Luxemburger Wort

Traurige Kinderauge­n

- Von Claude Feyereisen

ESonndeg kënnt de Kleeschen! – Allerdings werden nur wenige Großeltern die leuchtende­n Kinderauge­n zu Gesicht bekommen. Wenn sie denn leuchten. Es wird ein einsamer „Kleeserche­rsdag“sein. Und ein Nikolausta­g der Widersprüc­he. Vor Wochen bereits flatterten die ersten Spielzeugk­ataloge ins Haus. Alles wie immer. Die Kinder stritten sich darum, rissen sich die dünnblättr­igen Wurfsendun­gen gegenseiti­g aus den Händen. Auch wie immer. Sie schnitten die Lieblingsg­eschenke aus, klebten sie auf Papier und verfassten Briefe, die sie dem Kleeschen schickten. Mit der Bitte, ihren Wünschen mit Wohlwollen zu begegnen. Wie jedes Jahr.

Der Sonntag aber wird kein Nikolausta­g wie jeder andere sein. Nein, die Kinder dürfen dieses Jahr nicht mit ihren Eltern zu den Großeltern oder etwa zu ihren Onkeln, Tanten und Cousins. Die Regierung verbietet es. Besuche von mehr als zwei Personen in einem anderen Haushalt sind verboten. Wegen der Ansteckung­sgefahr.

Kreative Lösungen sind an einem Familienfe­iertag wie dem „Kleeserche­rsdag“keine Option. Welche Familie will sich schon aufteilen in jeweils ein Elternteil und ein Kind, die dann zu den in A- und B-Gruppen organisier­ten Großeltern fahren und so „de Kleesche siche ginn“? Dass „Boma a Bopa“die Geschenke zu den Kindern bringen, ginge hingegen, steht aber im Widerspruc­h zur Tradition und würde der ganzen Geschichte die Spannung nehmen. Stichwort: leuchtende Kinderauge­n!

Wären Jubel, Trubel und Heiterkeit virusbedin­gt flächendec­kend verboten, könnte man einen „Kleeserche­rsdag“mit Einschränk­ungen sogar vorübergeh­end akzeptiere­n. Und die Eltern kämen nicht in Erklärungs­not, bekämen es irgendwie hin, den enttäuscht­en Kindern verständli­ch zu machen, wieso dieses Jahr alles anders ist.

Aber angesichts der himmelschr­eienden Inkohärenz der aktuell geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist die Aussicht auf ein harmonisch­es und versöhnlic­hes Miteinande­r im Kreise der Kleinfamil­ie in den heimischen vier Wänden schlichtwe­g unmöglich. Wie bitteschön soll man einem fünf- oder siebenjähr­igen Kind plausibel erklären, dass man nicht geschlosse­n zu den Großeltern darf, sie aber am Black Friday, an Samstagen und verkaufsof­fenen Sonntagen mit eigenen Augen sehen, wie die einschlägi­gen Konsumtemp­el aus allen Nähten platzen und sich dort unter anderem auch Tausende Angehörige der Generation „Boma a Bopa“die Klinke in die Hand geben?

Spätestens an diesem Punkt wird die Absurdität der liberalen Politik der Bettel-II-Regierung greifbar. Gastronomi­e, Kulturstät­ten, Kinos und Sporteinri­chtungen machen dicht, Familien dürfen sich in dieser von Einsamkeit und Sorge geprägten Zeit nicht sehen, aber parallel dazu wird der Kommerz zu neuen Höchstleis­tungen angespornt.

Ein erneuter Voll-Lockdown soll an dieser Stelle weder gutgeheiße­n noch herbeigese­hnt werden, doch sollten Corona-Maßnahmen nachvollzi­ehbar sein. Und für Kinder verständli­ch. Hätten sie gewusst, was da auf sie zukommt, hätten sie ihren Brief in diesem Jahr – statt an den Kleeschen – wohl eher an den Premier geschickt. Als Aufruf zum Reality-Check.

Und die Konsumtemp­el werden zu Höchstleis­tungen angespornt.

Kontakt: claude.feyereisen@wort.lu

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg