Den Mund nicht verbieten lassen
Michael Kessler über gute Parodien, Florian Silbereisen und die Grenzen von Satire und Comedy
Ob Florian Silbereisen, Helene Fischer oder Tim Mälzer: In der neuen Comedyshow „Binge Reloaded“, die jüngst bei Amazon Prime Video gestartet ist, bekommen viele Berühmtheiten ihr Fett weg. Parodiert werden die TV-Prominenten unter anderem von Michael Kessler, der das früher schon in den Comedyshows „Switch“und „Switch reloaded“auf ProSieben mit großem Erfolg getan hat.
Michael Kessler, wie finden Sie eigentlich Florian Silbereisen?
Der macht erfolgreiches Fernsehen und unterhält viele Menschen sehr gut. Mich aber nicht.
Sie haben Silbereisen schon früher etwa in der Pro-Sieben-Sendung „Switch“parodiert und tun das auch in der neuen Comedyshow „Binge Reloaded“. Sie müssen ihn gut studiert haben …
Kann man so sagen, und er hat sich in all den Jahren sehr stark verändert, finde ich. In erster Linie äußerlich: Er hat keine gefärbten Haare mehr, die geschmacklosen Anzüge sind weg, er ist tätowiert und geht in die Muckibude. Außerdem ist er nicht mehr so aufgedreht wie früher und spricht mittlerweile mit einem tiefen Timbre, fast wie ein Synchronsprecher.
Haben Sie ihn mal getroffen?
Ich war mal vor Jahren mit ihm in einer Talkshow, wo er gesagt hat, dass er meine Parodie lustig findet. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob er es wirklich immer so lustig fand, wie ich ihn auf die Schippe genommen habe. Er hat es bei „Switch“ja auch dicke abbekommen, da muss man schon ein dickes Fell haben. Es gab dann auch mal die Idee, dass ich in seine Sendung komme, wo so eine Art Verbrüderung zwischen ihm und der von mir gespielten Figur stattfinden sollte. Das habe ich aber abgelehnt, weil es eine Verbrüderung zwischen Original und Parodist nicht geben darf, das wäre gegenüber dem Zuschauer nicht okay.
Ist Parodie die Urform von Comedy, also hat schon ein Steinzeitmensch den anderen nachgeäfft?
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Kann mir schon vorstellen, dass der Steinzeitkollege gedacht hat, Mensch, der da drüben geht aber komisch, das mach ich mal nach – und dafür von den anderen einen Lacher geerntet hat. Menschen, die andere genau beobachtet und parodiert haben, gab es wahrscheinlich schon immer. Das ist ja auch keine Frage des Alters, das geht im Kindergarten schon los.
Was braucht ein guter Parodist?
In erster Linie ein scharfes Auge. Ich muss genau schauen, wie jemand redet, wie er sich bewegt, was seine Eigenarten sind. Das ist beim einen einfacher und beim anderen schwieriger. Je schillernder oder skurriler eine Persönlichkeit ist, desto mehr Material habe ich, aus dem ich schöpfen kann.
Wie ist das, wenn Sie sich eine Figur aneignen?
Also ich übe das nicht vor dem Spiegel oder so, teste die Sprechweise oder Gestik der Figur aber schon mal im privaten Rahmen, übe das für mich im Wohnzimmer und belästige auch mal meine Mitmenschen damit. (lacht) Es ist ein langer Prozess, ich recherchiere viel, schaue mir Videomaterial an, achte auf Dialekt, Gestik oder Sprachfehler und mache mir Notizen. Dann überlege ich mir, welche Eigenheiten verstärkt werden müssen, damit der Zuschauer die Person sofort erkennt. Es dauert eine Weile, bis ich mich in eine Figur hineingefühlt habe.
Können Sie eine Figur auf Knopfdruck abrufen?
Absolut, das funktioniert von einer Sekunde auf die andere. Das ist vor allem bei Figuren, die ich schon lange parodiere, überhaupt kein Problem.
Erschrickt man da manchmal vor sich selber?
Wenn ich mich vor was erschrecke, dann vor den Masken.
Wir haben bei „Binge Reloaded“ja viel aufwendigere Masken als früher bei „Switch“, da wird mit Silikonteilen und allem gearbeitet, was das Handwerk hergibt, wir sind da komplett zugeklebt. Wenn ich mich dann so verwandelt im Fernsehen sehe, erschrecke ich schon manchmal, nicht nur vor mir, sondern auch vor meinen Kollegen, die komplett hinter der Maske verschwinden.
Wir dürfen uns den Mund nicht verbieten lassen.
Bei Parodien und in der Satire sind auch Dinge erlaubt, die sonst nicht gestattet sind.
Warum ist eigentlich Ihr alter „Switch“-Kollege Bernhard Hoëcker nicht mit von der Partie?
Für „Binge Reloaded“wurde ein neues Ensemble zusammengestellt, es ist eine gute Mischung dabei rausgekommen. Warum Bernhard nicht dabei ist, kann ich Ihnen gar nicht sagen, ich vermute mal, er hat wenig Zeit, er ist ja viel beschäftigt im Fernsehen.
Hoëcker hat sich für frühere Parodien entschuldigt, bei denen er mit Blackfacing gearbeitet hat …
Ich bin zwar auch der Ansicht, dass sich Weiße nicht unbedingt schwarz anmalen müssen. Wir geraten bei dieser Diskussion aber so langsam in einen schwierigen Bereich und müssen aufpassen, dass da nichts übertrieben wird. Wir Comedians machen Parodie, Sketche und Quatsch, wir verkleiden uns als Politiker, Prominente und was weiß ich nicht alles. Wir dürfen nicht vergessen: Bei Parodien und in der Satire sind auch
Dinge erlaubt, die sonst nicht gestattet sind. Wenn man uns das jetzt wegnimmt, dann haben wir ein ganz großes Problem, denn dann dürfen wir uns über ganz vieles nicht mehr lustig machen.
Ist die Freiheit der Kunst gefährdet?
So sehe ich das. Wir müssen diese Freiheit als Künstler auch weiterhin haben. Wenn wir künftig nur noch mit Sagrotan gereinigte Sketche abliefern dürfen, dann ist das der Tod von Satire und Parodie.
Was kann man dagegen machen?
Wir dürfen uns den Mund nicht verbieten lassen. Außerdem empfehle ich so manchen Zeitgenossen dringend, sich mal zu entspannen. Ich bin absolut dafür, dass Minderheiten toleriert und auch beschützt werden. Wir leben in einem freien Land, aber zu dieser Freiheit gehört auch, dass wir Spaß machen, dass wir Satire üben und parodieren dürfen. Wir dürfen den Humor nicht verlieren.