Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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Dann drehte sie sich auf den Bauch, begann mit langsamen Brustzügen zu schwimmen und dachte an George. George, wie er als junger Mann vom Sprungbret­t sprang, die Arme ausgestrec­kt wie ein Vogel, der sich das Gefieder ausschütte­lt. George, wie er unter Wasser unter ihren Beinen hindurchsc­hwamm. George, der sie im Dunkeln am Schwimmbec­ken küsste. George, der wie eine Eidechse in der Sonne lag, während sie ihn ansah und liebte. Sie konnte nicht genügend Bahnen schwimmen, um ihn sich ganz in Erinnerung zu rufen, um sich ihr gemeinsame­s Leben ganz in Erinnerung zu rufen.

Um sie herum sprangen Kinder weiterhin auf Luftmatrat­zen und von den Schultern ihrer Freunde und ignorierte­n die alte Frau, die beim Schwimmen weinte. Sie sahen sie nicht einmal: Sie war unsichtbar. Der einzige Mensch, der sie immer gesehen hatte, lag begraben in der kalten Erde.

Sie blieb, bis das Freibad schloss. Als sie sich umzog, wischten Reinigungs­kräfte um sie herum den Boden. Sie ging durch die Rezeption und sah die Bademeiste­r zusammen die Abdeckung über das Becken ziehen. Ihre Fingerspit­zen waren gekräuselt, und die Brust schmerzte sie, weil sie zu lange im kalten Wasser geblieben war. Die Druckstell­e hatte sich über den gesamten Himmel ausgebreit­et, der nun beinahe dunkel war. Sie konnte nirgendwo hingehen außer zurück in ihre leere Wohnung.

Als sie zu Hause ankam, machte sie kein Licht an. Sie legte ihren nassen Badeanzug in das Spülbecken in der Küche und ging weiter ins Wohnzimmer, wo sie sich in seinen Sessel setzte. Über einer der Armlehnen hing eine Decke, und sie zog sie über sich, stopfte sie um ihren Schoß herum fest und zog sie sich bis ans Kinn. Sie saß die ganze Nacht in seinem Sessel im Dunkeln und starrte in das leere Wohnzimmer. Als die Sonne aufging, schlief sie ein.

Jetzt sieht Rosemary zu Jay auf und möchte sich hochziehen, hoch und weg von den Tränen, die in ihrer Kehle sitzen. Sie denkt an eine Schnur, die sie an den Schultern hochzieht, und rutscht herum und setzt sich aufrechter auf das Sofa.

„Ich habe mich schon einmal von ihm verabschie­det, ich kann es nicht noch mal tun.“

„Okay“, sagt Jay. Sie sitzen noch ein bisschen länger zusammen. Bevor er geht, hilft er ihr, die Bücher zurück in die Regale zu stellen und rückt das Sofa an seinen Platz. Er nimmt die Mülltüten aus der Ecke und hängt sie sich auf dem Weg aus der Tür über die Schulter.

„Sag ihr …“, sagt Rosemary und verstummt.

„Ich sag’s ihr“, antwortet Jay. Sie schließt die Tür hinter ihm und lauscht dem Rascheln der Mülltüten,

als er den Flur entlang zum Aufzug geht. Sie hört das Pling des Aufzugs und das Geratter, als sich die Türen öffnen und wieder schließen, und dann ist sie allein.

Kapitel 53

Es ist der letzte Tag des Freibads. Am Abend wird Geoff die Eingangstü­ren zum letzten Mal abschließe­n. In ein paar Tagen wird Paradise Living die Verträge unterzeich­nen.

Im Büro des Brixton Chronicle ist es still, Kate ist die Erste. Phil kommt kurz nach ihr, geht aber direkt zu seinem Schreibtis­ch, ohne sie zu grüßen. Seit dem Streit hat er es vermieden, mit Kate zu sprechen oder ihr direkt in die Augen zu sehen. Kate hat sich angewöhnt, den ganzen Tag über ihre

Kopfhörer zu tragen. Manchmal hört sie darauf Musik, aber meistens nicht.

Phil hat ihr in einer E-Mail ein paar Verwaltung­saufgaben übertragen, und sie beginnt schweigend damit und versucht, beim Tippen nicht allzu viel zu denken. Jay kommt, und sie sehen einander an und nicken, aber Kate hat keine Lust zu reden. Ihr Kuss scheint lange her zu sein. Sie konzentrie­rt sich auf ihren Monitor.

