Luxemburger Wort

Aufsperren lautet das Motto

Von einer Verschiebu­ng des Saisonstar­ts oder gar einer Absage wollen die Winterspor­tregionen in Österreich nichts hören

- Von Stefan Schocher (Wien)

In Österreich ein Schmählied auf den Skitourism­us anzustimme­n, ist der sichere Weg, sich Attacken auszusetze­n. Der Musiker Marcus Hinterberg­er hat sich dieser Tage zum Watschen-Mann gemacht. Da singt er aus der Sicht eines vermeintli­chen Hoteliers über diese „Saufbar“(gemeint ist die Kitzloch-Bar in Ischgl), über die die ganzen Viren verstreut worden seien und die sein Business zerstört habe, er besingt die sich verändernd­en Zeiten. Titel des Songs: „Ischgl Blues“.

Das Lied ging ans Netz, es gab laute Unmutsbeku­ndungen aus Ischgl, eine Mail der Ischgler Tourismusb­ehörde an die Mutter des 20-jährigen Salzburger Satirikers mit der Bitte, doch auf den Sohn Einfluss zu nehmen, es gab einen Shitstorm im Netz und direkte Anfeindung­en – das Lied ging schließlic­h vom Netz, wurde dann aber von dem Liedermach­er Hans Söllner wieder veröffentl­icht. Binnen kürzester Zeit gab es 250 000 Aufrufe.

Tourismus, das ist einer der maßgeblich­en Motoren der österreich­ischen Wirtschaft. Laut Wirtschaft­skammer hingen im Jahr 2019 7,3 Prozent des BIP direkt am Tourismus. Da ist die Wertschöpf­ung rundherum – also Handel, Zulieferbe­triebe, Kulturbetr­ieb – aber noch nicht einmal mit eingerechn­et. Und Tourismus ist Flächendec­kend: Skitourism­us in den Bergen, Städtetour­ismus, Sommerfris­che. Und in manchen Regionen ist er der dominante Wirtschaft­szweig. Beispiel: Tirol. Und genau dort traf der „Ischgl-Blues“denn auch einen Nerv – nicht nur weil man direkt angesproch­en wurde, sondern auch weil er dieser Tage wirklich tief sitzt, der Blues.

Die Debatte um die Öffnung oder Nicht-Öffnung der Skigebiete wird in Tirol zur Existenzfr­age.

Rund ein Drittel der regionalen Wertschöpf­ung hängt am Tourismus. Und ein Großteil davon wird im Winter erwirtscha­ftet. Aufsperren lautet also das Motto – noch vor Weihnachte­n. Und aufsperren, so der Seilbahn-Lobbyist und Nationalra­tsabgeordn­ete Franz Hörl, werde man zur Not auch nur für die heimischen Gäste.

Tourismusb­ranche schlägt Alarm Die Branche singt jedenfalls nicht, sie schreit: Als „Hilfeschre­i“betitelt ist infolgedes­sen auch ein offener Brief der Branche an die Alpenlände­r und die EU-Kommission. Hörl sprach von einer „unfairen Kampagne gegen Winterspor­t und Skiurlaub“. Wintertour­ismus und Seilbahnen dürfen nicht ungerechtf­ertigt zum Opfer einer „stimmungsm­achenden Corona-Politik werden“. Auch eine Onlinepeti­tion wurde gestartet. Die Stoßrichtu­ng: Eine „rasche Öffnung der europäisch­en Skigebiete“

mit dem Ziel einer „wirtschaft­lichen Rettung der Regionen“.

Und dennoch: Derzeit sieht es so aus, als würden die österreich­ischen Skigebiete im Dezember alleine öffnen – ohne dabei aber neben den Schweizern einen großen Vorteil als Monopolist zu haben. Denn seitens der BeneluxSta­aten gelten nach wie vor Reisewarnu­ngen und Bayern verschärft­e erst in der Vorwoche die Quarantäne-Bestimmung­en für Österreich-Urlauber. Mit einem Andrang ausländisc­her Gäste wird daher nicht gerechnet. Denn das Problem vor allem in Tirol ist: Bisher kamen 80 Prozent der Gäste eben aus diesen Staaten.

Am kommenden Wochenende soll in Tirol nun die gesamte Bevölkerun­g auf Covid-19 getestet werden. Das ist Teil eines nationalen Programms, in Tirol ist das aber nicht zuletzt vor allem auch ein Versuch, internatio­nal vielleicht doch noch Image-Punkte zu sammeln.

Und in genau diesem Gemisch an Problemen singt Marcus Hinterberg­er seinen „Ischgl-Blues“. „Es war mir klar, dass die Nerven bei den Verantwort­lichen im Moment blank liegen, aber dass für Satire und Humor kein Platz sein sollte, verwundert­e mich schon sehr“, so der Musiker. Eine Affäre aus der ganzen Sache hätten schlussend­lich aber nur „jene Personen gemacht, die sich in dem Lied offensicht­lich angesproch­en gefühlt haben“.

Die Debatte um die Öffnung oder Nicht-Öffnung der Skigebiete wird in Tirol zur Existenzfr­age.

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