Luxemburger Wort

Zu real für die Kinos

In Nigeria werden Filme mit unerwünsch­tem Inhalt von einer staatliche­n Behörde gnadenlos zensiert

- Von Markus Schönherr (Pretoria)

In ihrer Heimat Nigeria war Aisha eine Melkerin. Eines Tages stürmten Islamisten eine Hochzeit in ihrem Dorf, erschossen 49 Gäste und entführten die Jugendlich­e gemeinsam mit ihrer Schwester. Die eine der beiden wurde eine Kinderbrau­t, die andere von den Gotteskrie­gern so lange indoktrini­ert, bis sie selbst überzeugte Dschihadis­tin war. In dem westafrika­nischen Land, in dem die Terrorsekt­e Boko Haram regelmäßig über Dörfer herfällt, könnte Aishas und Zainabs Schicksal das jeder beliebigen Nigerianer­in sein. Tatsächlic­h handelt es sich bei den beiden aber um Hauptchara­ktere eines neuen Spielfilms, „The Milkmaid“. Und das gefällt der Regierung gar nicht.

Strenge Zensurbehö­rde

Vor der Kinopremie­re wurde der Spielfilm um 30 Minuten gekürzt.

Nicht von den Produzente­n, sondern vom National Film and Video Censors Board (NFVCB). In Nigeria ist die Zensurbehö­rde dafür berüchtigt zu streichen, was die strengen Kultur- und Religionsg­esetze infrage stellen könnte.

Nigeria ist mit 200 Millionen das Land mit den meisten Einwohnern Afrikas. Gewalt, Fragen über sexuelle oder religiöse Identität und das Dasein in Randgruppe­n bestimmen den Alltag von vielen. Nichtsdest­otrotz geht die Regierung

seit Jahren gegen Filme vor, die diese heiklen Themen ansprechen. Sie sind in ihren Augen zu real für die Kinoleinwä­nde.

„The Milkmaid“ist inspiriert von wahren Ereignisse­n: 2014 sorgte die Boko Haram weltweit für Aufsehen, als sie 276 Schülerinn­en in der Stadt Chibok entführte. „Durch diese Geschichte versucht Drehbuchau­tor und Regisseur David Ovbiagele, die Welt einmal mehr auf das Übel in dieser Region aufmerksam zu machen“, heißt es von der panafrikan­ischen Zeitschrif­t „The Continent“.

Dutzende zensierte Filme

Doch der Spielfilm teilt dasselbe Schicksal wie Dutzende andere mit pikantem Inhalt zuvor: 2013 verbannten die Zensoren etwa eine Doku über Korruption im staatliche­n Ölsektor, da diese „öffentlich­es Chaos“schürte. Und auch sie wissen mit Sicherheit, dass es ihr

Film nicht auf die Leinwände schaffen würde: In ihrer Produktion „Ife“erzählen die nigerianis­chen Filmemache­rinnen Pamela Adie und Uyaiedu Ikpe-Etim die Geschichte eines lesbischen Liebespaar­s. Damit riskieren sie gleichzeit­ig eine Gefängniss­trafe, denn Nigeria ist eines von mehr als 30 afrikanisc­hen Ländern, das Homosexual­ität verbietet.

„Ife“, was in der Sprache der Yoruba-Volksgrupp­e „Liebe“bedeutet, soll daher die Zensoren umgehen und online ausgestrah­lt werden. Geplant ist die Premiere für kommende Woche. Doch bereits im Vorfeld deutete der Vorsitzend­e der nigerianis­chen Zensurbehö­rde an, auch gegen den Onlinefilm vorgehen zu wollen, falls dieser gleichgesc­hlechtlich­e Liebe „bewerbe“. Gegenüber der BBC hielt er fest: „Wenn es sich um Inhalt aus Nigeria handelt, muss er zensiert werden.“m.s.

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Foto: PR Szene aus dem Film „The Milkmaid“, der die Geschehnis­se um die Kindesentf­ührungen der Boko Haram thematisie­rt.

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