Schwimmen mit Rosemary
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Die Schlange steht bis hinaus in den Park.
„Wir warten schon seit Stunden“, jammert ein junges Mädchen, stößt mit der Schuhspitze auf den Gehweg und hält ihre Schwimmtasche mit beiden Armen vor der Brust fest.
„Warum sollte man etwas machen, was niemand gut genug findet, um dafür anzustehen?“, fragt ihr Vater. „Eine lange Schlange beweist dir, dass etwas gut sein muss. Man muss nur Geduld haben. Sieh es positiv!“
Einem Teenager zu sagen, er solle etwas positiv sehen, ist so, als würde man einer Pflanze empfehlen, sich selbst zu gießen. Sie würde es tun, wenn sie es könnte.
Das Mädchen wartet in der Schlange und verwendet ihre ganze Energie darauf, ihren Vater zu hassen. Später, wenn sie drinnen ist, wird sie sich anstrengen, um keinen Spaß zu haben. Hin und wieder entschlüpft ihr ein Lächeln, und dann sieht sie sich schuldbewusst um, ob jemand ihre Verfehlung bemerkt hat.
Für viele Kinder ist das Freibad der einzige Strand, den sie kennen. Sie liegen auf ihren Handtüchern auf dem Beton ausgestreckt und stellen sich vor, auf einem Bett aus Sand zu dösen. Sie wissen nicht, dass Salzwasser schmeckt als Chlor.
„Passt auf, dass sie euch nicht fangen“, sagt ein kleiner Junge. „Sonst fressen sie euch auf.“
Erwachsene sind Haie und Kinder Fische. Es ist so offensichtlich, dass die Kinder sich wundern, warum die Erwachsenen so verwirrt aussehen, wenn sie kreischend und spritzend vor ihnen davonlaufen. Ein kleines Mädchen heult. Es ist kleiner als der Junge, und er erinnert sich plötzlich an seine Pflichten als großer Bruder.
„Alles gut“, sagt er. „Du bist bloß ein Fisch, aber ich bin ein Delfin. Haie lassen Delfine in Ruhe, weil sie nicht gut schmecken, und außerdem ist ein Delfin genauso groß wie ein Hai. Wenn du dich auf meinem Rücken festhältst, bist du in Sicherheit.“
Die kleine Schwester umklammert fest den Hals ihres großen Bruders und ist der sicherste Mensch im Becken.
Ihre Mutter beobachtet sie und denkt über die zerbrechliche Welt nach, in der ihre Kinder leben. Wie sieht die Welt für sie aus? Sie hält ihr Buch aufgeschlagen in der Hand, aber sie kann sich keinen Deut an die Geschichte erinnern, sie ist zu gefesselt von ihren im Wasser spielenden Kindern. Werden sie sich daran erinnern, dass sie hier gespielt haben, wenn sie älter sind? Und wird es ihr gelingen, ihnen eine Kindheit zu ermöglichen, die für sie im Rückblick blaue und sonnige Himmel hatte?
Ein Mann liegt am Beckenrand und lässt einen Arm ins Wasser anders hängen. Auf seinem Gesicht balanciert er eine Sonnenbrille, durch die hindurch er in den sepiafarbenen Himmel blickt. Er zieht seinen Arm langsam durchs Wasser und spürt die kleinen Wellen, die seine Finger auf der Wasseroberfläche auslösen. Er träumt von Jamaika. Er war noch nie dort, erinnert sich aber an die Geschichten, die ihm sein Großvater aus seiner Kindheit erzählt hat. Wenn der Himmel über Brixton besonders blau ist, schaut er gerne hoch und stellt sich vor, dass es der gleiche Himmel ist, den sein Großvater als kleiner Junge gesehen hat.
Auf der Terrasse legt Rosemary in ihrem Plastikstuhl den Kopf in den Nacken und blickt in den Himmel. Die Sonne scheint warm auf ihr Gesicht und ihre Brust, und ihr entfährt ein kleiner Seufzer. Zwei
Vögel jagen einander, und ein Flugzeug zieht einen Kondensstreifen hinter sich her wie ein Wimpelband. Sie fragt sich, wohin es wohl unterwegs ist. Vielleicht sitzen Frank und Jermaine auf dem Weg in ihre Flitterwochen darin. Sie haben einem Angestellten die Verantwortung für die Buchhandlung und für Sprout übertragen, und diese Woche sind im Schaufenster nur Liebesgeschichten ausgestellt.
Rosemary versucht sich vorzustellen, wie es ist, in einem Flugzeug zu reisen.
Würde es in ihren Ohren knacken, wenn das Flugzeug abhebt, hätte sie Angst, den Boden unter sich zu lassen? Wie würde ihr Zuhause aus der Luft aussehen? Würde sie Brixton und das Blau des Schwimmbads überhaupt erkennen können? Sie umfasst die Arme ihres Stuhls und tappt mit ihren nackten Füßen auf den Beton, um sich zu versichern, wo sie ist. Ein Platschen kommt vom Becken herüber, eine Gruppe von Kindern springt gerade auf der flachen Seite ins Wasser.
„Würdest du mir bitte die Sonnencreme geben?“, fragt Rosemary, öffnet die Augen und wendet sich an Kate, die auf dem Stuhl neben ihr sitzt. Kate trägt einen Badeanzug, ein Handtuch um die Hüften, hat die Beine ausgestreckt und die Knöchel übergeschlagen. Eine Zeitschrift liegt auf ihrem Schoß. Ihr Gesicht ist der Inbegriff von Zufriedenheit.
Ausnahmsweise schwimmen sie nicht nur, sondern erlauben sich eine Ruhepause neben dem Becken.
Es ist ein ungewöhnlich heißer Sonntag, und es hat den Anschein, als würde ganz Brixton am Wasser herumlungern. Kate hat Rosemary dasselbe vorgeschlagen, die an all die Sommer dachte, die sie im Freibad verbracht hat, und zustimmte. Kates Vorschlag, etwas so Faules zu tun, wie in der Sonne zu liegen, hat sie auch erstaunt, aber sie glaubt, dass es Kate sehr guttut.
Rosemary nimmt von Kate die Flasche mit Sonnencreme entgegen und reibt sich die Lotion auf das Gesicht und die Schultern. Sie liebt den Geruch. Im Sommer cremte sie George immer den Rücken ein und genoss es, wie sich sein fester Körper unter ihren Händen anfühlte. Wenn sie fertig war, küsste sie ihn immer auf die Schulterblätter und schmeckte seinen Schweiß, die Sonnencreme und einen Hauch von Chlor.
„Gib mir mal eine von denen“, sagt Rosemary und zeigt auf den Stapel Zeitschriften neben Kates Stuhl. Kate sieht auf den Boden und dann wieder Rosemary an.
„Wirklich? Sie sind echt trashig“, sagt sie.
„Ich brauch etwas Trashiges“, entgegnet Rosemary und greift nach der Zeitschrift, die Kate ihr reicht. „Für Shakespeare ist es zu heiß.“
Sie lässt sich in den Stuhl zurücksinken und schlägt das glänzende Cover auf.