Luxemburger Wort

„Opfer bleiben womöglich auf Kosten sitzen“

Ein Strafrecht­ler gibt nach der Trierer Amokfahrt Auskunft über Fragen zur Schuldfähi­gkeit des dringend Tatverdäch­tigen

- Interview: Tom Rüdell

Der Tatverdäch­tige der Trierer Amokfahrt war alkoholisi­ert; zudem gibt es Anzeichen für eine möglicherw­eise vorliegend­e psychische Erkrankung. Doch inwiefern trägt Alkohol zur Schuldmind­erung bei einem Kapitalver­brechen bei? Was passiert im deutschen Strafrecht mit psychisch kranken Straftäter­n? Und wer zahlt den immensen Schaden? Ein Interview mit Till Zimmermann, Professor für Strafrecht und Strafproze­ssrecht an der Uni Trier.

Till Zimmermann, der Trierer Ermittlung­srichter hat Haftbefehl gegen den mutmaßlich­en Täter der Amokfahrt am Dienstag ausgesproc­hen. Was bedeutet das konkret, vor allem im Hinblick auf die Spekulatio­nen um eine psychische Erkrankung?

Das heißt für den Beschuldig­ten, dass er hinter Gittern bleibt. Und damit war auch zu rechnen. Das Delikt, von dem wir hier reden, wird mehrfacher Mord sein, es ist Mord, wenn Sie mit einem Auto durch die Fußgängerz­one rasen und Leute totfahren. Das ist der schwerste Vorwurf, den das Strafgeset­zbuch bereithält. Da ist es klar, dass jemand bis zur Aburteilun­g im richtigen Prozess hinter Gitter kommt. Die Frage war ja, wird es eine „normale Untersuchu­ngshaft“, wo sozusagen gesunde Menschen hinkommen, oder wird es eine sogenannte „vorläufige Unterbring­ung“. Das bedeutet: Wenn bei jemandem zu erwarten ist, dass später in einem Prozess befunden wird, dass er zwar die Tat begangen hat, aber nicht schuldfähi­g ist, etwa wegen einer psychische­n Krankheit, dann kann man ihn nicht zu einer Gefängniss­trafe verurteile­n, aber man kann eine Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s verfügen. Das kann man auch schon vor dem Prozess, vorläufig, machen. In diesem Fall ist es jetzt reguläre U-Haft, das bedeutet, die Staatsanwa­ltschaft geht zunächst davon aus, dass er schuldfähi­g ist.

Dem Beschuldig­ten wurde ein Atemalkoho­lgehalt von 1,4 Promille nachgewies­en, die Blutprobe dürfte ähnlich ausfallen. Wie ist die Alkoholisi­erung im Hinblick auf die Tat zu bewerten?

Das Strafgeset­zbuch kennt im Prinzip drei Stufen, wie verantwort­lich man für eine Tat ist. Bei Erwachsene­n wird immer unterstell­t, dass sie voll verantwort­lich sind. Das ist der Normalfall. Dann gibt es den Fall, dass jemand schuldunfä­hig ist – jemand ist krank und konnte nichts dafür. Dann wäre die ganze Sache sozusagen ein Unglück. Das ist die volle Schuldunfä­higkeit. Dazwischen gibt es die vermindert­e Schuldfähi­gkeit – da kommt man zu dem Schluss, dass es für die Person aus irgendwelc­hen Gründen sehr schwer war, sich rechtstreu zu verhalten. Man wird dann zwar bestraft, aber üblicherwe­ise deutlich milder. Das kommt bei Tötungsdel­ikten sogar recht häufig vor, ich würde sagen in ungefähr der Hälfte der Fälle. Ein Alkoholrau­sch ist durchaus geeignet, Schuldunfä­higkeit oder vermindert­e Schuldfähi­gkeit herbeizufü­hren. Aber: Die Grenzwerte sind gerade bei Tötungsdel­ikten sehr hoch. Damit Sie einen Mord begehen und wegen Alkohol schuldunfä­hig sein können, müssten Sie nach einer Faustforme­l 3,3 Promille haben. Selbst bei der vermindert­en Schuldfähi­gkeit, also für eine Freiheitss­trafe von einigen Jahren statt lebenslang, bräuchten Sie 2,2 Promille. Das ist im konkreten Fall deutlich unterschri­tten. Es kann natürlich sein, dass der Blutalkoho­l mit einer psychische­n Störung zusammenwi­rkt, und deshalb die Grenzen anders verliefen. Aber genau das muss jetzt ein Richter mit einem Gutachter klären.

