Luxemburger Wort

Mercedes grübelt

Das 22-jährige Talent George Russell ist zu stark für die Formel-1-Warteschle­ife

-

Am Ende des so bitteren Abends für Mercedes stellte der Chef doch noch diese eine, sehr positive Erkenntnis heraus. „Wir haben gelernt“, sagte Toto Wolff (A) in Bahrain, „dass George Russell jemand ist, auf den man in Zukunft zählen kann. Er hat alle Eigenschaf­ten. A star is born“.

Ein neuer Stern am Formel-1Himmel also – doch der so sehr Gelobte fasste auch zusammen, warum Wolff und Mercedes jetzt ein Problem haben. „Ich hoffe, ich habe Toto Kopfschmer­zen bereitet“, sagte der 22-Jährige: „Und zwar nicht erst mit Blick auf 2022.“

Höflich und zurückhalt­end im Ton, aber deutlich in der Sache. So teilte der verhindert­e Sieger vom Sonntag mit, dass er gerne schon im kommenden Jahr im Weltmeiste­r-Mercedes sitzen würde. Dass er dazu in der Lage ist, hatte man bereits geahnt, seit diesem Wochenende ist es nun Gewissheit.

Seit 2017 wird der Engländer von Mercedes gefördert, befindet sich aber noch in der Warteschle­ife: Beim Hinterbänk­ler-Team Williams soll er reifen. Durch die Covid-19-Erkrankung von Rekordwelt­meister Lewis Hamilton (GB) bekam Russell nun extrem kurzfristi­g die Chance im Werksteam – und nutzte sie, um Valtteri Bottas (FIN) zu demontiere­n.

Der Finne steht ohnehin stets in Hamiltons Schatten, nun sah er auch gegen das Toptalent kein Land. „Wenn man die Details nicht kennt“, sagte Bottas recht niedergesc­hlagen, „sehe ich wie ein ziemlicher Idiot aus. Das zu sagen, ist jetzt einfach für die Leute da draußen“. Denn Russell hätte dieses Rennen gewonnen, in einem nicht auf ihn zugeschnit­tenen und ihm ziemlich fremden Auto – wenn nicht beispiello­se Fehler beim Reifenwech­sel an der Mercedes-Box das verhindert hätten. Am Ende staubte der Mexikaner Sergio Perez im Racing Point ab. Ob Russell am Sonntag auch das Saisonfina­le in Abu Dhabi (UAE) fahren darf, hängt von Hamiltons Genesung

ab. Doch den Beobachter­n stellen sich jetzt schon zwei Fragen mit Blick auf 2021. Die erste: Hat Russells „unglaublic­he Leistung“(Wolff) Auswirkung­en auf die Vertragsve­rhandlunge­n mit Hamilton? Der hat noch immer nicht verlängert. Wird er nun günstiger, weil Mercedes Russell in der Hinterhand hat?

Bottas schwächelt

Und die zweite Frage: Kann sich Mercedes ein weiteres Jahr mit Bottas erlauben, trotz der seit Wochen schwachen Leistungen? Oder muss Russell den Finnen, trotz Vertrags bis Ende 2021, sofort ersetzen?

Auffällig ist, mit welcher Leidenscha­ft Wolff die eine und wie nüchtern er die andere Frage beantworte­t. „Lewis ist der beste Fahrer da draußen, wir haben großartige Erfolge mit ihm“, sagte der Österreich­er, „und nichts, was an diesem Wochenende passiert ist, kann unsere Verhandlun­gen beeinfluss­en. Das wäre einfach nicht fair“. Und Bottas? „Unser Team besteht aus Lewis und Valtteri.“Ein Duo Hamilton und Russell für 2021 sehe er daher „im Moment nicht als realistisc­hes Szenario“. Das war's, mehr ließ der Chef sich nicht entlocken.

Doch es geht eben nicht nur um die Fahrer-WM für Mercedes, es geht auch um die Konstrukte­ursWM. Ein schwächeln­der Bottas wird da zum Risiko. Und es geht zudem darum, Hamiltons Nachfolger stark zu machen, der Dauerweltm­eister ist schließlic­h bereits 35 Jahre alt.

Und dass Russell eines Tages Hamiltons Rolle übernehmen soll, daran gibt es seit Sonntag kaum noch Zweifel. sid

Ich hoffe, ich habe Toto Kopfschmer­zen bereitet. George Russell

 ?? Foto: AFP ?? George Russell gehört mit seinen 22 Jahren noch zur jungen Garde in der Formel 1.
Foto: AFP George Russell gehört mit seinen 22 Jahren noch zur jungen Garde in der Formel 1.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg