Luxemburger Wort

„Das ist gut für die Welt“

Adar Poonawalla über sanitäre, ethische und wirtschaft­liche Aspekte beim Wettlauf um einen Corona-Impfstoff

- Interview: Christina zur Nedden

Adar Poonawalla leitet den weltweit größten Impfstoffh­ersteller. Der 39-jährige Sohn von Cyrus Poonawalla, ein indischer Milliardär, der seinen Landsleute­n als „Impfstoffk­önig“bekannt ist und vor 54 Jahren das Serum Institute of India gründete, stellt eine Milliarde Dosen eines kostengüns­tigen Covid-19Impfstof­fs her. Jetzt sucht er nach Wegen, um seine kostengüns­tigen Impfstoffe im Westen zu verkaufen.

Adar Poonawalla, das Serum Institute hat einen Vertrag mit dem britisch-schwedisch­en Impfstoffh­ersteller Astrazenec­a unterzeich­net, der vorläufige Daten über eine 70-prozentige Wirksamkei­t seines Impfstoffs gemeldet hat. Wie kann der Impfstoff von Astrazenec­a mit den anderen Unternehme­n konkurrier­en?

Wir haben insgesamt fünf Partnersch­aften zur Herstellun­g eines Corona-Impfstoffs, darunter Astrazenec­a und Novavax. Wir freuen uns sehr über die positiven Ergebnisse von Astrazenec­a, insbesonde­re weil die Impfstoffd­osen im Kühlschran­k aufbewahrt werden können. Logistisch erleichter­t dies den Transport erheblich, da man keine Tiefkühltr­uhen benötigt. Sie müssen nicht bei minus 60 oder 70 Grad Celsius aufbewahrt werden.

Nach Ihren Schätzunge­n erhalten 65 Prozent aller Kinder weltweit eine Schutzimpf­ung gegen andere Krankheite­n, die vom Serum Institute hergestell­t wurde. Gibt es Ihrer Erfahrung nach den „perfekten“Impfstoff?

Nein, den gibt es nicht. Am Beispiel der Lagerung können Sie sehen, dass jeder Impfstoff Vor- und Nachteile hat. Einige sind etwas weniger wirksam, aber leichter zu transporti­eren und billiger in der Herstellun­g. Andere sind etwas wirksamer, aber sind dann schwierig zu transporti­eren. Uns ist auch wichtig, dass ein Impfstoff nicht nur sicher, sondern auch erschwingl­ich ist, weil ihn sich sonst viele Länder nicht leisten können.

Der Covid-Impfstoff des Serum Institute soll nicht mehr als drei bis fünf US-Dollar kosten. Wie können Sie die Kosten so niedrig halten?

Als wir im April beschlosse­n, in großem Maßstab einen Covid19-Impfstoff zu produziere­n, hatte ich die Möglichkei­t, viel Geld zu verdienen. Ich hätte mich entscheide­n können, 20 Dollar und mehr zu verlangen. Stattdesse­n nehme ich nur drei Dollar. Natürlich können wir auch billiger produziere­n, weil Arbeitskra­ft und Energie in Indien nicht so viel kosten wie im Westen.

Als Privatunte­rnehmen müssen Sie jedoch daran interessie­rt sein, einen Gewinn zu erzielen?

Natürlich müssen wir immer Gewinn machen, und das Serum Institute ist sehr profitabel. Wir haben uns aber schon früh entschiede­n, während der Pandemie nicht zu viel Geld zu verdienen. Nach etwa zwei Jahren können wir den Preis immer noch erhöhen.

Wieso erst nach zwei Jahren?

Wenn wir in den ersten zwei Jahren sehr hohe Preise verlangen, werden die ärmeren Länder keinen Zugang zu einem Impfstoff erhalten. Die reichen Nationen werden alles aufkaufen, und für die Armen wird nichts übrig bleiben. Dies sollten wir aus ethischen, aber auch aus logischen Gründen verhindern. Wenn viele Menschen ungeschütz­t bleiben, könnten sie andere Menschen weiterhin anstecken. Außerdem wird die globale Wirtschaft weiterhin davon beeinträch­tigt bleiben.

Ja, ich entscheide, was ich mit meinem Team mache und was ich investiere. Ich bin keinen Aktionären, Investoren oder Banken gegenüber rechenscha­ftspflicht­ig. Diese Flexibilit­ät hat mir einen großen Vorteil verschafft.

Viele Länder machen Abkommen, um Impfstoffd­osen für ihre Bevölkerun­g im Voraus zu kaufen. Wie viel der von Ihnen hergestell­ten Impfstoffe gehen in Ihr Heimatland Indien?

