Luxemburger Wort

Corona-Wirren in Russland

Die Angaben über die Folgen von Covid-19 widersprec­hen sich ebenso wie die über die Impfungen

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Gesundheit­sminister Michail Muraschko äußerte sich gestern doch drastisch: Immer neue Virenherde erforderte­n es, die physischen Bewegungen der Russen einzuschrä­nken, auch zwischen den Regionen. Bislang konnten sich die Behörden meist nur zu formalen Anti-Corona-Maßnahmen durchringe­n, wie der Schließung von Cafés und Kneipen nach 23 Uhr.

Es herrscht Covid-19-Wirrnis in Russland, schon was die Zahlen angeht. Seit September zeigt die vaterländi­sche Pandemieku­rve steil nach oben, gestern gab es 28 142 Neuinfizie­rte und 456 Tote. Aber das sind offizielle Zahlen des Operativen Stabs zur Corona-Bekämpfung, viele Fachleute halten die Sterberate für deutlich höher. Der Stab meldet 43 600 Todesopfer insgesamt. Aber laut dem Statistika­mt Rosstat gab es schon von April bis September über 55 000 Corona-Tote. Seitdem verdoppelt­en sich die Fälle auf gut 2,5 Millionen. Es häufen sich Klagen von Patienten, die an Covid-19 Symptomen und hohem Fieber leiden, aber vergeblich versuchen, eine Ambulanz zu rufen. „Auch viele Herzanfäll­e enden jetzt tödlich“, sagt die Ärztin Jelena Spiridonow­a, „weil der Notarzt es nicht mehr zu jedem Patienten schafft.“

Unklar ist auch die Kapazität der Intensivst­ation-Betten. Gestern erklärte Minister Muraschko, man habe 278 500 Betten für CoronaKran­ke, 22,8 Prozent davon seien frei. Im Mai aber war noch von 127 000 Betten die Rede. Nun fragen sich Fachleute, woher das Personal für eine doppelt so große Zahl von Betten mit intensiver Betreuung

Der russische „Sputnik V“-Impfstoff befindet sich noch in der Testphase.

kommen soll. Schon im Oktober sagte die Ärztegewer­kschaftler­in Anastasia Wassiljewa dem „Luxemburge­r Wort“, in Uljanowske­r Corona-Kliniken versorgten zwei Ärzte hundert Patienten.

Seit Samstag werden Moskauer mit dem neuen „Sputnik V“-Serum geimpft, im „großen Maßstab“, wie Wladimir Putin es forderte. Er versprach vor einer Woche die Herstellun­g von zwei Millionen Impfdosen in den nächsten Tagen. Allerdings meldete Moskaus Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin gestern nur 2 000 Impfungen an den ersten beiden Tagen. Man beschränke sich bisher auf die Risikogrup­pen Ärzte, Lehrer und Sozialarbe­iter. Kein Wunder, laut dem Portal meduza.ru hat Russland bisher nur 500 000 Dosen auf Lager, weil ungelöste technische Probleme die stabile Produktion eines der zwei nötigen Wirkstoffe noch verhindern.

Putin noch nicht geimpft

Und noch befindet sich „Sputnik V“in der Testphase. Die Wirksamkei­t des Impfstoffe­s wird mit 95 Prozent angegeben. Unabhängig­e Studien zu dem russischen Impfstoff sind aber bisher nicht bekannt. Kremlsprec­her Dmitri Peskow erklärte kürzlich, Putin selbst sehe bisher von einer Impfung ab. „Der Staatschef kann doch nicht als Freiwillig­er teilnehmen.“Die Verwirrung geht weiter.

Auch viele Herzanfäll­e enden jetzt tödlich. Jelena Spiridonow­a, Ärztin

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Foto: AFP

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