Zu real für die Kinos
In Nigeria werden Filme mit unerwünschtem Inhalt von einer staatlichen Behörde gnadenlos zensiert
In ihrer Heimat Nigeria war Aisha eine Melkerin. Eines Tages stürmten Islamisten eine Hochzeit in ihrem Dorf, erschossen 49 Gäste und entführten die Jugendliche gemeinsam mit ihrer Schwester. Die eine der beiden wurde eine Kinderbraut, die andere von den Gotteskriegern so lange indoktriniert, bis sie selbst überzeugte Dschihadistin war. In dem westafrikanischen Land, in dem die Terrorsekte Boko Haram regelmäßig über Dörfer herfällt, könnte Aishas und Zainabs Schicksal das jeder beliebigen Nigerianerin sein. Tatsächlich handelt es sich bei den beiden aber um Hauptcharaktere eines neuen Spielfilms, „The Milkmaid“. Und das gefällt der Regierung gar nicht.
Strenge Zensurbehörde
Vor der Kinopremiere wurde der Spielfilm um 30 Minuten gekürzt.
Nicht von den Produzenten, sondern vom National Film and Video Censors Board (NFVCB). In Nigeria ist die Zensurbehörde dafür berüchtigt zu streichen, was die strengen Kultur- und Religionsgesetze infrage stellen könnte.
Nigeria ist mit 200 Millionen das Land mit den meisten Einwohnern Afrikas. Gewalt, Fragen über sexuelle oder religiöse Identität und das Dasein in Randgruppen bestimmen den Alltag von vielen. Nichtsdestotrotz geht die Regierung
seit Jahren gegen Filme vor, die diese heiklen Themen ansprechen. Sie sind in ihren Augen zu real für die Kinoleinwände.
„The Milkmaid“ist inspiriert von wahren Ereignissen: 2014 sorgte die Boko Haram weltweit für Aufsehen, als sie 276 Schülerinnen in der Stadt Chibok entführte. „Durch diese Geschichte versucht Drehbuchautor und Regisseur David Ovbiagele, die Welt einmal mehr auf das Übel in dieser Region aufmerksam zu machen“, heißt es von der panafrikanischen Zeitschrift „The Continent“.
Dutzende zensierte Filme
Doch der Spielfilm teilt dasselbe Schicksal wie Dutzende andere mit pikantem Inhalt zuvor: 2013 verbannten die Zensoren etwa eine Doku über Korruption im staatlichen Ölsektor, da diese „öffentliches Chaos“schürte. Und auch sie wissen mit Sicherheit, dass es ihr
Film nicht auf die Leinwände schaffen würde: In ihrer Produktion „Ife“erzählen die nigerianischen Filmemacherinnen Pamela Adie und Uyaiedu Ikpe-Etim die Geschichte eines lesbischen Liebespaars. Damit riskieren sie gleichzeitig eine Gefängnisstrafe, denn Nigeria ist eines von mehr als 30 afrikanischen Ländern, das Homosexualität verbietet.
„Ife“, was in der Sprache der Yoruba-Volksgruppe „Liebe“bedeutet, soll daher die Zensoren umgehen und online ausgestrahlt werden. Geplant ist die Premiere für kommende Woche. Doch bereits im Vorfeld deutete der Vorsitzende der nigerianischen Zensurbehörde an, auch gegen den Onlinefilm vorgehen zu wollen, falls dieser gleichgeschlechtliche Liebe „bewerbe“. Gegenüber der BBC hielt er fest: „Wenn es sich um Inhalt aus Nigeria handelt, muss er zensiert werden.“m.s.