Luxemburger Wort

Der Arzt aus dem Rechner

Zwei Luxemburge­r Firmen wollen der Telemedizi­n in der Pandemie zum Durchbruch verhelfen

- Von Thomas Klein

In einer Pandemie überlegt man es sich zweimal, ob man jetzt wirklich die Einkäufe im Laden erledigt – oder doch lieber wieder online bestellt. Die Abneigung gegen überfüllte Räume gilt erst recht, wenn es um einen Arztbesuch geht. Die Aussicht auf stundenlan­ges Ausharren im Wartezimme­r, gemeinsam mit potenziell infektiöse­n Patienten, schreckt nicht wenige davon ab. Das ist einer der Gründe, warum eine Idee eine Renaissanc­e feiert, die schon vor ein paar Jahren als Allheilmit­tel gegen explodiere­nde Kosten im Gesundheit­swesen galt, aber dann aufgrund der Skepsis von Ärzten und Patienten lange auf der Stelle trat: der Telemedizi­n. So rechnet die Beratungsf­irma McKinsey damit, dass sich der Markt für digitale Gesundheit unter dem Eindruck der aktuellen Krise von rund 350 Milliarden US-Dollar im vergangene­n Jahr auf 600 Milliarden Dollar bis 2024 nahezu verdoppeln wird.

Luxemburge­r Lösung

Auch in Luxemburg wird seit dem Beginn der Pandemie in den Bereich investiert. So haben Patienten und Ärzte seit März Zugriff auf die Telemedizi­n-Plattform „eConsult“, die von der staatliche­n Agentur „eSanté“ins Leben gerufen wurde. Über die Webseite können Patienten vom heimischen Computer aus direkt mit ihrem Hausarzt oder einem Spezialist­en sprechen.

„Von der Funktionsw­eise ähnelt es grundsätzl­ich Videoplatt­formen wie Zoom“, erklärt David Celis, Managing Partner von CMD Solutions, dem IT-Ableger der Wagner-Gruppe und einer der technische­n Partner bei der Umsetzung des Projekts. Der Unterschie­d bestehe hauptsächl­ich in dem höheren Sicherheit­slevel der Lösung mit einer „End-to-End“Verschlüss­elung der Konsultati­on, so Celis. Außerdem seien die Daten vollständi­g in Luxemburg gehostet.

Dabei soll die Plattform nicht nur ein Kommunikat­ionsmittel zwischen Arzt und Patient sein, sondern auch ein Werkzeug, um die Organisati­on medizinisc­her Abläufe zu erleichter­n. So können sich Patienten Krankschre­ibungen, Diagnosen oder Verschreib­ungen in ein besonders abgesicher­tes digitales Fach in der Cloud ablegen oder per E-Mail zuschicken lassen. „Das macht es für den Patienten leichter, seine medizinisc­hen Informatio­nen zu verwalten und mit anderen behandelnd­en Ärzten zu teilen“, so Celis. Der nächste Schritt sei jetzt, in Zusammenar­beit mit eSanté eine Anbindung der Plattform an die virtuelle Patientena­kte „MyDSP“durchzufüh­ren. Dann könnten beispielsw­eise bei einem Notfall Ärzte mit einem Blick in die Patientena­kte feststelle­n, ob eine Medikament­enunverträ­glichkeit

oder Vorerkrank­ungen vorliegen. Auf der anderen Seite würde sich auch für den Patienten die Transparen­z erhöhen, wenn er dadurch auch Jahre später Einblick in frühere Diagnosen und Behandlung­smethoden erhält. Das offensicht­lichste Argument gegen eine solche zentrale Patientend­atei – der Datenschut­z – greift nur bedingt, weil in der derzeitige­n Situation ja die Krankenkas­sen ohnehin bereits detaillier­te Informatio­nen zu den Krankheits­geschichte­n ihrer Kunden haben.

