Betriebe in der Verantwortung
TNS Ilres: Die Mehrheit der Bürger will verbindliche Menschenrechtsstandards für Firmen
Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Gewalt am Arbeitsplatz – die wirtschaftlichen Tätigkeiten von Unternehmen können zu Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt führen. Deshalb wird vielerorts eine verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Firmen gefordert. Auch in Luxemburg: Die „Initiative pour un devoir de vigilance“, die das Ziel verfolgt, Unternehmen zu mehr Rücksicht auf Menschenrechte und Umwelt zu verpflichten, setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2018 dafür ein, dass im Großherzogtum ein nationales Gesetz über jene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Wirtschaft geschaffen wird. „Auch im Großherzogtum gibt es Unternehmen, die in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind“, erklärt JeanLouis Zeien und verweist dabei auf einen Bericht der Nichtregierungsorganisation Action Solidarité Tiers Monde (ASTM). Dort wird beispielsweise das Stahlunternehmen Ternium mit Hauptsitz in Luxemburg unter die Lupe genommen – jahrelang standen die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in verschiedenen Produktionsorten in Lateinamerika im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Die Organisation sieht ihre Position durch eine Umfrage vom Meinungsforschungsinstitut TNS Ilres, deren Ergebnisse gestern vorgestellt wurden, wesentlich gestärkt. Demnach finden 92 Prozent der Einwohner Luxemburgs, dass es die Aufgabe der Politik ist, ein nationales Gesetz einzuführen, „das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu verhindern.“93 Prozent der Befragten finden auch, dass Unternehmen künftig sehr genau auf Umweltschäden, die sich negativ auf Menschenrechte auswirken, achten müssten. Bei Verstößen sollten Firmen mit Sitz im Großherzogtum für Menschenrechtsverletzungen im Inland wie im Ausland vor einem Luxemburger Gericht verklagt werden können – dafür sprechen sich 85 Prozent der Befragten aus.
„Alle Forderungen stoßen auf eine breite Zustimmung“, stellt Tommy Klein von TNS Ilres fest. Die Umfrage wurde zwischen dem 9. und 16. Oktober bei 505 Einwohnern durchgeführt.
Der Blick ins Ausland
Dass das Thema von Brisanz ist, zeigt der Blick ins Ausland: In Frankreich gibt es bereits seit 2017 die sogenannte „Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et entreprises donneuses d'ordre“, die Großkonzerne mit mehr als 5 000 Mitarbeitern in die Verantwortung nimmt. Im vergangenen Jahr wurde in den Niederlanden ein „Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Kampf gegen Kinderarbeit“verabschiedet; die heimischen Unternehmen sind damit dazu verpflichtet, zu überprüfen, inwiefern das Risiko der Kinderarbeit in ihren Lieferketten besteht. In der Schweiz ist die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative vor wenigen Tagen nur knapp gescheitert.
Auch in anderen europäischen Ländern werden aktuell Gesetze diskutiert, die Unternehmen zwingen, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten menschenrechtskonform zu gestalten. In Finnland wurde vor Kurzem ein Konsultationsprozess organisiert, in Deutschland wird bereits über ein nationales Lieferkettengesetz diskutiert, wie die „Initiative pour un devoir de vigilance“erklärt. Darüber hinaus arbeitet die Europäische Kommission derzeit an solchen Regelungen – auf internationaler Ebene hatten die Vereinten Nationen 2011 die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“angenommen, deren Umsetzung allerdings nicht verbindlich ist.
„Offiziell heißt es immer wieder, dass Luxemburg zunächst auf Europaniveau eine Einigung finden will“, erklärt Zeien. „Es fehlt der Ausdruck eines klaren politischen Willens, dass die Regierung auch auf nationaler Ebene ein Gesetz ausarbeiten will“, formuliert es Antoniya Argirova von ASTM. Es gehe schließlich darum, solche Regelungen zum Schutz von Menschenrechten so schnell wie möglich einzuführen. Dabei ist die EU nicht gerade für schnelle Entscheidungsprozesse bekannt, wie das Beispiel der europäischen Verordnung über Konfliktminerale wie Zinn, Tantal, Wolfram und Gold zeigt. Am 1. Januar 2021 wird die neue Verordnung zwar in Kraft treten – sie soll dabei helfen, den Handel mit Mineralien einzudämmen, die mitunter zur Finanzierung bewaffneter Konflikte beitragen oder in Zwangsarbeit abgebaut werden, sagt die EU-Kommission. Dennoch habe man eine Einigung nur nach vielen Jahren finden können, obwohl das Problem schon seit Langem bekannt ist, so Jean-Louis Zeien.
Große Ambitionen
Dabei ist es für Luxemburg aktuell besonders wichtig, eine Vorbildrolle im Bereich des Menschenrechtsschutzes zu spielen, erklärt die „Initiative pour un devoir de vigilance“. Denn: Das Großherzogtum will sich für einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat für den Zeitraum 2022 bis 2024 zur Wahl stellen, so die Vertreter der Initiative. „Es braucht nationale Pioniere wie die Niederlande und Frankreich (...). Luxemburg und Finnland, die beide Ambitionen haben, eine Rolle auf der EU-Ebene des UN-Menschenrechtsrates zu spielen, sollten hier dazustoßen.“