Mit Raupen zu mehr Beteiligung
In Südafrika sorgt ein Projekt des Kruger-Nationalparks für eine stärkere Eingliederung der einheimischen Bevölkerung
Kurz bevor sie sich verpuppen, um zur Motte zu werden, ist Erntezeit im südlichen Afrika: Dann sind die Raupen besonders fett und reich an Protein. In den ländlichen Gegenden des Kontinents stehen Insekten schon lange auf dem Speiseplan; allen voran der bunte „Mopane-Wurm“, bei dem es sich streng genommen um eine Raupe handelt. Der Kruger-Nationalpark in Südafrika nutzt die jährliche Raupen-Ernte geschickt, um die Beziehungen zu den Bewohnern der umliegenden Dörfer zu stärken – und das größte Schutzgebiet Südafrikas nach den ApartheidJahren inklusiver zu machen.
Wie reife Pflaumen
„Mehrere Jahre lang hatten die Menschen, die rund um den Park leben, Interesse bekundet, hier Mopane-Würmer zu ernten“, erzählt Louise Swemmer, Sozialforscherin bei Südafrikas Nationalparkbehörde SANParks. 2010 wurden die Bewohner erstmals eingeladen. Seither bietet sich in dem Schutzgebiet von der Größe Israels, sofern genügend Raupen vorhanden, immer kurz vor Jahresende dasselbe Bild: Von Sonnenaufgang bis in den frühen Nachmittag pflücken meist Frauen die bunt gestreiften Raupen vom Baum wie reife Pflaumen. Bewaffnete Parkranger schützen sie dabei vor Wildtieren. Nur vor den Stacheln, die die zehn Zentimeter langen Insekten zum Schutz am Rücken tragen, müssen sich die Pflückerinnen in Acht nehmen.
Das Gleichgewicht im Lebensraum von Tieren und Pflanzen werde durch die Mopane-Ernte nicht negativ beeinflusst, erklärt Swemmer. „Die Wildhüter prüfen vor Ort, ob der Ausbruch groß genug für eine ökologisch gesunde und nachhaltige Ernte ist. Erst dann werden die Gemeindevertreter verständigt, welche die Ernter in ihren Dörfern auswählen.“Maximal eine Gruppe zu je zehn Leuten darf pro Tag Raupen pflücken. „Jeder will die Würmer sammeln“, erzählt eine Bewohnerin. „Wir lernten es von unseren Eltern. Wenn wir einen Sack voll bekommen, essen wir manchmal das ganze Jahr davon.“Die gepflückten Tierchen – ausgeweidet, gekocht, getrocknet – sind für den Eigenbedarf. Daneben verdienen sich viele Bewohner etwas durch den Verkauf
dazu; einige von ihnen erwirtschaften so knapp ein halbes Monatseinkommen.
Lange Zeit verschlossen
Doch bei dem Mopane-Projekt geht es um mehr als nur um den wirtschaftlichen Aspekt. Obwohl sie in unmittelbarer Nähe leben, sehen viele Bewohner den weltberühmten Kruger-Nationalpark bei der Raupen-Ernte zum ersten Mal von innen. Das hat historische Gründe. Denn bevor die Rassentrennung vor 26 Jahren endete, blieb der Park für die schwarze Bevölkerungsmehrheit verschlossen. Einige Bewohner wurden im Namen des Naturschutzes vom Apartheid-Regime zwangsumgesiedelt. Oft betrachten sie und ihre Nachfahren das Schutzgebiet bis heute mit Skepsis – ein Gefühl, das von reichen Safari-Touristen aus Europa nur bestärkt wird.
Vollwertige Partner des Parks
„Weil lange Abschnitte des westlichen Grenzzauns an Gebiete grenzen, die von der damaligen Apartheid-Regierung zu ‚homelands‘ (Schwarzen-Reservate, Anm. d. Red.) erklärt wurden, leben hier viele Menschen mit hoher Arbeitslosigkeit, die von Subsistenzwirtschaft und Naturressourcen leben“, so Swemmer. Vor diesem Hintergrund sei das Mopane-Projekt ein „Erfolg“. Es vereine Naturschutz mit einem sozialen und wirtschaftlichen Aspekt – und trage dazu bei, die einst marginalisierten Nachbarn zu vollwertigen Partnern des Parks zu machen.
Südafrikas größter Nationalpark öffnet sich: Neben Raupen und anderen Ressourcen profitieren die lokalen Bewohner von bevorzugter Anstellung, Geschäftsmöglichkeiten, Fortbildungen und jährlich einer Woche lang freien Eintritt. Auch für Menschen mit Behinderung wird der Park zunehmend inklusiver. Unter dem Titel „Zugang für alle“berichtete die Zeitung „Pretoria News“vor kurzem von einer Kruger-Tour, die einen Pfad für Blinde beinhaltet: Infos zu den Tieren gibt es in Blindenschrift und Antilopen, Büffel und Rhinozerosse lassen sich anhand der Hörner ertasten. Für Hörbeeinträchtigte gibt es die Tour in Zeichensprache. Rollstuhlfahrer gelangen mithilfe eines Lifts in das umgebaute Safari-Auto.
Obwohl sie in der Nähe leben, sehen viele Bewohner den Nationalpark bei der Raupen-Ernte zum ersten Mal von innen.