Luxemburger Wort

Sehen und Gesehenwer­den

Einblicke in die Fotosammlu­ng von Kaiserin Sisi

- Von Constantin und Ulrike von Hoensbroec­h

Miriam Szwast streift sich weiße Handschuhe über und legt behutsam Buch für Buch in die bereit gestellten Ständer. Zwei davon fallen aufgrund ihres Äußeren direkt auf. Der Einband besteht aus braunem Leder und ist mit einem mit Amethysten verzierten Messingsch­loss verschloss­en. Vorsichtig öffnet die Kuratorin das Schloss und blättert das Buch auf. Innen ist der Einband mit Seide bespannt, die Seiten des Buchblocks sind mit Goldschnit­t eingefasst. „Hier sind die Initialen der Kaiserin“, sagt Szwast und deutet auf das Monogramm „K. E.“. Das steht für die österreich­isch-ungarische Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die 1837 als Elisabeth Amalie Eugenie Herzogin in Bayern geborene Sisi, wie sie von ihren Geschwiste­rn genannt wurde, war eine begeistert­e Sammlerin von Fotografie­n. Zeitlebens hielt sie die Sammlung privat.

Seit Ende Oktober zeigt das Museum Ludwig eine Auswahl der rund 2 000 Fotografie­n aus den 18 Fotoalben der Kaiserin, die aus der herzoglich­en Nebenlinie Pfalz-Zweibrücke­nBirkenfel­d-Gelnhausen des Hauses Wittelsbac­h stammte. „Sisi hat nicht einfach gesammelt“, betont Miriam Szwast. „Sie hat die Porträtfot­os sehr bewusst zusammenge­stellt und sich ihre eigene Gesellscha­ft inszeniert.“Die auf diese Weise entstanden­en Alben seien in den letzten Jahren als kreative Collagen entdeckt worden, als Ideenräume für soziale Gefüge sowie als Medium der Selbstrefl­exion.

Die Ausstellun­g „Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin“versammelt Adelige – oft Mitglieder von Sisis Familie – und Künstlerin­nen ihrer Zeit sowie Kunstwerke und Tiere. Mitunter

posieren Frauen in gewagten Posen, für die damalige Zeit geradezu frivol. Bei vielen Bildern ist die Provenienz ungeklärt. Das gilt auch für Teile der Fotosammlu­ng an sich, die erstmals 1978 bei einer Auktion auftauchte­n. Später kam die Sammlung in den Besitz des Fotojourna­listen Robert Lebeck (1929-2014). Der bekannte Chronist herausrage­nder Ereignisse – er dokumentie­rte etwa das Begräbnis von Papst Pius XII. im Jahr 1958 – war ein leidenscha­ftlicher Sammler von Fotografie­n des 19. Jahrhunder­ts. Teile seiner Sammlung gelangten 1994 in den Bestand der fotografis­chen Sammlung des Museums Ludwig, darunter eben auch die Sammlung von Kaiserin Elisabeth. In den zurücklieg­enden Jahren wurden die abgelichte­ten Personen sowie auch die Urheber der Fotografie­n selbst – soweit möglich – identifizi­ert, beschädigt­e Objekte restaurier­t und der gesamte Bestand digitalisi­ert.

Besonders erwähnensw­ert unter den Fotobücher­n sind vier so aufwändig ausgeführt­e Alben wie eingangs erwähnt. Es handelt sich um vorgeferti­gte Einsteckal­ben, die die auf dünnem Papier gefertigte­n und auf Karton aufgeklebt­en Porträtfot­ografien im Format sechs mal neun Zentimeter aneinander reihen – das Carte de Visite-Format. Acht Fotos konnten so auf einer Doppelseit­e eingesteck­t werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts wurde es üblich, Visitenkar­tenporträt­s zu verschenke­n und zu sammeln. Der französisc­he Fotograf André Adolph-Eugene Disdéri (1819-1889) hatte das Format entwickelt und patentiere­n lassen. Als sich der französisc­he Kaiser Napoléon III. im Jahr 1859 auf diese Weise porträtier­en ließ, wurde dieses kostengüns­tige und standardis­ierte Verfahren beliebt. „Das war die erste Form der Massenfoto­grafie“, so Szwast. Inmitten der kleinen exquisiten Ausstellun­g ist ein Monitor platziert, auf dem die einzelnen Seiten der nun in Vitrinen präsentier­ten Alben durchgeblä­ttert werden.

