Aufsperren lautet das Motto
Von einer Verschiebung des Saisonstarts oder gar einer Absage wollen die Wintersportregionen in Österreich nichts hören
In Österreich ein Schmählied auf den Skitourismus anzustimmen, ist der sichere Weg, sich Attacken auszusetzen. Der Musiker Marcus Hinterberger hat sich dieser Tage zum Watschen-Mann gemacht. Da singt er aus der Sicht eines vermeintlichen Hoteliers über diese „Saufbar“(gemeint ist die Kitzloch-Bar in Ischgl), über die die ganzen Viren verstreut worden seien und die sein Business zerstört habe, er besingt die sich verändernden Zeiten. Titel des Songs: „Ischgl Blues“.
Das Lied ging ans Netz, es gab laute Unmutsbekundungen aus Ischgl, eine Mail der Ischgler Tourismusbehörde an die Mutter des 20-jährigen Salzburger Satirikers mit der Bitte, doch auf den Sohn Einfluss zu nehmen, es gab einen Shitstorm im Netz und direkte Anfeindungen – das Lied ging schließlich vom Netz, wurde dann aber von dem Liedermacher Hans Söllner wieder veröffentlicht. Binnen kürzester Zeit gab es 250 000 Aufrufe.
Tourismus, das ist einer der maßgeblichen Motoren der österreichischen Wirtschaft. Laut Wirtschaftskammer hingen im Jahr 2019 7,3 Prozent des BIP direkt am Tourismus. Da ist die Wertschöpfung rundherum – also Handel, Zulieferbetriebe, Kulturbetrieb – aber noch nicht einmal mit eingerechnet. Und Tourismus ist Flächendeckend: Skitourismus in den Bergen, Städtetourismus, Sommerfrische. Und in manchen Regionen ist er der dominante Wirtschaftszweig. Beispiel: Tirol. Und genau dort traf der „Ischgl-Blues“denn auch einen Nerv – nicht nur weil man direkt angesprochen wurde, sondern auch weil er dieser Tage wirklich tief sitzt, der Blues.
Die Debatte um die Öffnung oder Nicht-Öffnung der Skigebiete wird in Tirol zur Existenzfrage.
Rund ein Drittel der regionalen Wertschöpfung hängt am Tourismus. Und ein Großteil davon wird im Winter erwirtschaftet. Aufsperren lautet also das Motto – noch vor Weihnachten. Und aufsperren, so der Seilbahn-Lobbyist und Nationalratsabgeordnete Franz Hörl, werde man zur Not auch nur für die heimischen Gäste.
Tourismusbranche schlägt Alarm Die Branche singt jedenfalls nicht, sie schreit: Als „Hilfeschrei“betitelt ist infolgedessen auch ein offener Brief der Branche an die Alpenländer und die EU-Kommission. Hörl sprach von einer „unfairen Kampagne gegen Wintersport und Skiurlaub“. Wintertourismus und Seilbahnen dürfen nicht ungerechtfertigt zum Opfer einer „stimmungsmachenden Corona-Politik werden“. Auch eine Onlinepetition wurde gestartet. Die Stoßrichtung: Eine „rasche Öffnung der europäischen Skigebiete“
mit dem Ziel einer „wirtschaftlichen Rettung der Regionen“.
Und dennoch: Derzeit sieht es so aus, als würden die österreichischen Skigebiete im Dezember alleine öffnen – ohne dabei aber neben den Schweizern einen großen Vorteil als Monopolist zu haben. Denn seitens der BeneluxStaaten gelten nach wie vor Reisewarnungen und Bayern verschärfte erst in der Vorwoche die Quarantäne-Bestimmungen für Österreich-Urlauber. Mit einem Andrang ausländischer Gäste wird daher nicht gerechnet. Denn das Problem vor allem in Tirol ist: Bisher kamen 80 Prozent der Gäste eben aus diesen Staaten.
Am kommenden Wochenende soll in Tirol nun die gesamte Bevölkerung auf Covid-19 getestet werden. Das ist Teil eines nationalen Programms, in Tirol ist das aber nicht zuletzt vor allem auch ein Versuch, international vielleicht doch noch Image-Punkte zu sammeln.
Und in genau diesem Gemisch an Problemen singt Marcus Hinterberger seinen „Ischgl-Blues“. „Es war mir klar, dass die Nerven bei den Verantwortlichen im Moment blank liegen, aber dass für Satire und Humor kein Platz sein sollte, verwunderte mich schon sehr“, so der Musiker. Eine Affäre aus der ganzen Sache hätten schlussendlich aber nur „jene Personen gemacht, die sich in dem Lied offensichtlich angesprochen gefühlt haben“.
Die Debatte um die Öffnung oder Nicht-Öffnung der Skigebiete wird in Tirol zur Existenzfrage.