Ein Leben voller Widersprüche
Friedrich Engels (1820-1895): Steinreicher Unternehmer und Weggefährte von Karl Marx
talismus gewordene Proletariat. Die proletarische Revolution ist ausgeblieben, das „Kommunistische Manifest“dient bis heute den sozialistischen und kommunistischen Bewegungen zur ideologischen Orientierung.
Erfolgreicher Unternehmer
Während der bürgerlichen Märzrevolution 1848/49 beteiligt sich Engels aktiv am revolutionären Geschehen im Rheinland, in der Pfalz und in Baden. Er fordert vor Tausenden von Zuhörern eine „demokratisch-soziale“, eine „rote Republik“und wird mehrfach vor Gericht gestellt. Schließlich emigriert er, steckbrieflich gesucht, über die Schweiz und Genua nach England, das für mehr als vierzig Jahre seine Heimat werden sollte.
Ohne große Begeisterung kehrt er ins väterliche Geschäft in Manchester zurück, zunächst als Prokurist (1850), dann als Teilhaber (ab 1864), doch nicht aus Liebe zum Kaufmannsberuf. Die Firma sollte ihm lediglich genügend Geld einbringen, um sich und Karl Marx zu finanzieren, der mit seiner Familie nach London ins Exil gegangen war. Engels hatte seinen Vater davon überzeugt, dass seine Anwesenheit in Manchester notwendig und entsprechend zu honorieren sei, ohne dabei allzu große Verpflichtungen zu übernehmen.
Erneut führt Engels ein Doppelleben: Als erfolgreicher Unternehmer nach außen hin, hinter den Kulissen als kommunistischer Revolutionär, der mit der Arbeiterin Lizzie Burns zusammen lebt und fleißig für angesehene Blätter schreibt: Für die „New York Daily Tribune“, die „Neue Oder-Zeitung“(Breslau) oder die „Presse“(Wien). Die stattliche Erbschaft nach dem Tod des Vaters (1860) macht Engels materiell unabhängig. Er kehrt dem „hündischen Commerce“endgültig den Rücken, verkauft seine Firmenanteile mit beträchtlichem Gewinn (1869) und zieht nach London (1870), wo er sich in der Nähe der Familie Marx nieder lässt. Ein wohlhabender Mann.
Gemeinsame Irrtümer
Nun widmete er sich ganz seinen eigenen Schriften, vor allem aber der Unterstützung von Karl Marx, dessen Genie er neidlos anerkannte. Engels war ein flinker Schreiber und exzellenter Stilist. Er stand Marx mit kritischem Rat zur Seite und schrieb mitunter auch säumige Artikel unter Marxens Namen. Dessen Hauptwerk („Das Kapital“, 1867) besprach er in der Presse und sorgte auch darüber hinaus mit seiner zugänglicheren Sprache für die Verbreitung von Marxens Ideen. Bezeichnenderweise lassen sich manche Passagen im Marx-EngelsGesamtwerk keinem der beiden eindeutig zuordnen.
Marx und Engels hatten die Reformfähigkeit des Kapitalismus unterschätzt und den revolutionären Elan der Arbeiterschaft überschätzt. Sie hatten ferner weder die Rolle des Staates in der kapitalistischen Gesellschaft noch die Lernfähigkeit dieser Gesellschaft angemessen analysiert. Deshalb seien ihre Analysen als Orientierungsmittel in der heutigen Welt „partiell obsolet und ergänzungsbedürftig“geworden, schreibt der Marxismus-Forscher Iring Fetscher.
Karl Marx selbst schien das Leben in der „klassenlosen kommunistischen Gesellschaft“, die er mit Engels voraussagte, nicht allzu erstrebenswert zu sein. Wegen seiner eigenen „aristokratischen Neigungen und Gewohnheiten“: „Diese Zeiten werden kommen“, gestand er einer Bekannten, „aber wir müssen dann fort sein.“Großbürgerliche Vorlieben schätzte auch sein Freund Engels, den Dieter Kaltwasser einen „wandelnden Hegel’schen Widerspruch“nennt.
Ideologisch gesehen, war Engels ein radikaler Gegner des Kapitalismus, privat genoss er die Freuden des Kapitalismus in vollen Zügen. Ob Fuchsjagden, Hummersalat, Château Margaux oder kostspielige Frauen. Nachzulesen bei seinem britischen Biografen Tristram Hunt (2012). Karl Marx dagegen, der Analytiker des
Kapitalismus, lebte mit seiner Familie permanent am Rande des finanziellen Ruins.
Vor dem retteten ihn die ständigen Zuwendungen seines Busenfreundes Engels, die sich insgesamt auf „einige Millionen“(Helmut Hirsch, 1968) beliefen. Um dem Freund ehelichen Zwist zu ersparen, übernahm Engels auch noch die Vaterschaft für den unehelichen Sohn der Marx’schen Haushälterin Helene Demuth (1823-1890).
Nach Marxens Tod (1883) wirkte Friedrich Engels als graue Eminenz der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Er schrieb enorm viel und kümmerte sich um die Verbreitung
des sozialistisch-kommunistischen Gedankengutes. Genossinnen und Genossen in Geldnöten half er. Engels starb, fast 75-jährig, am 5. August 1895 in London an Kehlkopfkrebs. Er hinterließ ein Erbe von umgerechnet ca. 2,4 bis 3,5 Millionen Euro.
Seine Asche wurde auf eigenen Wunsch im Meer verstreut. Ein Zeichen dafür, so Tristram Hunt, dass der Vordenker des Sozialismus auf Kanonisierung keinen Wert gelegt habe. Für die spätere Vereinnahmung seines Namens durch die kommunistischen Regime – und noch weniger für deren Verbrechen – trage er keine Verantwortung.