Der Arzt aus dem Rechner
Zwei Luxemburger Firmen wollen der Telemedizin in der Pandemie zum Durchbruch verhelfen
In einer Pandemie überlegt man es sich zweimal, ob man jetzt wirklich die Einkäufe im Laden erledigt – oder doch lieber wieder online bestellt. Die Abneigung gegen überfüllte Räume gilt erst recht, wenn es um einen Arztbesuch geht. Die Aussicht auf stundenlanges Ausharren im Wartezimmer, gemeinsam mit potenziell infektiösen Patienten, schreckt nicht wenige davon ab. Das ist einer der Gründe, warum eine Idee eine Renaissance feiert, die schon vor ein paar Jahren als Allheilmittel gegen explodierende Kosten im Gesundheitswesen galt, aber dann aufgrund der Skepsis von Ärzten und Patienten lange auf der Stelle trat: der Telemedizin. So rechnet die Beratungsfirma McKinsey damit, dass sich der Markt für digitale Gesundheit unter dem Eindruck der aktuellen Krise von rund 350 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr auf 600 Milliarden Dollar bis 2024 nahezu verdoppeln wird.
Luxemburger Lösung
Auch in Luxemburg wird seit dem Beginn der Pandemie in den Bereich investiert. So haben Patienten und Ärzte seit März Zugriff auf die Telemedizin-Plattform „eConsult“, die von der staatlichen Agentur „eSanté“ins Leben gerufen wurde. Über die Webseite können Patienten vom heimischen Computer aus direkt mit ihrem Hausarzt oder einem Spezialisten sprechen.
„Von der Funktionsweise ähnelt es grundsätzlich Videoplattformen wie Zoom“, erklärt David Celis, Managing Partner von CMD Solutions, dem IT-Ableger der Wagner-Gruppe und einer der technischen Partner bei der Umsetzung des Projekts. Der Unterschied bestehe hauptsächlich in dem höheren Sicherheitslevel der Lösung mit einer „End-to-End“Verschlüsselung der Konsultation, so Celis. Außerdem seien die Daten vollständig in Luxemburg gehostet.
Dabei soll die Plattform nicht nur ein Kommunikationsmittel zwischen Arzt und Patient sein, sondern auch ein Werkzeug, um die Organisation medizinischer Abläufe zu erleichtern. So können sich Patienten Krankschreibungen, Diagnosen oder Verschreibungen in ein besonders abgesichertes digitales Fach in der Cloud ablegen oder per E-Mail zuschicken lassen. „Das macht es für den Patienten leichter, seine medizinischen Informationen zu verwalten und mit anderen behandelnden Ärzten zu teilen“, so Celis. Der nächste Schritt sei jetzt, in Zusammenarbeit mit eSanté eine Anbindung der Plattform an die virtuelle Patientenakte „MyDSP“durchzuführen. Dann könnten beispielsweise bei einem Notfall Ärzte mit einem Blick in die Patientenakte feststellen, ob eine Medikamentenunverträglichkeit
oder Vorerkrankungen vorliegen. Auf der anderen Seite würde sich auch für den Patienten die Transparenz erhöhen, wenn er dadurch auch Jahre später Einblick in frühere Diagnosen und Behandlungsmethoden erhält. Das offensichtlichste Argument gegen eine solche zentrale Patientendatei – der Datenschutz – greift nur bedingt, weil in der derzeitigen Situation ja die Krankenkassen ohnehin bereits detaillierte Informationen zu den Krankheitsgeschichten ihrer Kunden haben.
Man habe bereits vor der Pandemie an einer Telekonsultationslösung gearbeitet, aber damit gerechnet, dass es länger dauert, bis die Akzeptanz dafür da ist, sagt auch André Reitenbach, der Geschäftsführer von G-Core Labs, dem zweiten Entwicklungspartner bei dem Projekt. „Wir dachten aber vorher schon, wenn so eine Lösung da ist, werden die Leute es auch mögen. Insofern hat Corona ein bisschen wie ein Katalysator gewirkt. Ich denke, das wird fortan große Akzeptanz finden“, so Reitenbach. Die Zahl der Patienten, die bereits die Lösung genutzt haben, liege im Tausenderbereich, schätzt Celis. Für die Dauer der Krise ist die Plattform für Ärzte und Patienten durch die Förderung des Gesundheitsministeriums kostenfrei. Nach dem Ende der Pandemie wird sie wohl in der jetzigen Form außer Betrieb gesetzt werden. Dann will Celis die Lösung als privatrechtliches Angebot weiterführen. Wie genau das kommerzielle Modell aussehen wird, wissen die Entwickler noch nicht. Wahrscheinlich werden Ärzte und Krankenhäuser eine monatliche Gebühr für die Nutzung zahlen müssen.
Grenzen der Telekonsultationen
Die beiden Entwickler sind sich aber auch bewusst, dass die Telekonsultationen wie sie derzeit stattfinden, noch recht limitiert sind. „Selbstauskünfte kann der Patient genauso gut über den Bildschirm
wie in der Arztpraxis geben. Aber zusätzliche Messungen wie zum Beispiel Blutdruck, sind derzeit noch nicht möglich“, so David Celis. Daher habe man eine Reihe von bereits erhältlichen Geräten wie tragbare internetfähige Blutdruckmesser identifiziert, die die mündlichen Konsultationen ergänzen können. Man prüfe bereits, wie man solche Quellen in die Plattform integrieren könne, erklärt Celis. „Wir denken, dass wir erst am Anfang dieser Entwicklung stehen“, sagt Reitenbach. So können smarte Geräte helfen, die Gesundheit chronisch kranker Patienten zu überwachen und den behandelnden Arzt informieren, wenn sie besorgniserregende Muster beobachten. In Zukunft könnte Künstliche Intelligenz dabei helfen, die Diagnostik weiter zu verbessern. So will Amazon seinem Sprachassistenten Alexa beibringen, am Klang des Hustens der Nutzer zu erkennen, ob es sich um Krupphusten oder eine andere Krankheit handelt. „Mithilfe von Künstlicher Intelligenz kann man sehr viele Rückschlüsse schon aus der Optik oder den Verhaltensweisen eines Patienten ziehen. Bewegungsablauf, Körperhaltung, Mimik können alle Hinweise zu bestimmten Krankheitsbildern liefern“, sagt Reitenbach. Noch einen Schritt weitergedacht könnten Gesundheitsämter irgendwann aus aggregierten Daten solcher Plattformen beispielsweise geografische Muster von Gesundheitsinformationen ableiten. Man könnte so möglicherweise in Zukunft Pandemien früher erkennen. Das sei aber alles Zukunftsmusik, betont Reitenbach. Ob und wie solche Plattformen tatsächlich den medizinischen Alltag der Zukunft bestimmen, hängt auch von der Akzeptanz der Technologie bei Patienten, Medizinern und politischen Entscheidungsträgern ab.
Corona hat wie ein Katalysator gewirkt. André Reitenbach, G-Core Labs