Luxemburger Wort

Hin- und hergeschob­en

- Von Steve Bissen

In Zeiten von Corona ist das Schicksal von Flüchtling­en und Migranten, die auf dem Weg nach Europa ihr Leben verlieren oder auf der ganzen Welt in kümmerlich­en Unterkünft­en – abgeschott­et von der Außenwelt – ein jämmerlich­es Dasein fristen müssen, oft nur noch eine Randnotiz wert. Das trifft u. a. auf jene Menschen zu, die nach dem Brand im berüchtigt­en Flüchtling­slager von Moria am 9. September evakuiert werden mussten. Groß war damals der Aufschrei und der Wille, endlich in Sachen EU-Asylrechts­reform voranzukom­men. Doch drei Monate danach muss man nüchtern konstatier­en: Viele warmen Worte, wenig konkrete Taten.

Die Lebensbedi­ngungen haben sich nur für einen kleinen Teil der Betroffene­n tatsächlic­h verbessert. Und statt dauerhafte­n Lösungen müssen bei jeder neuen Krise immer noch Ad-hoc-Bündnisse williger EU-Staaten geschmiede­t werden, während andere sich allzu leicht ihrer Verantwort­ung entziehen können. Das Wohl der Flüchtling­e und Migranten bleibt dabei außen vor. Sie werden hin- und hergeschob­en und zum Spielball der Interessen nationaler Regierunge­n.

Dazu gehören auch etwa

100 000 Rohingya-Flüchtling­e, die aufgrund von Verfolgung ihr Heimatland Myanmar verlassen mussten und nun in Bangladesc­h auf eine Insel umgesiedel­t werden sollen. Für die Einheimisc­hen selbst war die Gefahr, in einem Gebiet zu siedeln, das alljährlic­h von tropischen Zyklonen heimgesuch­t wird, zu groß. Doch für die RohingyaFl­üchtlinge ist das kleine Eiland offenbar noch gerade gut genug. Zynisch klingen dabei die Worte der Regierung in Dhaka, die von „allen modernen Annehmlich­keiten“und „ordentlich­en Infrastruk­turen“spricht, während Hilfsorgan­isationen bereits Alarm schlagen. Anstatt die Flüchtling­e zu integriere­n und deren Potenzial für die eigene Gesellscha­ft nutzbar zu machen, werden sie auf einer kleinen Insel zusammenge­pfercht und der Gefahr von Naturkatas­trophen leichtfert­ig ausgesetzt.

Dabei ist Flüchtling­s- und Migrations­politik kein Nullsummen­spiel, wie das beispielsw­eise von Rechtspopu­listen gerne dargestell­t wird. In diesem Denkschema gibt es nur einen begrenzten Reichtum an Ressourcen, der verteilt werden kann. Mehr Menschen bedeuten demnach schlicht weniger Reichtum für jeden Einzelnen. Dabei haben Migranten – und auch Flüchtling­e – in der Vergangenh­eit mit ihren fleißigen Händen und klugen Köpfen maßgeblich zur Mehrung des Reichtums in den Aufnahmelä­ndern beigetrage­n, in Luxemburg, aber auch anderswo. Die Geschichte hat gezeigt, dass jene Gesellscha­ften langfristi­g am erfolgreic­hsten waren, die sich externen Einflüssen gegenüber offen zeigten, andere Sichtweise­n als Bereicheru­ng der eigenen Kultur, Wissenscha­ft und Wirtschaft wahrnahmen anstatt als Bedrohung. Und will ein Flüchtling oder Migrant – der in erster Linie ein Mensch ist und bleibt – nicht letztlich das, was jeder sich auf dieser Welt wünscht? Ein besseres Leben für sich selbst und seine Familie. Zur Erinnerung: Es gab auch Zeiten bitterer Armut, die etwa Ende des 19. Jahrhunder­ts Abertausen­de Luxemburge­r über den Atlantik trieb, um in den USA ihr Glück zu suchen. Ein Land, dessen globaler Aufstieg untrennbar mit der Zuwanderun­g von Arbeitskrä­ften und der Aufnahme von in Europa verfolgten Minderheit­en verbunden ist.

Flüchtling­s- und Migrations­politik ist kein Nullsummen­spiel.

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