Stoff, aus dem die Träume sind
Nicole Steines aus Tarchamps schneidert aus alten Textilien neue Ideen nach Maß
Tarchamps. Was für den Autofan der neue Sportwagen, das ist für Nicole Steines derzeit ihre „Brother Stellaire“. Strahlenden Glanz in ihr bescheidenes Nähzimmer, das bringt die blütenweiße Brodiermaschine auf jeden Fall. Ob per Touchscreen oder App, mit ihr lassen sich die schönsten Zeichnungen, Bilder und Fotos in Stickmuster verwandeln, die das Gerät alsdann in Windeseile auf die gewünschte Stoffunterlage zaubert.
„Die kann schon richtig tolle Sachen“, zeigt sich die 56-Jährige immer noch beeindruckt, während sie eines ihrer schönsten
Testexemplare hervorkramt. Ein farbenfrohes Stickbild des kleinen Enkels, in 97 Minuten und 46 888 Stichen auf Stoff gebannt. Dabei ist die Brodiermaschine auch für sie selbst in gewissem Sinne ein Präsent, nämlich der Förderpreis für ihren kreativen Kampf gegen die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft, der jüngst im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Äre Projet (m)am Naturpark“mit 5 000 Euro dotiert worden war.
Die Anerkennung für ein zukunftsweisendes Projekt, obwohl das, was Nicole Steines tut – und auch anderen vermitteln will – im Grunde ein Wegweiser zurück zur Bodenständigkeit früherer Tage ist: In ihrem kleinen Atelier in Tarchamps verarbeitet sie nämlich zum Wegschmiss verurteilte Textilien zu neuen Kreationen oder zu raffiniert geflickten Kleidungsstücken oder Stoffobjekten. So, wie es in den meisten Haushalten ehedem gang und gäbe war.
„Der Wert eines Kleidungsstücks hängt nicht an einer Marke“
„Meine Botschaft ist ganz einfach: Nicht alles, was nicht mehr nagelneu ist, gehört gleich auf den Müll und der wahre Wert eines Kleidungsstücks hängt nicht am Namen einer Modemarke“, bringt es Nicole Steines ganz lapidar auf den Punkt. „Nachhaltigkeit ist eben auch, Dinge in Ehren zu halten, sie nicht gleich beim kleinsten Riss oder Fleck zu entsorgen, sondern zu erkennen, wofür sie eventuell sonst noch zu gebrauchen sind.“
Wie groß die Bandbreite der Wiederverwendungs- oder Umnutzungszwecke mit etwas Geschick sein kann, das zeigen bei Nicole Steines zurzeit vor allem die kleinen Mannequins. Die beiden Puppen, die ihr aus der Ecke des Nähzimmers bei der Arbeit über die Schulter schauen, tragen zwar Röckchen oder Mäntel, die aussehen wie neu, von Nicole Steines aber aus abgetragenen Kleidungsstücken von eigener Hand kreiert wurden. Und auch der Puppenschrank ist proppenvoll.
„Normalerweise hätte ich einen Großteil der Sachen bereits auf einem Hobbymarkt angeboten“, sagt die nähende Autodidaktin. „Doch aufgrund der Corona-Pandemie war in den vergangenen Monaten eben nichts zu machen.“
Trotz des Booms der Maskenfertigung war 2020 eben doch auch ein schlechtes Jahr, um das direkte Gespräch mit den Menschen zu finden oder gar die erwogene Einführung gemütlicher Nähnachmittage in ihrem Atelier einzuleiten, bei denen sie mit kleinen Tipps und Tricks auch andere zur Wiederentdeckung der Näh- oder Stickmaschine ermuntern will.
Denn eins steht für Nicole Steines fest: „Man muss kein gelernter Schneider sein, um Textilien mit einigen Handgriffen zu flicken, aufzuwerten oder gar zu anderen Zwecken neu zu nutzen.“Als bestes Beispiel dafür zeigt sie mit dem Finger gleich auf sich selbst. „Alles, was ich hier tue,
Man muss kein Schneider sein, um Textilien zu flicken, aufzuwerten oder neu zu nutzen. Nicole Steines
habe ich mir – teils gar über Lernvideos im Internet – selbst beigebracht. Und die Ideen für die kreativere Arbeit, die kommen des Nachts ganz von allein.“
Dass gerade bei jüngeren Jahrgängen der Griff zum Nähzeug keine Selbstverständlichkeit mehr ist, das weiß aber auch sie. „Ich habe drei Töchter, die für die Arbeit mit Nadel und Faden auch lieber zu mir kommen“, lacht Nicole Steines. Doch aufgemerkt: „Eine von ihnen hat auch stets gemeint, sie könne nicht backen. Mittlerweile zaubert sie die besten Leckereien aus dem Ofen.“Nimmt man den Faden erst einmal auf, dann spinnt er sich eben auch meist weiter ...