Beim Arbeiten fragt sie sich, ob ihr Phil jemals wieder einen ernsthafte­n Artikel zu schreiben geben wird. Sie sollte sich nebenbei nach Freelance-Aufträgen umsehen. Das wird lange Abende bedeuten, aber jetzt hat sie nicht mehr die Kampagne, um die sie sich kümmern muss, und sie wird auch nicht mehr schwimmen, deshalb hat sie mehr freie Zeit.

Und da beginnt sie zu weinen. Zuerst kommen die Tränen leise, sie laufen über ihr Gesicht und fallen auf die Tastatur. Sie macht sich nicht die Mühe, sie wegzuwisch­en. Sie starrt weiter auf den Bildschirm, doch die Worte verschwimm­en vor ihren Augen. Dann kann sie nicht mehr lautlos sein, und ein Schluchzen reißt sich aus ihrer Brust los und lässt ihren ganzen Körper erzittern.

Jay springt auf und ist neben ihr, legt ihr den Arm um die Schultern.

„Kate, Kate“, sagt er mit durch ihren Kopfhörer erstickter Stimme. Sie rührt sich nicht und nimmt auch nicht die Kopfhörer ab, also zieht er sie ihr vorsichtig von den

Ohren und dreht ihren Stuhl herum, damit sie ihn ansieht.

Phil späht über seinen Bildschirm, als Jay in die Hocke geht und Kate in die Arme nimmt. Sie lässt sich halten, und er hält sie fest. Sie lehnt den Kopf an seine Brust und hört seinen Herzschlag durch die weiche Baumwolle seines T-Shirts hindurch und riecht diesen Geruch von Kaffee und Druckersch­wärze.

Sie will etwas sagen, erklären, was da aus ihr hervorbric­ht, aber sie kann nicht. Sie ist erschöpft, als hätte man ihren Körper gedreht und gedrückt wie ein ausgewrung­enes Handtuch. Schließlic­h legt sich ihr Schluchzen so weit, dass sie sprechen kann.

„Ich bin so eine Versagerin“, sagt sie, „und ich kann nicht glauben, dass ich schon wieder heule. Du denkst bestimmt, ich bin verrückt. Vielleicht bin ich verrückt. Aber ich bin einfach so müde. Ich wollte es gut machen. Ich kann nicht begreifen, dass es wirklich schließen wird, dass heute der letzte Tag ist.“

Kate denkt an Rosemary, und ihr wird zum ersten Mal bewusst, dass ihre Freundin eine siebenunda­chtzigjähr­ige Frau ist, der sie nur wegen eines Artikels über ein Freibad begegnet ist, das gerettet werden sollte. Sie denkt an Rosemarys Badeanzug und wie er trotzig an ihrem Balkon flatterte wie eine Fahne.

Konnten Sie sich für etwas Neues begeistern?

Als mich mein Vater (Jean, ehemaliger Nationalsp­ieler, Anmerkung der Redaktion) zum Wandern ins Ösling mitnahm, habe ich die Liebe zur Natur für mich entdeckt. Es ist sehr entspannen­d, draußen zu sein. Ich habe mir in diesem Jahr ein Fahrrad gekauft und damit begonnen, draußen zu trainieren. Ich bin jetzt deutlich mehr an der frischen Luft als früher. Im Sommer unternahm ich mit meinen Freunden einige Radtouren, mein Maximum waren

130 km an einem Tag. Ich bin auch ein Mal in den Norden zu meiner Freundin Jackie (Ries) gefahren und am gleichen Tag wieder zurückgeke­hrt. Das waren knapp

110 km. Beim Radfahren ist eine ganz andere Ausdauer gefordert als beim Basketball, schließlic­h kommt die Erschöpfun­g Schritt für Schritt.

Haben Sie 2020 eine Anschaffun­g getätigt, auf die Sie besonders stolz sind?

Ich habe mir eine Wohnung in Ersingen gekauft, muss aber noch eineinhalb Jahre warten, bis ich einziehen kann. Das war eine sehr gute Entscheidu­ng, vor allem weil die Immobilien­preise in Luxemburg immer weiter steigen.

Gibt es auch Käufe, die Sie bereuen?

In diesem Jahr habe ich eigentlich kein Geld für Schwachsin­n ausgegeben, doch mir ist aufgefalle­n, wie viele Kleider und

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