„Opfer bleiben womöglich auf Kosten sitzen“
Ein Strafrechtler gibt nach der Trierer Amokfahrt Auskunft über Fragen zur Schuldfähigkeit des dringend Tatverdächtigen
Der Tatverdächtige der Trierer Amokfahrt war alkoholisiert; zudem gibt es Anzeichen für eine möglicherweise vorliegende psychische Erkrankung. Doch inwiefern trägt Alkohol zur Schuldminderung bei einem Kapitalverbrechen bei? Was passiert im deutschen Strafrecht mit psychisch kranken Straftätern? Und wer zahlt den immensen Schaden? Ein Interview mit Till Zimmermann, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Trier.
Till Zimmermann, der Trierer Ermittlungsrichter hat Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Täter der Amokfahrt am Dienstag ausgesprochen. Was bedeutet das konkret, vor allem im Hinblick auf die Spekulationen um eine psychische Erkrankung?
Das heißt für den Beschuldigten, dass er hinter Gittern bleibt. Und damit war auch zu rechnen. Das Delikt, von dem wir hier reden, wird mehrfacher Mord sein, es ist Mord, wenn Sie mit einem Auto durch die Fußgängerzone rasen und Leute totfahren. Das ist der schwerste Vorwurf, den das Strafgesetzbuch bereithält. Da ist es klar, dass jemand bis zur Aburteilung im richtigen Prozess hinter Gitter kommt. Die Frage war ja, wird es eine „normale Untersuchungshaft“, wo sozusagen gesunde Menschen hinkommen, oder wird es eine sogenannte „vorläufige Unterbringung“. Das bedeutet: Wenn bei jemandem zu erwarten ist, dass später in einem Prozess befunden wird, dass er zwar die Tat begangen hat, aber nicht schuldfähig ist, etwa wegen einer psychischen Krankheit, dann kann man ihn nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilen, aber man kann eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verfügen. Das kann man auch schon vor dem Prozess, vorläufig, machen. In diesem Fall ist es jetzt reguläre U-Haft, das bedeutet, die Staatsanwaltschaft geht zunächst davon aus, dass er schuldfähig ist.
Dem Beschuldigten wurde ein Atemalkoholgehalt von 1,4 Promille nachgewiesen, die Blutprobe dürfte ähnlich ausfallen. Wie ist die Alkoholisierung im Hinblick auf die Tat zu bewerten?
Das Strafgesetzbuch kennt im Prinzip drei Stufen, wie verantwortlich man für eine Tat ist. Bei Erwachsenen wird immer unterstellt, dass sie voll verantwortlich sind. Das ist der Normalfall. Dann gibt es den Fall, dass jemand schuldunfähig ist – jemand ist krank und konnte nichts dafür. Dann wäre die ganze Sache sozusagen ein Unglück. Das ist die volle Schuldunfähigkeit. Dazwischen gibt es die verminderte Schuldfähigkeit – da kommt man zu dem Schluss, dass es für die Person aus irgendwelchen Gründen sehr schwer war, sich rechtstreu zu verhalten. Man wird dann zwar bestraft, aber üblicherweise deutlich milder. Das kommt bei Tötungsdelikten sogar recht häufig vor, ich würde sagen in ungefähr der Hälfte der Fälle. Ein Alkoholrausch ist durchaus geeignet, Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit herbeizuführen. Aber: Die Grenzwerte sind gerade bei Tötungsdelikten sehr hoch. Damit Sie einen Mord begehen und wegen Alkohol schuldunfähig sein können, müssten Sie nach einer Faustformel 3,3 Promille haben. Selbst bei der verminderten Schuldfähigkeit, also für eine Freiheitsstrafe von einigen Jahren statt lebenslang, bräuchten Sie 2,2 Promille. Das ist im konkreten Fall deutlich unterschritten. Es kann natürlich sein, dass der Blutalkohol mit einer psychischen Störung zusammenwirkt, und deshalb die Grenzen anders verliefen. Aber genau das muss jetzt ein Richter mit einem Gutachter klären.
Sagen wir hypothetisch, er wäre nicht schuldfähig. Wie lange bleibt er dann in der Psychiatrie?
Im Prinzip so lange, bis er nicht mehr gefährlich ist. Das kann auch lebenslang sein. Da wird nach der Rückfallgefahr geschaut: Kann es sein, dass er nochmal sowas macht, sind ähnliche Straftaten zu erwarten? Wenn ein Gutachter sagt, in Freiheit ist diese Person sehr gefährlich, dann wird man solange eingesperrt, bis das nicht mehr der Fall ist. Das wird in regelmäßigen Abständen geprüft, aber in manchen Fällen bessert sich das gar nicht, und so lange sitzt man dann da drin.
Es existiert ja so eine „Stammtisch-Meinung“, dass Psychiatrie eine Art leichterer Bestrafung ist oder „jetzt erzählt er von einer schweren Kindheit und dann kommt er früher raus“. Entspricht das den Tatsachen?
In der Theorie mag das vorkommen. Aber dass jemand, der schuldig ist, irgendwas behauptet und im Krankenhaus dann sagt „Ich bin gar nicht verrückt, jetzt müsst Ihr mich rauslassen“, das ist eine sehr populistische Sichtweise, die keine reale Gefahr beschreibt. Solche Fälle kommen meines Wissens nicht vor. Es ist ja auch nicht so, dass der Richter sich den Beschuldigten
selbst anhört und dann ein Bild macht, sondern es wird sich eine Meinung auf Basis psychiatrischer Gutachten gebildet. Und da spielt es zwar eine Rolle, was die Person sagt, aber die Gutachter zu täuschen erscheint mir eher als theoretisches Problem.
Eine juristische Frage, die sich ja auch früher oder später stellt: Wer kommt eigentlich für den immensen entstandenen Schaden auf? Die Toten kann natürlich niemand zurückbringen, aber es ist ja auch hoher materieller Schaden entstanden. Das kann doch der Täter, egal ob schuldfähig oder nicht, wahrscheinlich gar nicht alles begleichen.
Das ist eher eine zivilrechtliche Haftungsfrage, und ich bin Strafrechtler. Ich schätze das aber mal so ein: Tatsächlich haftet zunächst der Amokfahrer zivilrechtlich für die Schäden, auch gegenüber den Angehörigen der Toten nach § 844 BGB. Sollte hier „nichts zu holen“sein, bleiben die Opfer und gegebenenfalls auch deren Krankenversicherungen bezüglich der Behandlungskosten auf ihren Schäden sitzen. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, die Autoversicherung des Unfallverursachers in Anspruch zu nehmen; die ist aber regelmäßig dann nicht „einstandspflichtig“, wenn es sich um eine vorsätzlich begangene Tat handelt, und das liegt hier ja sehr nahe. Hier bliebe den Opfern lediglich noch die Möglichkeit, sich an den Entschädigungsfonds des Vereins für Verkehrsopferhilfe zu wenden.
Die Staatsanwaltschaft geht zunächst davon aus, dass er (der Täter) schuldfähig ist.