Luxemburger Wort

Abgang der Roten

Vierte Wahl in 18 Monaten in Rumänien

- Von Stefan Schocher (Wien)

Es ist das vierte Mal in nur 18 Monaten, dass die Rumänen zu den Urnen gerufen werden. Und es ist eine Wahl, die die Wogen glätten könnte, die die turbulente­n vergangene­n Jahre in Rumänien hoch gepeitscht haben – sollte man denken. Am Sonntag wird jedenfalls ein neues Parlament gewählt. Zur Abstimmung steht dabei die Regierung von Premier Ludovic Orban – eine Übergangsr­egierung, die Anfang November 2019 überhastet das Ruder übernommen hatte, die bereits im Februar 2020 vom Parlament entlassen wurde, die dann aber doch wieder übernahm. Ein Krisenkabi­nett. Eine Minderheit­sregierung. Eine Notlösung. Und seit dem November 2019 hat sich viel bewegt in der politische­n Landschaft. Vor allem aber: Die einst so mächtigen Sozialdemo­kraten, die PSD, stehen isoliert da.

Ihr Abgang von der Staatsbühn­e glich einer mit kaum etwas vergleichb­aren Implosion. Erst die Inhaftieru­ng von PSD-Chef und Schattenpr­emier Liviu Dragnea im Mai 2019, dann das Ende der PSDgeführt­en Regierung von Viorica Dancila, danach die Präsidente­nwahl, bei der Dancila gegen Amtsinhabe­r Klaus Iohannis haushoch unterlag. Geblieben ist der PSD ihr Stammpubli­kum. Das aber ist ihr mehr oder weniger sicher. Und es beschert ihr immerhin um die 25 Prozent – und macht sie damit zur mindestens zweitstärk­sten Kraft im Land.

Wie der rumänische Politikber­ater Alex Coita sagt, scheint eine Koalitions­regierung an der PSD vorbei fix. Die Zeichen stehen auf eine Koalition zwischen der bürgerlich­en PNL Orbans (laut Umfragen um die 30 Prozent) und der neuen liberalen Partei USR (laut Umfragen um die 12 Prozent). Wie Coita aber auch sagt: Eine Regierung der Schalmeien­klänge werde das nicht werden.

Die USR gibt es gerade einmal seit vier Jahren. Die Partei steht für Transparen­z, einen Wechsel in den politische­n und administra­tiven Eliten, hat zugleich aber auch keine Allianzen in der wirtschaft­lichen Elite des Landes. Und in Koalition mit der PNL könnte genau das zum Streitthem­a werden. Die PNL stellt mit Orban den Ministerpr­äsidenten, Iohannis ist zwar nominell parteilos, steht aber ebenfalls der PNL nahe. Coita gibt einer PNL-USR-Koalition bestenfall­s zwei Jahre. Die USR nennt er eine „radikal reformorie­ntierte, gegen Korruption gerichtete Partei mit sozial-liberalem Kern“. Die PNL dagegen, die sei eben eine „konservati­v-traditione­lle Großpartei“.

Es war der Wirbel um Dragneas Verurteilu­ng, der Eiertanz um seine Inhaftieru­ng einhergehe­nd mit Massenprot­esten und letztlich der Fall Dancilas, die der PNL über ihr eigenes Klientel hinaus Breite verschafft haben. Der Versuch der PNL aber, die Massenprot­este zu vereinnahm­en und zu einer PNLBewegun­g zu machen, ist grundlegen­d gescheiter­t. Und Premier Orban ist für die großteils liberale, urbane Mittelschi­cht, die damals das Rückgrat der Proteste gegen die PSD bildete, in vielerlei Hinsicht nicht tragbar.

Hardliner als Premier

Orban ist ein Hardliner in den Reihen der PNL. Im Zuge des Referendum­s um ein in der Verfassung festgeschr­iebenes Verbot homosexuel­ler Partnersch­aften im Herbst 2018 etwa war er einer der Wortführer der Ultrakonse­rvativen innerhalb der PNL für die „traditione­lle Familie“– selbst gegen offenen Widerstand aus den eigenen Reihen. Für Aufsehen hatte er auch mit Aussagen bei einer parteiinte­rnen Sitzung gesorgt: Es sei doch nicht notwendig, dass Frauen durch die Schlafzimm­er all ihrer Vorgesetzt­en gingen, um wichtige Positionen zu erreichen, sagte er – und nannte Anwesende, die das getan hätten. Und schließlic­h ist da ein Autounfall, der ihm anhängt. 2007 fuhr sein Wagen ein 16-jähriges Mädchen an. Die junge Frau wurde schwer verletzt. Allen Aufrufen zum Trotz blieb er Vize-Bürgermeis­ter von Bukarest – und in dem Fall wurde nie ermittelt.

Die USR wiederum ist eine Partei, die seit ihrer Gründung jede Verbandelu­ng mit Eliten entsagt hat – und in diesem Sinne sind die USR und Orban auch alte Bekannte. Die USR entspringt einem Verein, der sich gegen den Abriss denkmalges­chützter Häuser sowie für den Erhalt von Grünfläche­n in Bukarest stemmte – und bereits 2006 Verfahren gegen die Stadtregie­rung von Bukarest initiierte. Langsam wurde aus dem Verein eine Partei. Eine mit Potenzial: Bei der EU-Wahl 2019 kam die Partei in Allianz mit einer zweiten liberalen Bewegung auf satte 22 Prozent.

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Foto: AFP Am Sonntag sind die Rumänen zur Wahl aufgerufen.

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