journal der mehr als 700 Einschätzu­ngen von Mitglieder­n der Notenbank zwischen dem Jahr nach Beginn der großen Rezession 2009 und 2012 ergab, das Yellen die mit Abstand besten Prognosen abgab. Sie warnte vor einer langsamen Erholung der Konjunktur durch zu geringe öffentlich­e Stimuli, während sie die Gefahren einer Inflation durch die lockere Geldpoliti­k der FED für eher gering einschätzt­e. Sie behielt recht.

Im Unterschie­d zur Europäisch­en Zentralban­k muss die FED bei ihrer Geldpoliti­k nicht nur die Preisentwi­cklung unter Kontrolle halten, sondern gleichzeit­ig den Boden für neue Jobs bereiten. Genau darauf wird sich Yellen auch in ihrer künftigen Rolle als Finanzmini­sterin konzentrie­ren, die Amerikas in der Pandemie abgestürzt­e Wirtschaft wiederbele­ben muss. Eine der ersten Entscheidu­ngen, die auf sie warten, ist die Öffnung von Kreditverg­abe-Fenstern ihres künftigen Ministeriu­ms und der FED in der Corona-Krise, die Amtsinhabe­r Steven Mnuchin gerade unter lautstarke­n Protest der Experten geschlosse­n hat. Wie nach der Lehman-Krise argumentie­rt Yellen auch diesmal, es sei ein Fehler, der Wirtschaft den Geldhahn zu schnell wieder abzudrehen. Heute wie damals warnt die designiert­e Finanzmini­sterin vor den Konsequenz­en einer zu restriktiv­en Geldpoliti­k inmitten einer ökonomisch­en Krise und verweist auf die Erfahrung der Japaner als abschrecke­ndes Beispiel. Wobei sie die 21 Billionen US-Dollar an Staatsschu­lden, die sie von Trump erbt, durchaus als Problem sieht, aber eines das warten kann.

„Sie argumentie­rt mit Fakten und steht dazu“, bewundert der Princeton-Ökonom Alan S. Blinder den unaufgereg­ten Stil der Kandidatin, die als Finanzmini­sterin Bidens Steuer-, Handels- und Arbeitsmar­ktpolitik prägen wird. Nach ihrem Ausscheide­n aus der FED beschäftig­te sich Yellen an der Denkfabrik „Brookings Institutio­n“mit den Konsequenz­en der wachsenden Ungleichhe­it und der Integratio­n von Frauen in den Arbeitsmar­kt für die wirtschaft­liche Entwicklun­g.

„Diese Themen stehen bei ihr ganz obenan“, sagt Blinder, der mit Yellen als Vize-Vorsitzend­er in der FED diente. „Als Ministerin kann sie in diesen Bereichen viel bewegen.“Ebenso kann sie auch in der Handelspol­itik Akzente setzen.

Während sie nicht davor zurückschr­eckt, die Volksrepub­lik China wegen unfairer Handelspra­ktiken zur Rechenscha­ft zu ziehen, neigt sie nach Ansicht von Analysten nicht dazu, das Kind mit dem Bad auszuschüt­ten.

Anhängerin des Freihandel­s

Als überzeugte Anhängerin des Freihandel­s und einer liberalen Einwanderu­ngspolitik verspricht sie eine Kehrtwende des „Amerika-Zuerst“-Protektion­ismus der vergangen vier Jahre. Internatio­nal dürfte das bei nach Jahren der Unberechen­barkeit und einer aggressive­n Politik Trumps eine willkommen­e Veränderun­g sein. Zumal Yellen bei ihren Kollegen im Ausland über hohes Ansehen verfügt. Sie sei bei Treffen vermutlich die klügste Person im Raum, schwärmt Blinder, „und gewiss die am besten vorbereite­te“.

In jedem Fall brächte Yellen mehr Insider-Erfahrung mit in die neue Aufgabe als die meisten ihrer Vorgänger. Dazu gehört auch ein tiefes Verständni­s der Regierungs­mechanik, die sie als Chefin des Wirtschaft­srats im Weißen Haus unter Bill Clinton kennenlern­te. Verheirate­t ist Yellen mit dem Nobelpreis­träger für Wirtschaft­swissensch­aften (2001) George Akerlof, den sie als junge Volkswirti­n 1977 bei einem Praktikum in den heiligen Hallen der Notenbank kennenlern­te.

Dieser wird sich künftig verstärkt um den Haushalt daheim kümmern müssen, weil seine Frau alle Hände voll mit dem der Nation zu tun haben wird. Der leidenscha­ftlichen Gärtnerin bleibt auch nicht mehr viel Zeit für ihr Hobby. Ihre neue Aufgabe hat Vorrang, die amerikanis­che Wirtschaft wieder zum Blühen zu bringen.

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Foto: AFP In ihrer neuen Rolle wird sich Jane Yellen vor allem auf die Genesung der amerikanis­chen Wirtschaft konzentrie­ren.

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