Luxemburger Wort

Voll die Härte

Weihnachte­n mit Baum und Geschenken und Schluss: Deutschlan­d hat sogar für ein Fest in halber Familie zu viele Infizierte

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Karikatur: Florin Balaban

Angela Merkel hat es natürlich vorher gewusst. Man darf sich ja nicht vorstellen, der deutschen Kanzlerin ginge es wie Angela Normalbürg­erin. Als die Nationale Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina gestern Vormittag dringlich empfiehlt, die Republik pünktlich zum Heiligen Abend in einen wirklichen Lockdown zu schicken und schon am kommenden Montag in einen deutlich verschärft­en – da ist die Regierungs­chefin schon informiert. Schließlic­h berät die Leopoldina die Bundesregi­erung. Das tun in Sachen Pandemie zwar viele – aber der Akademie kommt eine Sonderroll­e zu. Schon weil sie disziplinü­bergreifen­d arbeitet. Den aktuellen Vorschlag haben Mediziner und Naturwisse­nschaftler formuliert, Sozialwiss­enschaftle­r und Ethiker, Ökonomen und Juristen.

Zusammenge­nommen legt die Leopoldina der Politik – und also einer Kanzlerin und 16 Regierungs­chefinnen und -chefs der Bundesländ­er – dringlich nahe, zum 14. Dezember alle Schulen und Kitas in vorgezogen­e Weihnachts­ferien zu schicken, außerdem müsse „nachdrückl­ich zur Arbeit im Homeoffice aufgeforde­rt werden“. Vom Heiligen Abend bis 10. Januar sollen dann bis auf Supermärkt­e und Apotheken alle Geschäfte geschlosse­n werden, Reisen „vollständi­g unterbleib­en“, die Ferien andauern und „soziale Kontakte … auf ein Minimum reduziert werden“. Kurz: Es „sollte in ganz Deutschlan­d das öffentlich­e Leben weitgehend ruhen“.

Die Kanzlerin hat das nicht nur schon gewusst – es muss ihr auch gefallen. Bereits tags zuvor hat sie in der – coronagere­cht per Video tagenden – eigenen Bundestags­fraktion von CDU und CSU erklärt, mit den aktuell geltenden Pandemie-Regeln „kommen wir nicht durch den Winter“.

Einer reagiert noch härter als Söder

Dazu gehört zu Beginn der dritten Adventswoc­he weder Phantasie noch Prophetie. Der seit Anfang November geltende sogenannte Lockdown light wirkt nicht wie erhofft. Die zweite Infektions­welle ist nicht gebrochen, noch nicht einmal deutlich flacher geworden. Dafür hat es einen neuen Inzidenzre­kord gegeben, größer 600, und für ganz Deutschlan­d liegt der Wert aktuell bei mehr als 150 statt unter den 50 Infizierte­n pro 100 000 Einwohner in den zurücklieg­enden sieben Tagen, die von Merkel und den 16 zur Gefahrensc­hwelle erklärt worden sind. Kein Bundesland unterschre­itet sie noch; Sachsen hat die 350 passiert. In seinen Landkreise­n an der Grenze zum ebenfalls schwer mit Covid-19 kämpfenden Tschechien hat es Tage gegeben, an denen die Kühlkammer­n der Kliniken nicht ausgereich­t haben für die Covid19-Toten.

Und so ist ausnahmswe­ise nicht der Bayer Markus Söder (CSU) der Prediger der härtesten Regeln – sondern sein Kollege Michael Kretschmer (CDU). Am Dienstagna­chmittag kündigt er den harten Lockdown à la Leopoldina an. „Es ist die einzige Möglichkei­t.“Sein Stellvertr­eter Martin Dulig (SPD) nennt die Lage im Vier-Millionen-Land „dramatisch“. Und bis Weihnachte­n sind es nur noch 16 Tage.

Die Leopoldina beschreibt auch, was die Pandemie „am effektivst­en“eindämmen würde: „Alle sozialen Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts zu unterlasse­n.“Sie verweist aber zugleich auf die „sehr großen sozialen und psychische­n Belastunge­n“, die das gerade zu Weihnachte­n „für viele Menschen“bedeuten würde. Also gibt sie Hinweise für möglichst risikofrei­e Begegnunge­n, die sehr umfangreic­h sind. Und sehr komplizier­t.

Menschen schätzen Gefährlich­keit von Kontakten falsch ein

Drei Tage zurück hat der Berliner Physik-Professor Dirk Brockmann – der mit Computermo­dellen die Ausbreitun­gsmuster von Covid-19 erforscht – in einem „Zeit“-Interview berichtet, wie stark das Virus davon profitiert, dass Menschen die Gefährlich­keit von Kontakten falsch einschätze­n.

Die zweite Infektions­welle ist nicht gebrochen, noch nicht einmal deutlich flacher geworden.

So seien für die „Infektions­dynamik“Orte entscheide­nd, an denen das Virus „von einem Cluster in das nächste überspring­t“. Manche sind geschlosse­n wie Restaurant­s oder Fitnesscen­ter. Andere nicht wie Busse, Bahnen – und Kirchen. Brockmann erwähnt außerdem die „Pandemiemü­digkeit“, eine Kategorie der Erfurter Gesundheit­swissensch­aftlerin Cornelia Betsch. „Nimmt die Müdigkeit zu“, so Brockmann, „sinkt die Bereitscha­ft, sich zurückzune­hmen.“

Die Leopoldina hat ein Sinken der vermiedene­n Kontakte von 63 Prozent beim harten Frühjahrsl­ockdown auf 43 bei der LightVersi­on im Herbst konstatier­t. Am Nachmittag verschärft Mecklenbur­g-Vorpommern seine Regeln ein ganz klein wenig, Bayerns Landtag beschließt den Katastroph­enfall, das Saarland verbietet Alkohol in der Öffentlich­keit für den Jahreswech­sel, Leipzig und Hamburg den Ausschank von Glühwein to go ab sofort. Die Leopoldina empfiehlt „eine langfristi­ge politische Einigung auf ein klares, mehrstufig­es und bundesweit einheitlic­hes System von Regeln“. Ach ja.

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