Tief in der Krise
Der FC Barcelona möchte die Champions League nutzen, um Selbstvertrauen für die Meisterschaft zu tanken
Erst wurde der Titel in der spanischen Meisterschaft verspielt, nachdem man insgesamt 16 Spieltage an der Spitze lag, dann folgte das 2:8-Debakel in der Champions League gegen den FC Bayern. Wer glaubte, tiefer könne der FC Barcelona nicht fallen, sah sich getäuscht. Die Talfahrt der vergangenen Monate hält nämlich munter an: Machtkämpfe von Ausnahmekönner Lionel Messi und der Vereinsspitze, eine angespannte finanzielle Lage, eine schwere Verletzung von Stütze Gerard Piqué und ein desaströser Start in die Meisterschaft. Der FC Barcelona ist derzeit ein Schatten seiner selbst. Den vorläufigen Tiefpunkt erreichten die Katalanen am vergangenen Samstag.
Marc-André ter Stegen schaute fassungslos zur Seitenlinie. Schon wieder hatte ein absolut vermeidbares Gegentor eine Niederlage des FC Barcelona eingeleitet. Und diesmal war auch der ansonsten fast immer überragende Torwart beteiligt – wenn auch nicht entscheidend. „Was für ein Patzer!“, titelte die katalanische Zeitung „Sport“am Sonntag nach dem 1:2 beim Aufsteiger FC Cadiz neben einem Bild des deutschen Nationaltorhüters. In der Primera Division hat der Club von Weltfußballer Messi den schlechtesten Ligastart seit 33 Jahren hingelegt.
„Das war ein Riesenschritt zurück“, sagte Barça-Trainer Ronald Koeman, der seit seinem Amtsantritt im Sommer noch nicht überzeugte. Es sei unglaublich, wie das zweite Gegentor gefallen sei. Es war eine ganze Fehlerkette. Jordi Alba leistete sich tief in der eigenen Hälfte einen ganz schwachen Einwurf, Clément Lenglet scheiterte bei der Ballannahme kläglich. Der überraschte ter Stegen musste raus, konnte vor dem heranrauschenden Alvaro Negredo aber nicht mehr klären (63.').
Zwölf Punkte Rückstand
Koeman sprach von „Konzentrationsmängeln“, die Sportzeitung „AS“kürte den „Patzer des Jahres“. Ter Stegen, der beim 0:1 bei Atletico Madrid Ende November das Gegentor verschuldet hatte, sei „nachlässig oder ängstlich“vorgegangen, schrieb die „Mundo Deportivo“. Als Alternative zum Klärungsversuch wäre dem 28-Jährigen allerdings wohl nur ein Foul an Negredo geblieben, das zum Elfmeter geführt hätte.
Der FC Barcelona war durch Alvaro Gimenez (8.') in Rückstand geraten, Alba (57.') glich zwischenzeitlich aus. Messi wurde nach gut einer Stunde ausgewechselt. Zu allem Überfluss gewann der ebenfalls kriselnde Dauerrivale Real Madrid mit 1:0 beim FC Sevilla.
Nach zehn Spielen belegt der FC Barcelona nur einen Platz im grauen Mittelfeld. Der Rückstand auf Tabellenführer Atletico Madrid beträgt bereits zwölf Zähler. „Das ist eine Menge“, sagte Koeman. Bittere Erinnerungen werden wach. Die Champions League verpassten die Katalanen zuletzt im Jahr 2003. Das war noch vor der Messi-Ära.
Heute Abend hat der stolze Club in der Champions League gegen Juventus die Chance zur Wiedergutmachung.
Das Ticket fürs Achtelfinale ist zwar schon gebucht, aber der nicht nur sportlich, sondern auch finanziell gebeutelte Club benötigt dringend Erfolgserlebnisse. Zumindest die vergangenen Auftritte in der Königsklasse sollten Mut machen: Barça hat als einziger Club bislang alle fünf Gruppenspiele gewonnen – darunter auch das Hinspiel gegen Juventus (2:0).
In der Liga allerdings zeigen Messi und Co. ein ganz anderes Gesicht. Von den zehn bislang absolvierten Saisonspielen konnte der FC Barcelona nur vier erfolgreich gestalten. Tabellenplatz neun ist enttäuschend, schlimmer aber noch ist das Auftreten des Teams auf dem Platz. „Wir haben nicht das gemacht, was wir uns vor dem Spiel vorgenommen hatten. Wir kassieren Gegentreffer, die ich mir so nicht erklären kann. Wir verteidigen nicht aggressiv genug und produzieren viel zu viele Leichtsinnsfehler. Das sind Nachlässigkeiten, die ich so nicht akzeptieren kann“, polterte Koeman.
Der Ex-Spieler der Katalanen wünscht sich im Winter zwei Neuzugänge:
einen Verteidiger und einen polyvalenten Angreifer. Das ergibt Sinn, zeigt aber auch, wo der Schuh drückt: Piqué und Ansu Fati fallen noch einige Monate verletzt aus. Sergi Roberto und Ousmane Dembélé sind ebenfalls (erneut) verletzt, genau wie Samuel Umtiti, der seit seinem Wechsel im Sommer 2016 in der Meisterschaft nur 77 Mal für Barça auf dem Platz stand.
Wiedersehen macht Freude
Andere Spieler wie Philippe Coutinho oder Antoine Griezmann haben immer noch nicht hundertprozentig im Trikot der Katalanen überzeugt. Das gilt bislang auch für Miralem Pjanic. In der Liga durfte der ehemalige Luxemburger Jugend-Auswahlspieler seit seinem
Transfer im Sommer noch keine Begegnung durchspielen. Gegen Cadiz kam er nur zwölf Minuten zum Einsatz. Noch wartet der 30jährige Bosnier auf seinen ersten Treffer im Barça-Dress. Da kommt das Duell heute mit Juve – bei dem es zum ersten Aufeinandertreffen zwischen Messi und Cristiano Ronaldo seit dem Transfer des Portugiesen nach Italien kommen wird – genau richtig.
Gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber will Pjanic in der Champions League überzeugen und sich so einen Stammplatz erkämpfen. Die Barça-Talfahrt soll rasch ein Ende nehmen. Das würde nicht nur Koeman freuen, dessen Stuhl immer heftiger wackelt. Xavi soll als Nachfolger bereits in den Startlöchern stehen. jg/dpa