Aus den Augen, aus dem Sinn
Zehntausende Rohingya-Flüchtlinge sollen in Bangladesch auf ein verlassenes, kaum bewohnbares Eiland umgesiedelt werden
Bangladesch hat mit einem riesigen Umsiedlungsprogramm von Rohingya-Flüchtlingen begonnen. Sie sind neben Chinas Muslimen von Xinjiang die zweite verstoßene muslimische Minorität Asiens: Myanmars staatenlose Rohingya, die in den vergangenen Jahren immer wieder mit Schreckensmeldungen in die Schlagzeilen gerieten. Hunderte Rohingya kamen im Indischen Ozean ums Leben beim Versuch, auf dem Seeweg Thailand, Malaysia oder Indonesien zu erreichen. Vor allem Mädchen und junge Frauen wurden auf diese gefährliche Reise geschickt. Familien zu Hause hofften, im reicheren Südostasien würden ihre Töchter heiraten und eine glücklichere Zukunft finden als in ihrer Heimat Myanmar, wo die Muslime als Volk zweiter Klasse behandelt werden.
2017 wurden die Rohingya zum Ziel von buddhistischen Hetzkampagnen, die mit einem eigentlichen Feldzug der verbrannten Erde ganze von Rohingya bewohnte Landstriche zerstörten. Wie Untersuchungen der Vereinten
Nationen später bestätigen sollten, wurden nachweislich Hunderte von Dörfern der Rohingya dem Erdboden gleichgemacht, Tausende Menschen starben durch Myanmars Truppen und buddhistische Bürgerwehren auf der Flucht. Es war eine der größten Fluchtbewegungen von Menschen der jüngeren Geschichte. Laut der UNFlüchtlingsagentur (UNHCR) flohen allein 2017 fast 730 000 Menschen auf dem Landweg Richtung Westen, nach Bangladesch.
Gräueltaten in Myanmar
Zwischenzeitlich lebten in Zeltstädten rund 1,1 Millionen staatenlose, entwurzelte Rohingya, die vor der systematischen Verfolgung in einem Myanmar flohen, das von der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi regiert wird. Das Schicksal der Rohingya ist der Grund, weshalb sich praktisch die gesamte westliche Welt von der früheren Demokratie-Ikone distanziert hat. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Gräueltaten Myanmars am Volk der Rohingya als Völkermord, und Suu Kyi blieb tatenlos.
Inzwischen leben in den Flüchtlingsgebieten von Bangladesch laut UN-Angaben noch rund 900 000 Rohingya. Jetzt hat Bangladesch damit begonnen, erste Flüchtlinge auf eine tief gelegene Landmasse im Golf von Bengalen umzusiedeln. Die Regierung hat dort Trabantensiedlungen errichtet und hofft, auf der bislang unbewohnten Insel, die während der alljährlichen Zyklonsaison regelmäßig überflutet wird, 100 000 Menschen anzusiedeln.
Laut Amnesty International fühlen sich viele Rohingya zur Umsiedlung gezwungen. Auf dem isolierten Eiland namens Bhasan Char, was auf Bengali „schwimmende Insel“bedeutet, fürchten sie um ihre Zukunft und Sicherheit. Die Landmasse im Mündungsgebiet hat sich erst in den 1980er und 1990er
Jahren aus Schlick geformt. Für Einheimische gab es nie einen Grund, dort leben zu wollen. Bangladesch weiß sonst nicht wohin mit den Hunderttausenden von Menschen, die das Land bislang mit bemerkenswerter Großzügigkeit aufgenommen hat.
Umstrittene Pläne
Jetzt will Bangladesch die Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char locken, mit Versprechen, nach einer mehr als zweistündigen Bootsfahrt große Häuser mit guten Einrichtungen zu erreichen. Das Außenministerium in Dhaka teilte am Freitag mit, mehr als 350 Millionen Dollar für eine neue Stadt auf der Insel ausgegeben zu haben. Die Insel sei „mit allen modernen Annehmlichkeiten, ganzjährig frischem Wasser, einem schönen See und einer ordentlichen Infrastruktur“ausgestattet worden. Gebäude seien solide mit Betonfundamenten gebaut, so dass sie auch Naturkatastrophen wie Zyklonen und Überschwemmungen standhalten. Dagegen heißt es von Flüchtlingen, die schon auf der Insel leben, dass sie in engen Baracken
leben müssten. Die medizinische Versorgung sei gleich null.
Die Flüchtlingsorganisation Refugees International verurteilt den Umsiedlungsplan als „kurzsichtig und unmenschlich“. Bisher haben internationale Organisationen keinen ungehinderten Zugang zu Bhasan Char erhalten. Zwar bedankte sich die UN vergangene Woche bei Bangladesch für die „Großzügigkeit und den humanitären Geist der Regierung und der Menschen in Bangladesch, den RohingyaFlüchtlingen Sicherheit und Schutz zu bieten“. Dabei wird aber auch klargestellt, dass die UNHCR „nicht an den Vorbereitungen für diese Umsiedlung oder dem Auswahlverfahren der Flüchtlinge beteiligt“gewesen sei und nur wenig über das gesamte Umsiedlungsprojekt wisse. Menschen müssten frei zum Festland reisen dürfen und die neuen Bewohner sollten Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmöglichkeiten erhalten. Die UN bot abermals ihre Hilfe an. Doch auf dieses Angebot ist Bangladesch nach wie vor nicht eingegangen.