Traurige Kinderaugen
ESonndeg kënnt de Kleeschen! – Allerdings werden nur wenige Großeltern die leuchtenden Kinderaugen zu Gesicht bekommen. Wenn sie denn leuchten. Es wird ein einsamer „Kleeserchersdag“sein. Und ein Nikolaustag der Widersprüche. Vor Wochen bereits flatterten die ersten Spielzeugkataloge ins Haus. Alles wie immer. Die Kinder stritten sich darum, rissen sich die dünnblättrigen Wurfsendungen gegenseitig aus den Händen. Auch wie immer. Sie schnitten die Lieblingsgeschenke aus, klebten sie auf Papier und verfassten Briefe, die sie dem Kleeschen schickten. Mit der Bitte, ihren Wünschen mit Wohlwollen zu begegnen. Wie jedes Jahr.
Der Sonntag aber wird kein Nikolaustag wie jeder andere sein. Nein, die Kinder dürfen dieses Jahr nicht mit ihren Eltern zu den Großeltern oder etwa zu ihren Onkeln, Tanten und Cousins. Die Regierung verbietet es. Besuche von mehr als zwei Personen in einem anderen Haushalt sind verboten. Wegen der Ansteckungsgefahr.
Kreative Lösungen sind an einem Familienfeiertag wie dem „Kleeserchersdag“keine Option. Welche Familie will sich schon aufteilen in jeweils ein Elternteil und ein Kind, die dann zu den in A- und B-Gruppen organisierten Großeltern fahren und so „de Kleesche siche ginn“? Dass „Boma a Bopa“die Geschenke zu den Kindern bringen, ginge hingegen, steht aber im Widerspruch zur Tradition und würde der ganzen Geschichte die Spannung nehmen. Stichwort: leuchtende Kinderaugen!
Wären Jubel, Trubel und Heiterkeit virusbedingt flächendeckend verboten, könnte man einen „Kleeserchersdag“mit Einschränkungen sogar vorübergehend akzeptieren. Und die Eltern kämen nicht in Erklärungsnot, bekämen es irgendwie hin, den enttäuschten Kindern verständlich zu machen, wieso dieses Jahr alles anders ist.
Aber angesichts der himmelschreienden Inkohärenz der aktuell geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist die Aussicht auf ein harmonisches und versöhnliches Miteinander im Kreise der Kleinfamilie in den heimischen vier Wänden schlichtweg unmöglich. Wie bitteschön soll man einem fünf- oder siebenjährigen Kind plausibel erklären, dass man nicht geschlossen zu den Großeltern darf, sie aber am Black Friday, an Samstagen und verkaufsoffenen Sonntagen mit eigenen Augen sehen, wie die einschlägigen Konsumtempel aus allen Nähten platzen und sich dort unter anderem auch Tausende Angehörige der Generation „Boma a Bopa“die Klinke in die Hand geben?
Spätestens an diesem Punkt wird die Absurdität der liberalen Politik der Bettel-II-Regierung greifbar. Gastronomie, Kulturstätten, Kinos und Sporteinrichtungen machen dicht, Familien dürfen sich in dieser von Einsamkeit und Sorge geprägten Zeit nicht sehen, aber parallel dazu wird der Kommerz zu neuen Höchstleistungen angespornt.
Ein erneuter Voll-Lockdown soll an dieser Stelle weder gutgeheißen noch herbeigesehnt werden, doch sollten Corona-Maßnahmen nachvollziehbar sein. Und für Kinder verständlich. Hätten sie gewusst, was da auf sie zukommt, hätten sie ihren Brief in diesem Jahr – statt an den Kleeschen – wohl eher an den Premier geschickt. Als Aufruf zum Reality-Check.
Und die Konsumtempel werden zu Höchstleistungen angespornt.
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