Abgang der Roten
Vierte Wahl in 18 Monaten in Rumänien
Es ist das vierte Mal in nur 18 Monaten, dass die Rumänen zu den Urnen gerufen werden. Und es ist eine Wahl, die die Wogen glätten könnte, die die turbulenten vergangenen Jahre in Rumänien hoch gepeitscht haben – sollte man denken. Am Sonntag wird jedenfalls ein neues Parlament gewählt. Zur Abstimmung steht dabei die Regierung von Premier Ludovic Orban – eine Übergangsregierung, die Anfang November 2019 überhastet das Ruder übernommen hatte, die bereits im Februar 2020 vom Parlament entlassen wurde, die dann aber doch wieder übernahm. Ein Krisenkabinett. Eine Minderheitsregierung. Eine Notlösung. Und seit dem November 2019 hat sich viel bewegt in der politischen Landschaft. Vor allem aber: Die einst so mächtigen Sozialdemokraten, die PSD, stehen isoliert da.
Ihr Abgang von der Staatsbühne glich einer mit kaum etwas vergleichbaren Implosion. Erst die Inhaftierung von PSD-Chef und Schattenpremier Liviu Dragnea im Mai 2019, dann das Ende der PSDgeführten Regierung von Viorica Dancila, danach die Präsidentenwahl, bei der Dancila gegen Amtsinhaber Klaus Iohannis haushoch unterlag. Geblieben ist der PSD ihr Stammpublikum. Das aber ist ihr mehr oder weniger sicher. Und es beschert ihr immerhin um die 25 Prozent – und macht sie damit zur mindestens zweitstärksten Kraft im Land.
Wie der rumänische Politikberater Alex Coita sagt, scheint eine Koalitionsregierung an der PSD vorbei fix. Die Zeichen stehen auf eine Koalition zwischen der bürgerlichen PNL Orbans (laut Umfragen um die 30 Prozent) und der neuen liberalen Partei USR (laut Umfragen um die 12 Prozent). Wie Coita aber auch sagt: Eine Regierung der Schalmeienklänge werde das nicht werden.
Die USR gibt es gerade einmal seit vier Jahren. Die Partei steht für Transparenz, einen Wechsel in den politischen und administrativen Eliten, hat zugleich aber auch keine Allianzen in der wirtschaftlichen Elite des Landes. Und in Koalition mit der PNL könnte genau das zum Streitthema werden. Die PNL stellt mit Orban den Ministerpräsidenten, Iohannis ist zwar nominell parteilos, steht aber ebenfalls der PNL nahe. Coita gibt einer PNL-USR-Koalition bestenfalls zwei Jahre. Die USR nennt er eine „radikal reformorientierte, gegen Korruption gerichtete Partei mit sozial-liberalem Kern“. Die PNL dagegen, die sei eben eine „konservativ-traditionelle Großpartei“.
Es war der Wirbel um Dragneas Verurteilung, der Eiertanz um seine Inhaftierung einhergehend mit Massenprotesten und letztlich der Fall Dancilas, die der PNL über ihr eigenes Klientel hinaus Breite verschafft haben. Der Versuch der PNL aber, die Massenproteste zu vereinnahmen und zu einer PNLBewegung zu machen, ist grundlegend gescheitert. Und Premier Orban ist für die großteils liberale, urbane Mittelschicht, die damals das Rückgrat der Proteste gegen die PSD bildete, in vielerlei Hinsicht nicht tragbar.
Hardliner als Premier
Orban ist ein Hardliner in den Reihen der PNL. Im Zuge des Referendums um ein in der Verfassung festgeschriebenes Verbot homosexueller Partnerschaften im Herbst 2018 etwa war er einer der Wortführer der Ultrakonservativen innerhalb der PNL für die „traditionelle Familie“– selbst gegen offenen Widerstand aus den eigenen Reihen. Für Aufsehen hatte er auch mit Aussagen bei einer parteiinternen Sitzung gesorgt: Es sei doch nicht notwendig, dass Frauen durch die Schlafzimmer all ihrer Vorgesetzten gingen, um wichtige Positionen zu erreichen, sagte er – und nannte Anwesende, die das getan hätten. Und schließlich ist da ein Autounfall, der ihm anhängt. 2007 fuhr sein Wagen ein 16-jähriges Mädchen an. Die junge Frau wurde schwer verletzt. Allen Aufrufen zum Trotz blieb er Vize-Bürgermeister von Bukarest – und in dem Fall wurde nie ermittelt.
Die USR wiederum ist eine Partei, die seit ihrer Gründung jede Verbandelung mit Eliten entsagt hat – und in diesem Sinne sind die USR und Orban auch alte Bekannte. Die USR entspringt einem Verein, der sich gegen den Abriss denkmalgeschützter Häuser sowie für den Erhalt von Grünflächen in Bukarest stemmte – und bereits 2006 Verfahren gegen die Stadtregierung von Bukarest initiierte. Langsam wurde aus dem Verein eine Partei. Eine mit Potenzial: Bei der EU-Wahl 2019 kam die Partei in Allianz mit einer zweiten liberalen Bewegung auf satte 22 Prozent.