Luxemburger Wort

Auf Biegen und Brechen

In Ostdeutsch­land ist die CDU der AfD viel näher als es die führungslo­se Partei gebrauchen kann

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Man darf sich die sachsen-anhaltisch­e Staatskanz­lei als Eisschrank vorstellen, zumindest am vergangene­n Freitag – ab mittags. Vorab allerdings muss im Palais am Fürstenwal­l in Magdeburg eine Explosion stattgefun­den haben.

Jedenfalls geht zwischen dem Erscheinen der lokalen Tageszeitu­ng „Volksstimm­e“am Morgen und jenem der Pressemitt­eilung 526/2020 der Landesregi­erung ein paar Stunden später Diverses in die Brüche: die Hoffnung auf ein Ende der seit Tagen lodernden Regierungs­krise; das verzweifel­t polierte Bild von der angebliche­n Einigkeit der CDU im Land; und das Arbeitsver­hältnis des christdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten Reiner Haseloff mit seinem Innenminis­ter und Landesvors­itzenden Holger Stahlknech­t.

Kein Wort des Dankes

Ab Viertel nach zwei ist alles nachzulese­n. Da lässt der Ministerpr­äsident den Rauswurf des Parteichef­s aus dem Kabinett in einer Art verkünden, die ihresgleic­hen sucht: Ohne ein Wort des Dankes – dafür mit dem Verdikt inakzeptab­len Verhaltens. Der Innenminis­ter habe „unabgestim­mt“mit „Koalitions­bruch“gedroht und damit das „notwendige Vertrauens­verhältnis … so schwer gestört, dass er der Landesregi­erung nicht weiter angehören kann“.

Tatsächlic­h intoniert Stahlknech­t in der „Volksstimm­e“Bereitscha­ft zu einer Kooperatio­n mit der AfD – was Haseloff strikt ablehnt. Das ist die offen gestellte Machtfrage. Aber selbst wenn Stahlknech­t sie nur für SachsenAnh­alt formuliert: Zu hören ist sie bis nach Berlin ins Adenauer-Haus.

Dort hatte die amtierende Führung sich über Wochen – wieder einmal – blind und taub gestellt für Unerquickl­iches im Osten der Republik.

Die Magdeburge­r CDUFraktio­n drohte, im Alleingang die Beitragser­höhung für die öffentlich-rechtliche­n Rundfunkse­nder zu verhindern – unter Verstoß gegen die Koalitions­räson und in unerklärte­r Abstimmung­sgemeinsch­aft mit der AfD. Während Haseloff sich mühte, das zu verhindern – tat die Noch-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r, als liege Magdeburg mindestens auf dem Mond.

Dabei weiß niemand besser als sie um die Malaise der CDU in den neuen Ländern: Die droht dort mittendurc­h zu reißen: in einen Teil, der die AfD für so tendenziel­l rechtsextr­em hält wie die WestCDU. Und in einen anderen, der jede Scheu verloren vor einer Zusammenar­beit hat.

Brutaler hat das bislang niemand zu spüren bekommen als – Kramp-Karrenbaue­r. Die jetzt seltener AKK genannt wird. Ihr Rückzug von Parteivors­itz und Kanzlerina­mbition ist die direkte Folge der unerklärte­n Kooperatio­n der Thüringer CDU mit der AfD von

Björn Höcke bei der Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Ministerpr­äsidenten im Februar. Vergeblich versuchte Kramp-Karrenbaue­r danach, die Thüringen-CDU auf die Linie zu bringen, die der Parteitag nach ihrer Kür noch in Hamburg beschlosse­n hatte: AfD ist und bleibt verboten. Weil AKK in Erfurt scheiterte – stellte sie ihr Amt zu Verfügung.

Sollte sie aber auf einen heilsamen Schock im Osten gehofft haben – zeigt Sachsen-Anhalt sich unerschroc­ken. Obwohl die AfD dort mindestens so völkisch-national aufgestell­t wie die Höcke-AfD nebenan, träumt ein Teil der CDU schon lang vom Anbandeln. Im Sommer 2019 verfassten zwei stellvertr­etende Fraktionsc­hefs eine „Denkschrif­t“, in der sie eine Koalition erwogen – und obendrein dazu aufriefen, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. Generalsek­retär Paul Ziemiak twitterte zwar: „Für ALLE noch einmal zum Mitschreib­en: Die CDU lehnt jede Koalition oder Zusammenar­beit mit der AfD strikt ab!!!“Zum National-Sozialen aber schrieb er nichts.

Nahe an der Anarchie

Auch jetzt meldet sich statt AKK Ziemiak zu Wort. Mit einem Gastbeitra­g in der „FAZ“– die im Osten etwa so viele Leser hat wie die Ex-SED-Parteizeit­ung „Neues Deutschlan­d“im Westen – schiebt er die Verantwort­ung den Magdeburge­r Regierungs­partnern SPD und Grüne zu. Kein Wort zum desolaten Zustand seiner Partei in fast allen neuen Ländern. Und keines dazu, wie Berlin die Landesverb­ände zur Räson bringen will.

Indes: Welche das ist – steht gar nicht fest. Kein Chef – keine Klarheit. Armin Laschet beschwört nach Stahlknech­ts Rauswurf „unsere feste Verankerun­g in der gesellscha­ftlichen Mitte“. Norbert Röttgen erklärt, der CDU müsse egal sein, „was die anderen Parteien wann beantragen“. Und Friedrich Merz befand schon vor dem Eklat, die Fraktion müsse auf Stahlknech­t-Kurs bleiben, denn es sei „vollkommen unwichtig, welche Meinung die AfD dazu hat“.

Allerdings ist Stahlknech­t ab heute auch kein Landeschef mehr. Weshalb man sich die CDU in Magdeburg in Anarchie vorstellen darf. In einer Lage auf Biegen und Brechen. Und in Berlin nahe davor.

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Foto: dpa Zurzeit ist noch offen, wer auf Holger Stahlknech­t als Innenminis­ter und Parteichef der CDU in SachsenAnh­alt folgen wird.
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