„Das ist gut für die Welt“
Adar Poonawalla über sanitäre, ethische und wirtschaftliche Aspekte beim Wettlauf um einen Corona-Impfstoff
Adar Poonawalla leitet den weltweit größten Impfstoffhersteller. Der 39-jährige Sohn von Cyrus Poonawalla, ein indischer Milliardär, der seinen Landsleuten als „Impfstoffkönig“bekannt ist und vor 54 Jahren das Serum Institute of India gründete, stellt eine Milliarde Dosen eines kostengünstigen Covid-19Impfstoffs her. Jetzt sucht er nach Wegen, um seine kostengünstigen Impfstoffe im Westen zu verkaufen.
Adar Poonawalla, das Serum Institute hat einen Vertrag mit dem britisch-schwedischen Impfstoffhersteller Astrazeneca unterzeichnet, der vorläufige Daten über eine 70-prozentige Wirksamkeit seines Impfstoffs gemeldet hat. Wie kann der Impfstoff von Astrazeneca mit den anderen Unternehmen konkurrieren?
Wir haben insgesamt fünf Partnerschaften zur Herstellung eines Corona-Impfstoffs, darunter Astrazeneca und Novavax. Wir freuen uns sehr über die positiven Ergebnisse von Astrazeneca, insbesondere weil die Impfstoffdosen im Kühlschrank aufbewahrt werden können. Logistisch erleichtert dies den Transport erheblich, da man keine Tiefkühltruhen benötigt. Sie müssen nicht bei minus 60 oder 70 Grad Celsius aufbewahrt werden.
Nach Ihren Schätzungen erhalten 65 Prozent aller Kinder weltweit eine Schutzimpfung gegen andere Krankheiten, die vom Serum Institute hergestellt wurde. Gibt es Ihrer Erfahrung nach den „perfekten“Impfstoff?
Nein, den gibt es nicht. Am Beispiel der Lagerung können Sie sehen, dass jeder Impfstoff Vor- und Nachteile hat. Einige sind etwas weniger wirksam, aber leichter zu transportieren und billiger in der Herstellung. Andere sind etwas wirksamer, aber sind dann schwierig zu transportieren. Uns ist auch wichtig, dass ein Impfstoff nicht nur sicher, sondern auch erschwinglich ist, weil ihn sich sonst viele Länder nicht leisten können.
Der Covid-Impfstoff des Serum Institute soll nicht mehr als drei bis fünf US-Dollar kosten. Wie können Sie die Kosten so niedrig halten?
Als wir im April beschlossen, in großem Maßstab einen Covid19-Impfstoff zu produzieren, hatte ich die Möglichkeit, viel Geld zu verdienen. Ich hätte mich entscheiden können, 20 Dollar und mehr zu verlangen. Stattdessen nehme ich nur drei Dollar. Natürlich können wir auch billiger produzieren, weil Arbeitskraft und Energie in Indien nicht so viel kosten wie im Westen.
Als Privatunternehmen müssen Sie jedoch daran interessiert sein, einen Gewinn zu erzielen?
Natürlich müssen wir immer Gewinn machen, und das Serum Institute ist sehr profitabel. Wir haben uns aber schon früh entschieden, während der Pandemie nicht zu viel Geld zu verdienen. Nach etwa zwei Jahren können wir den Preis immer noch erhöhen.
Wieso erst nach zwei Jahren?
Wenn wir in den ersten zwei Jahren sehr hohe Preise verlangen, werden die ärmeren Länder keinen Zugang zu einem Impfstoff erhalten. Die reichen Nationen werden alles aufkaufen, und für die Armen wird nichts übrig bleiben. Dies sollten wir aus ethischen, aber auch aus logischen Gründen verhindern. Wenn viele Menschen ungeschützt bleiben, könnten sie andere Menschen weiterhin anstecken. Außerdem wird die globale Wirtschaft weiterhin davon beeinträchtigt bleiben.
Ja, ich entscheide, was ich mit meinem Team mache und was ich investiere. Ich bin keinen Aktionären, Investoren oder Banken gegenüber rechenschaftspflichtig. Diese Flexibilität hat mir einen großen Vorteil verschafft.
