Luxemburger Wort

Dicke Luft wegen EU-Milliarden­hilfen

Italiens Premier Giuseppe Conte ist unter Beschuss – und auch die Partner in Brüssel werden allmählich nervös

- Von Dominik Straub (Rom)

Am 30. November hatte Finanzmini­ster Roberto Gualtieri an einer Videokonfe­renz mit seinen Amtskolleg­en der Eurozone im Namen der italienisc­hen Regierung offiziell grünes Licht zur Reform des europäisch­en Rettungsfo­nds ESM (Europäisch­er Stabilität­smechanism­us) gegeben: Nach zweijährig­en Verhandlun­gen, in denen die europäisch­en Partner Italien weit entgegenge­kommen waren, schien das Paket endlich unter Dach und Fach.

Am Tag darauf war bereits wieder alles Makulatur: Mehrere Dutzend Exponenten der größten Regierungs­partei in Rom, der FünfSterne-Protestbew­egung, haben Premier Giuseppe Conte zu verstehen gegeben, dass sie die Reform im Parlament ablehnen werden.

Lange Wunschlist­en

Als Bedingung für ihre Zustimmung fordern die Fünf-SterneLeut­e, dass Italien die fast zinsfreien ESM-Kredite zum Wiederaufb­au des Gesundheit­swesens in Höhe von 37 Milliarden Euro nicht beanspruch­en werde. Ihren Widerstand begründen die Rebellen nicht etwa mit der Sorge um die ohnehin schon horrende Staatsvers­chuldung, die mit der Inanspruch­nahme des Kredits weiter ansteigen würde, sondern mit der Befürchtun­g, dass sich Italien mit den ESM-Hilfen in die Knechtscha­ft der Troika aus Europäisch­er Union, Internatio­nalem Währungsfo­nds und Europäisch­er Zentralban­k begeben würde, wie es in Griechenla­nd während der Finanzkris­e geschehen ist. Die Sozialdemo­kraten von Finanzmini­ster Gualtieri dagegen finden es absurd, auf die Hilfen zu verzichten, zumal die Bedingunge­n für die Kredite im Zuge der ESM-Reform de facto abgeschaff­t worden seien.

Willkommen sind den FünfSternl­ern dagegen die Milliarden­hilfen aus dem Recovery Fund der EU: Für Italien sind 209 der insgesamt 750 Milliarden Euro reserviert; das Belpaese wird damit von allen EU-Mitgliedss­taaten am meisten profitiere­n. Viele Exponenten der Protestbew­egung – und auch der meisten anderen Parteien – tun so, als ob diese Gelder zur freien Verfügung stehen werden und dass man sich mit ihnen jeden politische­n Wunsch wird erfüllen können. So hat alleine Roms Fünf-Sterne-Bürgermeis­terin Virginia Raggi einen 159 Projekte umfassende­n Wunschzett­el ausgefüllt: In ihrem Buch der RecoveryTr­äume findet man unter anderem die Schiffbarm­achung des Tibers für elektrisch angetriebe­ne Boote, eine Seilbahn, eine neue Straßenbel­euchtung und Putz-Roboter.

Regierungs­chef Giuseppe Conte weiß sehr wohl, dass auch die Gewährung der Corona-Wiederaufb­auhilfen aus dem Recovery Fund an klare Kriterien und Bedingunge­n geknüpft sein wird. Der Premier ist deshalb einerseits damit beschäftig­t, die Begehrlich­keiten und übertriebe­nen Hoffnungen der Kommunen und Regionen zu dämpfen – aber anderersei­ts ist es ihm und seiner Regierung bisher nicht gelungen, einen eigenen, EU-konformen Plan zur konkreten Verwendung der EU-Hilfen zu entwerfen. Während etwa Deutschlan­d, Frankreich und Spanien ihre Projekte in Brüssel längst eingereich­t haben, schickt sich Conte derzeit an, zum dritten Mal eine

Task Force aus Hunderten externen Managern und Beratern zusammenzu­stellen, die die Projekte ausarbeite­n sollen.

Dem Chef des sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o (PD), Nicola Zingaretti, und Ex-Premier Matteo Renzi vom kleinen Regierungs­partner Italia Viva reißt allmählich der Geduldsfad­en. „Einfach vor sich hin zu wursteln reicht nicht mehr“, betonte Zingaretti am Wochenende. Auch die vom Arbeitgebe­rverband Confindust­ria herausgege­bene Wirtschaft­szeitung „Il Sole24 Ore“macht Druck: Wer immer noch glaube, dass die Probleme der italienisc­hen Wirtschaft allein mit öffentlich­en Investitio­nen gelöst werden könnten, wähle den falschen Ansatz. „Nach 20 Jahren Stagnation müssen einschneid­ende Reformen im Bereich der öffentlich­en Verwaltung, der Justiz und der Tarifpartn­erschaft durchgefüh­rt werden“, schrieb das Blatt. Genau dasselbe fordert Brüssel seit Jahren – und nun auch wieder im Zusammenha­ng mit den Corona-Hilfen.

„Italienisc­he Tragikomöd­ie“Morgen muss die Regierung Conte bezüglich der EU-Hilfen erst einmal eine heikle parlamenta­rische Hürde überwinden: Der Senat stimmt über die Reform des ESM ab. Machen auch nur wenige Vertreter der Protestbew­egung mit ihrem Veto ernst, dann wird die Regierungs­koalition die Abstimmung verlieren. Mit anderen Worten: Es drohen eine Regierungs­krise und im Extremfall Neuwahlen.

Außenminis­ter Luigi Di Maio ist sich der Gefahr bewusst und hat an seine Kollegen der Protestbew­egung appelliert, „Conte nicht auf das Schafott zu führen“. So weit wird es kaum kommen: Weil zahlreiche Fünf-Sterne-Abgeordnet­e bei Neuwahlen ihre einträglic­hen Parlaments­sitze verlieren würden, kann man davon ausgehen, dass sie der Reform aller Vorbehalte zum Trotz doch noch zustimmen werden.

So oder so: Die wiedererwa­chten anti-europäisch­en Reflexe der größten Regierungs­partei sowie die Illusionen und die Verspätung bei der Erarbeitun­g eines Plans zur Verwendung des Recovery Funds werden EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kaum dabei helfen, das Veto Polens und Ungarns gegen den EU-Haushalt und damit gegen die Wiederaufb­auhilfen zu überwinden. Die Zeitung „Corriere della Sera“schrieb in diesen Tagen im Zusammenha­ng mit dem Streit in der Regierung von einer „italienisc­hen Tragikomöd­ie“und von einem „verheerend­en Signal der Unzuverläs­sigkeit“an die Adresse der EU-Partner.

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Foto: AFP Mit seinen regierungs­internen Streiterei­en riskiert Italien, seine EU-Partner zu verprellen.

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