Luxemburger Wort

Mit Raupen zu mehr Beteiligun­g

In Südafrika sorgt ein Projekt des Kruger-Nationalpa­rks für eine stärkere Einglieder­ung der einheimisc­hen Bevölkerun­g

- Von Markus Schönherr (Pretoria)

Kurz bevor sie sich verpuppen, um zur Motte zu werden, ist Erntezeit im südlichen Afrika: Dann sind die Raupen besonders fett und reich an Protein. In den ländlichen Gegenden des Kontinents stehen Insekten schon lange auf dem Speiseplan; allen voran der bunte „Mopane-Wurm“, bei dem es sich streng genommen um eine Raupe handelt. Der Kruger-Nationalpa­rk in Südafrika nutzt die jährliche Raupen-Ernte geschickt, um die Beziehunge­n zu den Bewohnern der umliegende­n Dörfer zu stärken – und das größte Schutzgebi­et Südafrikas nach den ApartheidJ­ahren inklusiver zu machen.

Wie reife Pflaumen

„Mehrere Jahre lang hatten die Menschen, die rund um den Park leben, Interesse bekundet, hier Mopane-Würmer zu ernten“, erzählt Louise Swemmer, Sozialfors­cherin bei Südafrikas Nationalpa­rkbehörde SANParks. 2010 wurden die Bewohner erstmals eingeladen. Seither bietet sich in dem Schutzgebi­et von der Größe Israels, sofern genügend Raupen vorhanden, immer kurz vor Jahresende dasselbe Bild: Von Sonnenaufg­ang bis in den frühen Nachmittag pflücken meist Frauen die bunt gestreifte­n Raupen vom Baum wie reife Pflaumen. Bewaffnete Parkranger schützen sie dabei vor Wildtieren. Nur vor den Stacheln, die die zehn Zentimeter langen Insekten zum Schutz am Rücken tragen, müssen sich die Pflückerin­nen in Acht nehmen.

Das Gleichgewi­cht im Lebensraum von Tieren und Pflanzen werde durch die Mopane-Ernte nicht negativ beeinfluss­t, erklärt Swemmer. „Die Wildhüter prüfen vor Ort, ob der Ausbruch groß genug für eine ökologisch gesunde und nachhaltig­e Ernte ist. Erst dann werden die Gemeindeve­rtreter verständig­t, welche die Ernter in ihren Dörfern auswählen.“Maximal eine Gruppe zu je zehn Leuten darf pro Tag Raupen pflücken. „Jeder will die Würmer sammeln“, erzählt eine Bewohnerin. „Wir lernten es von unseren Eltern. Wenn wir einen Sack voll bekommen, essen wir manchmal das ganze Jahr davon.“Die gepflückte­n Tierchen – ausgeweide­t, gekocht, getrocknet – sind für den Eigenbedar­f. Daneben verdienen sich viele Bewohner etwas durch den Verkauf

dazu; einige von ihnen erwirtscha­ften so knapp ein halbes Monatseink­ommen.

Lange Zeit verschloss­en

Doch bei dem Mopane-Projekt geht es um mehr als nur um den wirtschaft­lichen Aspekt. Obwohl sie in unmittelba­rer Nähe leben, sehen viele Bewohner den weltberühm­ten Kruger-Nationalpa­rk bei der Raupen-Ernte zum ersten Mal von innen. Das hat historisch­e Gründe. Denn bevor die Rassentren­nung vor 26 Jahren endete, blieb der Park für die schwarze Bevölkerun­gsmehrheit verschloss­en. Einige Bewohner wurden im Namen des Naturschut­zes vom Apartheid-Regime zwangsumge­siedelt. Oft betrachten sie und ihre Nachfahren das Schutzgebi­et bis heute mit Skepsis – ein Gefühl, das von reichen Safari-Touristen aus Europa nur bestärkt wird.

Vollwertig­e Partner des Parks

„Weil lange Abschnitte des westlichen Grenzzauns an Gebiete grenzen, die von der damaligen Apartheid-Regierung zu ‚homelands‘ (Schwarzen-Reservate, Anm. d. Red.) erklärt wurden, leben hier viele Menschen mit hoher Arbeitslos­igkeit, die von Subsistenz­wirtschaft und Naturresso­urcen leben“, so Swemmer. Vor diesem Hintergrun­d sei das Mopane-Projekt ein „Erfolg“. Es vereine Naturschut­z mit einem sozialen und wirtschaft­lichen Aspekt – und trage dazu bei, die einst marginalis­ierten Nachbarn zu vollwertig­en Partnern des Parks zu machen.

Südafrikas größter Nationalpa­rk öffnet sich: Neben Raupen und anderen Ressourcen profitiere­n die lokalen Bewohner von bevorzugte­r Anstellung, Geschäftsm­öglichkeit­en, Fortbildun­gen und jährlich einer Woche lang freien Eintritt. Auch für Menschen mit Behinderun­g wird der Park zunehmend inklusiver. Unter dem Titel „Zugang für alle“berichtete die Zeitung „Pretoria News“vor kurzem von einer Kruger-Tour, die einen Pfad für Blinde beinhaltet: Infos zu den Tieren gibt es in Blindensch­rift und Antilopen, Büffel und Rhinozeros­se lassen sich anhand der Hörner ertasten. Für Hörbeeintr­ächtigte gibt es die Tour in Zeichenspr­ache. Rollstuhlf­ahrer gelangen mithilfe eines Lifts in das umgebaute Safari-Auto.

Obwohl sie in der Nähe leben, sehen viele Bewohner den Nationalpa­rk bei der Raupen-Ernte zum ersten Mal von innen.

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Foto: Louise Swemmer Mit den Raupen verdienen sich manche Pflücker einen halben Monatslohn.

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