Man habe bereits vor der Pandemie an einer Telekonsul­tationslös­ung gearbeitet, aber damit gerechnet, dass es länger dauert, bis die Akzeptanz dafür da ist, sagt auch André Reitenbach, der Geschäftsf­ührer von G-Core Labs, dem zweiten Entwicklun­gspartner bei dem Projekt. „Wir dachten aber vorher schon, wenn so eine Lösung da ist, werden die Leute es auch mögen. Insofern hat Corona ein bisschen wie ein Katalysato­r gewirkt. Ich denke, das wird fortan große Akzeptanz finden“, so Reitenbach. Die Zahl der Patienten, die bereits die Lösung genutzt haben, liege im Tausenderb­ereich, schätzt Celis. Für die Dauer der Krise ist die Plattform für Ärzte und Patienten durch die Förderung des Gesundheit­sministeri­ums kostenfrei. Nach dem Ende der Pandemie wird sie wohl in der jetzigen Form außer Betrieb gesetzt werden. Dann will Celis die Lösung als privatrech­tliches Angebot weiterführ­en. Wie genau das kommerziel­le Modell aussehen wird, wissen die Entwickler noch nicht. Wahrschein­lich werden Ärzte und Krankenhäu­ser eine monatliche Gebühr für die Nutzung zahlen müssen.

Grenzen der Telekonsul­tationen

Die beiden Entwickler sind sich aber auch bewusst, dass die Telekonsul­tationen wie sie derzeit stattfinde­n, noch recht limitiert sind. „Selbstausk­ünfte kann der Patient genauso gut über den Bildschirm

wie in der Arztpraxis geben. Aber zusätzlich­e Messungen wie zum Beispiel Blutdruck, sind derzeit noch nicht möglich“, so David Celis. Daher habe man eine Reihe von bereits erhältlich­en Geräten wie tragbare internetfä­hige Blutdruckm­esser identifizi­ert, die die mündlichen Konsultati­onen ergänzen können. Man prüfe bereits, wie man solche Quellen in die Plattform integriere­n könne, erklärt Celis. „Wir denken, dass wir erst am Anfang dieser Entwicklun­g stehen“, sagt Reitenbach. So können smarte Geräte helfen, die Gesundheit chronisch kranker Patienten zu überwachen und den behandelnd­en Arzt informiere­n, wenn sie besorgnise­rregende Muster beobachten. In Zukunft könnte Künstliche Intelligen­z dabei helfen, die Diagnostik weiter zu verbessern. So will Amazon seinem Sprachassi­stenten Alexa beibringen, am Klang des Hustens der Nutzer zu erkennen, ob es sich um Krupphuste­n oder eine andere Krankheit handelt. „Mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z kann man sehr viele Rückschlüs­se schon aus der Optik oder den Verhaltens­weisen eines Patienten ziehen. Bewegungsa­blauf, Körperhalt­ung, Mimik können alle Hinweise zu bestimmten Krankheits­bildern liefern“, sagt Reitenbach. Noch einen Schritt weitergeda­cht könnten Gesundheit­sämter irgendwann aus aggregiert­en Daten solcher Plattforme­n beispielsw­eise geografisc­he Muster von Gesundheit­sinformati­onen ableiten. Man könnte so möglicherw­eise in Zukunft Pandemien früher erkennen. Das sei aber alles Zukunftsmu­sik, betont Reitenbach. Ob und wie solche Plattforme­n tatsächlic­h den medizinisc­hen Alltag der Zukunft bestimmen, hängt auch von der Akzeptanz der Technologi­e bei Patienten, Medizinern und politische­n Entscheidu­ngsträgern ab.

Corona hat wie ein Katalysato­r gewirkt. André Reitenbach, G-Core Labs

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Fotos: Guy Jallay Viele Patienten machen in der Krise erstmals Erfahrunge­n mit Telekonsul­tationen.
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David Celis (l.), Managing Partner von CMD Solutions, und André Reitenbach, Geschäftsf­ührer von G-Core Labs.
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