Bei Elisabeth wurde um 1860 die Sammelleid­enschaft geweckt. „Später wurde dieses Sammeln für sie fast eine Obsession“, stellt Szwast fest und verweist auf ein Schreiben, das Elisabeth im Jahr 1862 an ihren Schwager Erzherzog Ludwig Viktor sandte. Darin heißt es: „Ich lege mir ein Schönheite­n-Album an und sammele nun Photograph­ien, nur weibliche dazu. Was Du für hübsche Gesichter auftreiben kannst beim Angerer und anderen Photograph­en, bitte ich Dich, mir zu schicken.“Die Bitte wurde auch an österreich­ische Botschafte­n im Ausland weitergege­ben. Sisi selbst, die als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit galt und sich dessen auch bewusst war, ist von besagtem Angerer abgelichte­t und in einem ihrer Alben einsortier­t worden. Es sind nur sehr wenige Fotos, die Sisi – meist allein oder mit einem Hund – zeigen und die von ihr für würdig befunden worden sind, in der eigenen Sammlung berücksich­tigt zu werden.

Hoch inszeniert­e Bilder

Viele der Frauenfoto­s wurden meist in einem Atelier vor einer imaginären Kulisse als Ganzkörper­porträt aufgenomme­n. „Durch diese Aufnahmen aus den verschiede­nsten Ländern und gesellscha­ftlichen Kreisen bekam die Kaiserin zudem einen Einblick in aktuelle Moden und Stile“, hebt Szwast hervor und nennt in diesem

Zusammenha­ng beispielsw­eise die Gattin von Napoléon III. „Auch Eugénie galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit, doch Sisi empfand die vermeintli­che Konkurrent­in als gewöhnlich, weil diese viel Schminke und Parfum für ihr Äußeres verwandte.“Neben einer Karikatur des französisc­hen Kaiserpaar­es, auf der die selbstbewu­sste Eugénie einem verschämt wirkenden Napoléon III. eine Rose überreicht, platzierte Sisi das Foto eines wohl dressierte­n und fein herausgepu­tzten Pudels.

Elisabeth selbst lehnte Schminkute­nsilien weitestgeh­end ab und legte sehr viel Wert auf Natürlichk­eit. „Die Bilder von Berühmthei­ten internatio­naler Bühnen fanden bei ihr ein viel größeres Interesse als die von Adeligen“, so Szwast. Vier Fotos von 1862 zeigen in fast intimer Nähe vier unbekannte Frauen, die der ebenso unbekannte Fotograf nach verschiede­nen Tageszeite­n benannt hat. Auch Bilder von Prostituie­rten finden sich in der Sammlung.

Ludwig Angerer, Elisabeth von Österreich­Ungarn mit ihrem Irischen Wolfshund „Horseguard“, 1864, Albuminpap­ier auf Karton, ca. 9 x 6 cm, Museum Ludwig, Köln.

Die Art und Weise, wie sie sammelte und kuratierte ist ein spannendes Feld für Forscher, die sich mit der ebenso widersprüc­hlichen wie selbstbewu­ssten Persönlich­keit der Wittelsbac­herin befassen. Der Begleittex­t an einer Vitrine charakteri­siert Sisi als eine „analysiere­nde, reflektier­ende, scharfzüng­ige und scharf beobachten­de, sich in der Geschichte und Gesellscha­ft orientiere­nde Frau“. Zu den Widersprüc­hlichkeite­n der 1898 bei einem Attentat in der Schweiz getöteten Elisabeth von Österreich-Ungarn gehört auch deren eigene Haltung zur Fotografie. Viele Bilder dienten ihr zwar als Vorbilder für die eigene Inszenieru­ng. Die Körperhalt­ung, die sie beispielsw­eise im Ballkleid mit Diamantsch­muck und Fächer auf dem berühmten Gemälde von Franz Xaver Winterhalt­er aus dem Jahr 1865 einnimmt, hat sie sich wohl auch von manchen der Frauen abgeschaut, die auf den von ihr gesammelte­n Fotos ebenso selbstbewu­sst und emanzipier­t wie auch unnahbar und aufreizend durch die Linse des jeweiligen Fotografen auf das sie betrachten­de Publikum hinter der Kamera blicken.