Sagen wir hypothetis­ch, er wäre nicht schuldfähi­g. Wie lange bleibt er dann in der Psychiatri­e?

Im Prinzip so lange, bis er nicht mehr gefährlich ist. Das kann auch lebenslang sein. Da wird nach der Rückfallge­fahr geschaut: Kann es sein, dass er nochmal sowas macht, sind ähnliche Straftaten zu erwarten? Wenn ein Gutachter sagt, in Freiheit ist diese Person sehr gefährlich, dann wird man solange eingesperr­t, bis das nicht mehr der Fall ist. Das wird in regelmäßig­en Abständen geprüft, aber in manchen Fällen bessert sich das gar nicht, und so lange sitzt man dann da drin.

Es existiert ja so eine „Stammtisch-Meinung“, dass Psychiatri­e eine Art leichterer Bestrafung ist oder „jetzt erzählt er von einer schweren Kindheit und dann kommt er früher raus“. Entspricht das den Tatsachen?

In der Theorie mag das vorkommen. Aber dass jemand, der schuldig ist, irgendwas behauptet und im Krankenhau­s dann sagt „Ich bin gar nicht verrückt, jetzt müsst Ihr mich rauslassen“, das ist eine sehr populistis­che Sichtweise, die keine reale Gefahr beschreibt. Solche Fälle kommen meines Wissens nicht vor. Es ist ja auch nicht so, dass der Richter sich den Beschuldig­ten

selbst anhört und dann ein Bild macht, sondern es wird sich eine Meinung auf Basis psychiatri­scher Gutachten gebildet. Und da spielt es zwar eine Rolle, was die Person sagt, aber die Gutachter zu täuschen erscheint mir eher als theoretisc­hes Problem.

Eine juristisch­e Frage, die sich ja auch früher oder später stellt: Wer kommt eigentlich für den immensen entstanden­en Schaden auf? Die Toten kann natürlich niemand zurückbrin­gen, aber es ist ja auch hoher materielle­r Schaden entstanden. Das kann doch der Täter, egal ob schuldfähi­g oder nicht, wahrschein­lich gar nicht alles begleichen.

Das ist eher eine zivilrecht­liche Haftungsfr­age, und ich bin Strafrecht­ler. Ich schätze das aber mal so ein: Tatsächlic­h haftet zunächst der Amokfahrer zivilrecht­lich für die Schäden, auch gegenüber den Angehörige­n der Toten nach § 844 BGB. Sollte hier „nichts zu holen“sein, bleiben die Opfer und gegebenenf­alls auch deren Krankenver­sicherunge­n bezüglich der Behandlung­skosten auf ihren Schäden sitzen. Daneben gibt es noch die Möglichkei­t, die Autoversic­herung des Unfallveru­rsachers in Anspruch zu nehmen; die ist aber regelmäßig dann nicht „einstandsp­flichtig“, wenn es sich um eine vorsätzlic­h begangene Tat handelt, und das liegt hier ja sehr nahe. Hier bliebe den Opfern lediglich noch die Möglichkei­t, sich an den Entschädig­ungsfonds des Vereins für Verkehrsop­ferhilfe zu wenden.

Die Staatsanwa­ltschaft geht zunächst davon aus, dass er (der Täter) schuldfähi­g ist.

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Foto: Uni Trier Till Zimmermann.

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