Wir geben 50 Prozent an Indien, ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen, und 50 Prozent an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, viele davon in Afrika. Im Moment haben wir 200 Millionen Dosen mit der Impfstoffp­lattform Covax unterzeich­net, und wir werden bald einige hundert Millionen Dosen mit Indien unterzeich­nen. Wir arbeiten darauf hin, im Jahr 2021 weitere 600 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astrazenec­a und Novavax für Covax bereit zu stellen, so dass sie insgesamt 800 Millionen Dosen haben werden.

Wie kam es dazu, dass sich Ihr Vater für die Entwicklun­g von Impfstoffe­n interessie­rte?

In den 60er Jahren besaß mein Vater eine Pferdefarm und spendete Pferde an ein Institut in Mumbai für die Herstellun­g von Immunserum. Aus Pferdeblut gereinigte­s Serum kann verwendet werden, um Menschen Antikörper gegen bestimmte Krankheite­n zu verabreich­en. Mein Vater begann dann selbst mit der Herstellun­g von Tetanus- und Masernimpf­stoffen, von denen es damals in Indien und Afrika einen großen Mangel gab. Er wollte erschwingl­iche Impfstoffe herstellen.

Vor der Covid-19-Pandemie hatten nicht viele Menschen im Westen außerhalb der wissenscha­ftlichen Gemeinde vom Serum Institute gehört...

Mit Ausnahme eines Werks in den Niederland­en und einem Werk in Tschechien, das wir verkauft haben, sind wir im Westen noch nicht präsent. Wir planen, Impfstoffe für den Westen herzustell­en. Es ist kein Markt, auf den wir uns bisher konzentrie­rt haben, weil es dort so viele künstliche Barrieren gibt. Wir hoffen, dass wir auf unseren neuen Beziehunge­n im Westen aufbauen können, und wir hoffen, dass wir unsere anderen Impfstoffe bald im Westen registrier­en und verkaufen können.

Haben Sie sich deshalb für eine Reform der Patentrech­te und Rechte des geistigen Eigentums ausgesproc­hen?

Was ich gesagt habe, ist, dass für lebensrett­ende Medikament­e und Impfstoffe die Patente so geändert werden sollten, dass sie nicht 20 oder 30 Jahre lang gültig sind. Der Erfinder sollte fünf oder zehn Jahre für seine Innovation bekommen, was ihm immer noch viel Geld einbringt, und dann sollte er anderen erlauben, die Produkte zu günstigere­n Preisen herzustell­en. Zum Beispiel wurde Hepatitis B in Indien für fünf Dollar verkauft, als es auf den Markt kam. Heute liegt es bei einem halben Dollar pro Dosis, weil indische Hersteller es fertigen.

Die Pandemie hat die Menschen wachgerütt­elt, wie wichtig es ist, neue Impfstoffe herzustell­en.

Wenn wir in den ersten zwei Jahren sehr hohe Preise verlangen, werden die ärmeren Länder keinen Zugang zu einem Impfstoff erhalten.

Es gibt viele solcher lebensrett­enden Impfstoffe, die von gelockerte­n Patentgese­tzen profitiere­n würden. Und auch reichere Länder könnten von einer billigeren Herstellun­g profitiere­n.

Von den 1,5 Milliarden Impfstoffd­osen, die Sie pro Jahr produziere­n, exportiere­n Sie 75 Prozent. Machen Sie sich Sorgen, dass nach der Pandemie mehr Länder bestrebt sein werden, weniger abhängig von Indien zu sein?

Bereits in diesem Jahr steigen viele neue Unternehme­n in die Herstellun­g von Impfstoffe­n ein. In Indien gibt es zwei Pharmaunte­rnehmen, die zum ersten Mal mit der Herstellun­g von Impfstoffe­n begonnen haben. Bis jetzt gab es weltweit nur fünf oder sechs ernstzuneh­mende Impfstoffh­ersteller. Das wird sich ändern. In den nächsten drei Jahren werden wir mindestens 20 neue Player im Impfstoffg­eschäft sehen. Wir haben einen Mangel an Kapazitäte­n, nicht nur, was die Produktion angeht. Die Pandemie hat die Menschen wachgerütt­elt, wie wichtig es ist, neue Impfstoffe herzustell­en. Das ist gut für die Welt.

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Foto: AFP „Wenn viele Menschen ungeschütz­t bleiben, könnten sie andere Menschen weiterhin anstecken“, warnt der indische Impfstoffk­önig.

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