Viele Länder machen Abkommen, um Impfstoffdosen für ihre Bevölkerung im Voraus zu kaufen. Wie viel der von Ihnen hergestellten Impfstoffe gehen in Ihr Heimatland Indien?
Wir geben 50 Prozent an Indien, ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen, und 50 Prozent an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, viele davon in Afrika. Im Moment haben wir 200 Millionen Dosen mit der Impfstoffplattform Covax unterzeichnet, und wir werden bald einige hundert Millionen Dosen mit Indien unterzeichnen. Wir arbeiten darauf hin, im Jahr 2021 weitere 600 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca und Novavax für Covax bereit zu stellen, so dass sie insgesamt 800 Millionen Dosen haben werden.
Wie kam es dazu, dass sich Ihr Vater für die Entwicklung von Impfstoffen interessierte?
In den 60er Jahren besaß mein Vater eine Pferdefarm und spendete Pferde an ein Institut in Mumbai für die Herstellung von Immunserum. Aus Pferdeblut gereinigtes Serum kann verwendet werden, um Menschen Antikörper gegen bestimmte Krankheiten zu verabreichen. Mein Vater begann dann selbst mit der Herstellung von Tetanus- und Masernimpfstoffen, von denen es damals in Indien und Afrika einen großen Mangel gab. Er wollte erschwingliche Impfstoffe herstellen.
Vor der Covid-19-Pandemie hatten nicht viele Menschen im Westen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde vom Serum Institute gehört...
Mit Ausnahme eines Werks in den Niederlanden und einem Werk in Tschechien, das wir verkauft haben, sind wir im Westen noch nicht präsent. Wir planen, Impfstoffe für den Westen herzustellen. Es ist kein Markt, auf den wir uns bisher konzentriert haben, weil es dort so viele künstliche Barrieren gibt. Wir hoffen, dass wir auf unseren neuen Beziehungen im Westen aufbauen können, und wir hoffen, dass wir unsere anderen Impfstoffe bald im Westen registrieren und verkaufen können.
Haben Sie sich deshalb für eine Reform der Patentrechte und Rechte des geistigen Eigentums ausgesprochen?
Was ich gesagt habe, ist, dass für lebensrettende Medikamente und Impfstoffe die Patente so geändert werden sollten, dass sie nicht 20 oder 30 Jahre lang gültig sind. Der Erfinder sollte fünf oder zehn Jahre für seine Innovation bekommen, was ihm immer noch viel Geld einbringt, und dann sollte er anderen erlauben, die Produkte zu günstigeren Preisen herzustellen. Zum Beispiel wurde Hepatitis B in Indien für fünf Dollar verkauft, als es auf den Markt kam. Heute liegt es bei einem halben Dollar pro Dosis, weil indische Hersteller es fertigen.
Die Pandemie hat die Menschen wachgerüttelt, wie wichtig es ist, neue Impfstoffe herzustellen.
Wenn wir in den ersten zwei Jahren sehr hohe Preise verlangen, werden die ärmeren Länder keinen Zugang zu einem Impfstoff erhalten.
Es gibt viele solcher lebensrettenden Impfstoffe, die von gelockerten Patentgesetzen profitieren würden. Und auch reichere Länder könnten von einer billigeren Herstellung profitieren.
Von den 1,5 Milliarden Impfstoffdosen, die Sie pro Jahr produzieren, exportieren Sie 75 Prozent. Machen Sie sich Sorgen, dass nach der Pandemie mehr Länder bestrebt sein werden, weniger abhängig von Indien zu sein?
Bereits in diesem Jahr steigen viele neue Unternehmen in die Herstellung von Impfstoffen ein. In Indien gibt es zwei Pharmaunternehmen, die zum ersten Mal mit der Herstellung von Impfstoffen begonnen haben. Bis jetzt gab es weltweit nur fünf oder sechs ernstzunehmende Impfstoffhersteller. Das wird sich ändern. In den nächsten drei Jahren werden wir mindestens 20 neue Player im Impfstoffgeschäft sehen. Wir haben einen Mangel an Kapazitäten, nicht nur, was die Produktion angeht. Die Pandemie hat die Menschen wachgerüttelt, wie wichtig es ist, neue Impfstoffe herzustellen. Das ist gut für die Welt.