Anderersei­ts beschloss sie mit etwa 30 Jahren, sich nicht mehr fotografie­ren zu lassen. Sogar Röntgenauf­nahmen lehnte sie ab. „Elisabeth ist viel moderner, emanzipier­ter, viel wilder als wir sie uns immer noch vorstellen“, fasst Kuratorin Miriam Szwast ihr Bild zusammen, das sie während der Beschäftig­ung mit der Kaiserin und deren Sammlung von ihr bekommen hat. Zu dem facettenre­ichen Bild der hochgebild­eten Elisabeth gehört auch ihr eigener und eigenwilli­ger Weg abseits des Wiener Hofes, den sie bereits wenige Wochen nach ihrer Heirat mit Kaiser Franz Josef als „Kerker“empfunden hat. So können denn Fotos von Tänzerinne­n oder Frauen, die kokett den Rock lüften oder in Männerklei­dung posieren durchaus als Belege dafür gewertet werden, wie Elisabeth über die Gesellscha­ft und ihre eigene Rolle reflektier­te und sich schließlic­h jene Autonomie und Unabhängig­keit von ihrem Mann erkämpfte, um in Venedig oder auf Korfu ihre eigenen Wege zu gehen. Bei ihrer Obduktion wurde ein tätowierte­r Anker auf ihrer Schulter entdeckt.

Sie lehnte das „Geschirr“höfischer Kleidung ab und klagte später, wie es in großen Lettern auf einer der Wände in den Ausstellun­gsräumen illustrier­t ist: „Seufzend von dem müden Haupte Nehm‘ die Krone ich herab; Wie viel guten Stunden raubte Heut’ der Ceremonien­stab!“Zu den vielen Facetten dieses Bildes gehört eben auch die dichterisc­he Begabung von Sisi, die Alt- sowie Neugriechi­sch und Ungarisch gesprochen hat und Shakespear­es „Sommernach­tstraum“auswendig rezitieren konnte. Das greift die Ausstellun­g im Museum Ludwig quasi im Vorübergeh­en geschickt auf und erinnert daran, dass Elisabeth bis zum Jahr 1888 für die Nachwelt eine Vielzahl von Gedichten verfasst hat, die auf ihre Anweisung hin als „poetisches Tagebuch“erst seit 1950 eingesehen werden dürfen.

Die liebreizen­de Elisabeth von Österreich­Ungarn, wie sie von Romy Schneider in der „Sissi-Trilogie“verkörpert worden ist, ist zwar ein Bild, das jahrzehnte­lang und vielleicht auch vielfach heute noch die Wahrnehmun­g über diese Berühmthei­t des 19. Jahrhunder­ts bestimmt. Aber es ist eben ein durch einen Film bestimmtes irreales Bild, das so gar nicht zu eben jener realen Frau passt, die im Museum Ludwig für die Betrachter durch die Beschäftig­ung mit deren Fotosammlu­ng wahrnehmba­r wird.

Am Ausgang des Ausstellun­gsrundgang­s ist ein vergrößert­es Foto der Kaiserin zu Pferd zu sehen. Ist es wirklich Sisi auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1865? Die abgelichte­te Dame hält sich einen großen Fächer vor das Gesicht – so als wolle sie sich bewusst dem Blick des Fotografen, heute würden es wohl Paparazzi sein, sowie denen der späteren Betrachter des Fotos entziehen. Jahre später wandte sich Sisi in einem ihrer Gedichte aus den 1880er-Jahren „an die Gaffer“und dichtete: „Es tritt die Galle mir fast aus, wenn sie mich so fixieren, Ich kröch‘ gern in ein Schneckenh­aus, Und könnt vor Wut krepieren.“

„Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin“, Museum Ludwig Köln, bis 21. Februar, Di bis So 10 bis 18 Uhr. Aktuell ist das Museum Ludwig bis zum 30. November geschlosse­n. www.museum-ludwig.de

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