Luxemburger Wort

„All meine Helden waren schwarz“

Zum 100. Geburtstag des Jazzpianis­ten Dave Brubeck

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Bonn. Den Umgang mit ungeraden Takten hat er auf dem Rücken der Pferde gelernt. Auf seinen Ritten durch die Weiten Nordkalifo­rniens gab es viel Hufgeklapp­er nachzuklop­fen, auf der Ranch das Rumpeln von Landmaschi­nen und das Quietschen der Wasserpump­e. David Warren Brubeck sollte Cowboy werden, nachdem sein Vater, Rancher, schon zwei Söhne an die Musik verloren hatte. Dave wurde ein musikalisc­her Cowboy, dann ein allzu musikalisc­her Student der Veterinärm­edizin. Schließlic­h ein Jazzpianis­t, dessen verrückte Takte Musikgesch­ichte schrieben. Über sein Spätwerk „To Hope – A Celebratio­n“, eine moderne Jazz-Messe, fand Brubeck zum Katholizis­mus. Vor 100 Jahren, am 6. Dezember 1920, wurde er geboren.

Schon als Baby war Klein-Dave von Musik umgeben. Dabei herrschte auf der Ranch Radioverbo­t. Seine Mutter Bessie, eine Pianistin aus England, sagte: „Wenn du Musik willst, mach sie selbst.“Von ihr lernte Dave viel; das Notenlesen aber schwänzte er lebenslang – was ihn beinahe sein Examen gekostet hätte.

An eine Lektion seines Vaters erinnerte er sich für immer: „Er ritt mit mir zum Viehkauf unten am Sacramento River. Dort gab es einen alten schwarzen Rodeoreite­r, der hieß Shine. Und mein Vater sagte zu ihm: 'Zieh dein Hemd hoch, und zeig Dave deine Brust.' Und da war dieses Brandzeich­en.“Viele Rinder hatte der Junge schon beim Brandmarke­n gesehen; er kannte den Geruch von verbrannte­m Fleisch unter dem heißen Eisen – aber Menschen? „Mein ganzes Leben habe ich daran gedacht und mir vorgenomme­n, meinen Teil dagegen zu unternehme­n.“

Im Zweiten Weltkrieg war Brubeck der erste Bandleader der USArmee mit einer ethnisch gemischten Kapelle. Und in den 50er Jahren, als ihn bei einer Tournee 23 von 25 Universitä­ten auffordert­en, entweder seinen schwarzen Bassisten Gene Wright gegen einen weißen auszutausc­hen oder den Auftritt abzusagen, entschied er sich für die Absage – und das zu einer Zeit, in der Brubeck mit seiner Familie in finanziell „prekärer Lage“durchs Land tourte.

„All meine Helden waren schwarz“, sagte Brubeck: Duke Ellington, Louis Armstrong, Fats Waller. Und er zitierte den blinden Pianisten Sir George Shearing: „Mir ist egal, ob jemand lila ist – Hauptsache, er kann spielen.“Und Brubeck konnte spielen: mit Woody Hermann, Miles Davis,

Charly Parker, Count Basie oder Dizzy Gillespie. Sie verstanden ihn besser als die vielen Kritiker, die ihn in die Ecke des „Cool Jazz“steckten oder meinten, das Dave Brubeck Quartet könne nicht mal den gemeinsame­n Takt halten.

Brubeck spielte beim ReaganGorb­atschow-Gipfel in Moskau

Brubeck selbst schöpfte aus den Quellen der Weltmusik und seiner kalifornis­chen Heimat Concord, einem Schmelztie­gel aus mexikanisc­hen, spanischen und portugiesi­schen Einflüssen. 1958 schickte die US-Regierung das Quartett für drei Monate auf eine Reise jenseits des Eisernen Vorhangs und in den Nahen Osten. So entstand, meist durch anfänglich­es Improvisie­ren, das Album „Time Out“(1959/60), dessen Songs mit ungeraden Taktarten der Band Platin und den Durchbruch verschafft­en:

„Blue Rondo A La Turk“in 9/8, „Take Five“in 5/8, „Pick up Sticks“in 6/4 und „Unsquare Dance“in 7/4.

Brubeck spielte beim ReaganGorb­atschow-Gipfel in Moskau 1988; vor acht US-Präsidente­n, vor Königen, Staatsober­häuptern und Papst Johannes Paul II. „Es würde den Bruchteil eines Bomberflüg­els kosten“, sagte er einmal, „Jazzmusike­r durch die Welt fliegen zu lassen. Durch den Jazz können wir unsere Kultur der Freiheit zu den Leuten bringen. Das ist es, was Diktatoren immer zuerst stoppen: Jazzmusik im Radio oder die Möglichkei­t, Jazzplatte­n zu kaufen. Denn dafür braucht es Freiheit.“

Freiheit fasziniert­e ihn, Rassenglei­chheit – und die Religion: Aufgrund seiner tiefen spirituell­en Überzeugun­gen hat Brubeck viel geistliche Musik komponiert; nur das wenigste davon ist durch Aufnahmen

zugänglich. Während des Krieges plante er eine Kompositio­n über die Zehn Gebote, vor allem: „Du sollst nicht töten“. Seine bekanntest­e religiöse Kompositio­n ist die Messe „To Hope – A Celebratio­n“.

Seine Musik hatte immer viel mit dem Menschen Dave Brubeck zu tun. In den Stunden vor einer Herz-OP schrieb er im Krankenhau­s das Stück „Joy in the Morning“, in dem er anhand eines Psalmtexte­s musikalisc­h über seine Zuversicht angesichts seines möglichen Todes nachdachte. Es beginnt mit seinem arhythmisc­hen Herzschlag und seiner Unruhe vor der OP, geht dann über in einen neuen, freudigen Herzschlag im Leben danach. Am 5. Dezember 2012, einen Tag vor seinem 92. Geburtstag, blieb das Herz von Dave Brubeck stehen – nicht aber der Takt seiner Musik. KNA

 ?? Foto: Getty Images ?? Freiheit fasziniert­e ihn, Rassenglei­chheit – und die Religion. Dave Brubeck bei einem Konzert in Amsterdam im Jahr 1990. In Luxemburg trat er auch mal auf, 2003 im Kulturzent­rum in Sandweiler.
Foto: Getty Images Freiheit fasziniert­e ihn, Rassenglei­chheit – und die Religion. Dave Brubeck bei einem Konzert in Amsterdam im Jahr 1990. In Luxemburg trat er auch mal auf, 2003 im Kulturzent­rum in Sandweiler.

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