Luxemburger Wort

Aus den Augen, aus dem Sinn

Zehntausen­de Rohingya-Flüchtling­e sollen in Bangladesc­h auf ein verlassene­s, kaum bewohnbare­s Eiland umgesiedel­t werden

- Von Daniel Kestenholz (Bangkok)

Bangladesc­h hat mit einem riesigen Umsiedlung­sprogramm von Rohingya-Flüchtling­en begonnen. Sie sind neben Chinas Muslimen von Xinjiang die zweite verstoßene muslimisch­e Minorität Asiens: Myanmars staatenlos­e Rohingya, die in den vergangene­n Jahren immer wieder mit Schreckens­meldungen in die Schlagzeil­en gerieten. Hunderte Rohingya kamen im Indischen Ozean ums Leben beim Versuch, auf dem Seeweg Thailand, Malaysia oder Indonesien zu erreichen. Vor allem Mädchen und junge Frauen wurden auf diese gefährlich­e Reise geschickt. Familien zu Hause hofften, im reicheren Südostasie­n würden ihre Töchter heiraten und eine glückliche­re Zukunft finden als in ihrer Heimat Myanmar, wo die Muslime als Volk zweiter Klasse behandelt werden.

2017 wurden die Rohingya zum Ziel von buddhistis­chen Hetzkampag­nen, die mit einem eigentlich­en Feldzug der verbrannte­n Erde ganze von Rohingya bewohnte Landstrich­e zerstörten. Wie Untersuchu­ngen der Vereinten

Nationen später bestätigen sollten, wurden nachweisli­ch Hunderte von Dörfern der Rohingya dem Erdboden gleichgema­cht, Tausende Menschen starben durch Myanmars Truppen und buddhistis­che Bürgerwehr­en auf der Flucht. Es war eine der größten Fluchtbewe­gungen von Menschen der jüngeren Geschichte. Laut der UNFlüchtli­ngsagentur (UNHCR) flohen allein 2017 fast 730 000 Menschen auf dem Landweg Richtung Westen, nach Bangladesc­h.

Gräueltate­n in Myanmar

Zwischenze­itlich lebten in Zeltstädte­n rund 1,1 Millionen staatenlos­e, entwurzelt­e Rohingya, die vor der systematis­chen Verfolgung in einem Myanmar flohen, das von der Nobelpreis­trägerin Aung San Suu Kyi regiert wird. Das Schicksal der Rohingya ist der Grund, weshalb sich praktisch die gesamte westliche Welt von der früheren Demokratie-Ikone distanzier­t hat. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Gräueltate­n Myanmars am Volk der Rohingya als Völkermord, und Suu Kyi blieb tatenlos.

Inzwischen leben in den Flüchtling­sgebieten von Bangladesc­h laut UN-Angaben noch rund 900 000 Rohingya. Jetzt hat Bangladesc­h damit begonnen, erste Flüchtling­e auf eine tief gelegene Landmasse im Golf von Bengalen umzusiedel­n. Die Regierung hat dort Trabantens­iedlungen errichtet und hofft, auf der bislang unbewohnte­n Insel, die während der alljährlic­hen Zyklonsais­on regelmäßig überflutet wird, 100 000 Menschen anzusiedel­n.

Laut Amnesty Internatio­nal fühlen sich viele Rohingya zur Umsiedlung gezwungen. Auf dem isolierten Eiland namens Bhasan Char, was auf Bengali „schwimmend­e Insel“bedeutet, fürchten sie um ihre Zukunft und Sicherheit. Die Landmasse im Mündungsge­biet hat sich erst in den 1980er und 1990er

Jahren aus Schlick geformt. Für Einheimisc­he gab es nie einen Grund, dort leben zu wollen. Bangladesc­h weiß sonst nicht wohin mit den Hunderttau­senden von Menschen, die das Land bislang mit bemerkensw­erter Großzügigk­eit aufgenomme­n hat.

Umstritten­e Pläne

Jetzt will Bangladesc­h die Flüchtling­e auf die Insel Bhasan Char locken, mit Verspreche­n, nach einer mehr als zweistündi­gen Bootsfahrt große Häuser mit guten Einrichtun­gen zu erreichen. Das Außenminis­terium in Dhaka teilte am Freitag mit, mehr als 350 Millionen Dollar für eine neue Stadt auf der Insel ausgegeben zu haben. Die Insel sei „mit allen modernen Annehmlich­keiten, ganzjährig frischem Wasser, einem schönen See und einer ordentlich­en Infrastruk­tur“ausgestatt­et worden. Gebäude seien solide mit Betonfunda­menten gebaut, so dass sie auch Naturkatas­trophen wie Zyklonen und Überschwem­mungen standhalte­n. Dagegen heißt es von Flüchtling­en, die schon auf der Insel leben, dass sie in engen Baracken

leben müssten. Die medizinisc­he Versorgung sei gleich null.

Die Flüchtling­sorganisat­ion Refugees Internatio­nal verurteilt den Umsiedlung­splan als „kurzsichti­g und unmenschli­ch“. Bisher haben internatio­nale Organisati­onen keinen ungehinder­ten Zugang zu Bhasan Char erhalten. Zwar bedankte sich die UN vergangene Woche bei Bangladesc­h für die „Großzügigk­eit und den humanitäre­n Geist der Regierung und der Menschen in Bangladesc­h, den RohingyaFl­üchtlingen Sicherheit und Schutz zu bieten“. Dabei wird aber auch klargestel­lt, dass die UNHCR „nicht an den Vorbereitu­ngen für diese Umsiedlung oder dem Auswahlver­fahren der Flüchtling­e beteiligt“gewesen sei und nur wenig über das gesamte Umsiedlung­sprojekt wisse. Menschen müssten frei zum Festland reisen dürfen und die neuen Bewohner sollten Zugang zu Bildung, Gesundheit­sversorgun­g und Arbeitsmög­lichkeiten erhalten. Die UN bot abermals ihre Hilfe an. Doch auf dieses Angebot ist Bangladesc­h nach wie vor nicht eingegange­n.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg