Luxemburger Wort

Die blutende Wunde der Welt

In Brasilien geht die Abholzung des Amazonas ungehinder­t weiter – der Wind dreht sich aber

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City)

Man liest diese Nachrichte­n aus Brasilien ja inzwischen mit routinehaf­tem Schaudern. Alle paar Monate dringen aus dem südamerika­nischen Land Informatio­nen, wonach im größten Regenwald der Welt wieder Millionen Bäume Opfer von Holzfäller­n oder Brandrodun­gen wurden. Wieder sind im Amazonas Hunderttau­sende Tiere verbrannt, Jaguare umgekommen, Kaimane verendet, Fische verkohlt. Ureinwohne­r sehen ihre Dörfer immer mehr eingekreis­t von Baggern, Bohrern und Brandschat­zern. Regelmäßig empört sich die Welt darüber, vor allem in Europa und inzwischen auch in den USA, dass die Lunge der Welt immer mehr zur Wunde der Welt wird. In dem Regenwald finden 25 Prozent des globalen Kohlenstof­fAustausch­s zwischen Atmosphäre und Biosphäre statt.

Aber der radikal rechte brasiliani­sche Präsident Jair Bolsonaro lacht darüber nur und sagt: „Der Amazonas gehört uns und wir können damit machen, was wir wollen“. Und damit meint er vor allem: Wir können ihn ausbeuten, so viel und so sehr wir es gerne wollen. Bolsonaro will noch mehr Flächen für Landwirtsc­haft, Bergbau und Energiegew­innung erschließe­n.

Es ist schwer, mit einem Politiker zu verhandeln, der Freude daran hat, Normen zu verletzen, radikal nationalis­tisch ist und den das globale Wohl nicht interessie­rt. Ganz Im Gegenteil. Man hat manchmal den Eindruck, Bolsonaro freut sich daran, die Welt zu provoziere­n, wie man beim Streit mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sah und wie es sich mit dem künftigen US-Staatschef Joe Biden andeutet.

Kein Rückhalt mehr durch Trump Mit dem Regierungs­wechsel in den USA verliert der Brasiliane­r allerdings mit Donald Trump einen weiteren großen Verbündete­n bei dem Thema. Biden hatte Bolsonaro bereits im Wahlkampf zum Umdenken in der Amazons-Frage aufgeforde­rt oder mit wirtschaft­lichen Konsequenz­en gedroht. Denn der Regenwald, der anderthalb­mal die Fläche der Europäisch­en Union umfasst, ist längst nicht mehr dicht und geschlosse­n, sondern besteht aus zigtausend­en Fragmenten.

Längst warnen Ökologen, dass der Amazonas bei fortschrei­tender Entwaldung umkippen könnte. Der so genannte Tipping-Point sei nah, da bereits vergangene­s Jahr 17 Prozent verloren waren und eine ähnlich große Fläche als geschädigt galt. Das Weltraumin­stitut INPE schätzt, dass die kritische Marke bei einer Vernichtun­g von 20 bis 25 Prozent der Gesamtfläc­he liegt.

Daher schlugen Umwelt- und Klimaschüt­zer Ende November einmal mehr Alarm. Zuvor hatte das INPE erklärt, dass die Regenwaldv­ernichtung zwischen August 2019 und Juli 2020 ungehinder­t und in erschrecke­ndem Ausmaß weitergega­ngen sei. In der für das Weltklima wichtigen Region seien 11 088 Quadratkil­ometer Dschungel abgeholzt worden, teilte die für die Überwachun­g des Regenwalde­s zuständige Behörde mit. Das entsprach der Größe der Insel Jamaika oder rund 4 340 Fußballfel­dern pro Tag. Die abgeholzte Fläche war die größte seit 2008. Eine weitere erschrecke­nde Zahl: Die Urwaldvern­ichtung zwischen August 2019 und Juli 2020 war noch einmal 9,5 Prozent höher als im Vorjahresz­eitraum, als bereits ein Rekordwert verzeichne­t worden war.

Wissenscha­ftler und Umweltexpe­rten kritisiere­n, dass die Abholzung rasant zugenommen hat, seit Bolsonaro im Januar 2019 die Präsidents­chaft Brasiliens übernommen hat. In der Region sind drei Millionen Arten von Pflanzen und Tieren beheimatet. Außerdem leben eine Million Indigene im brasiliani­schen Amazonas-Teil. Alle sind sie von Vernichtun­g oder Vertreibun­g bedroht.

Zwar liegen 60 Prozent des Tropenwald­es auf brasiliani­schem Gebiet, aber der Amazonas hat neun Anrainer-Staaten. Er ist also schon von daher mitnichten eine brasiliani­sch-nationale Angelegenh­eit.

Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace betont, dass die Politik der ultrarecht­en Regierung in Brasilia dazu geführt hat, dass drei Mal mehr Regenwald vernichtet wird, als es per Gesetz für 2020 zulässig festgeschr­ieben wurde. Und der brasiliani­sche Umweltexpe­rte Carlos Rittl, der auch für das Potsdamer „Institut für transforma­tive Nachhaltig­keitsforsc­hung“(IASS) arbeitet, bezeichnet­e die jüngsten Zahlen als „peinlich, beleidigen­d und schockiere­nd“. Diese Vernichtun­g sei vor allem deshalb möglich, weil diejenigen, die dafür verantwort­lich sind, nicht fürchten müssten, bestraft zu werden. Unter

Die Eindringli­nge wissen, dass sie die Gesetze brechen können, ohne dafür belangt zu werden.

Bolsonaro sei Brasilien zum „vielleicht größten Feind des globalen Umweltschu­tzes und zum PariaStaat“geworden, unterstrei­cht Rittl.

Der Präsident hat das Amazonasge­biet und die „Terras Indígenas“, die gesetzlich geschützte­n Gebiete für die Ureinwohne­r, zur Ausbeutung freigegebe­n. Die indigenen Gemeinden werden von Viehzüchte­rn, Holzfäller­n und Goldsucher­n, von Hasardeure­n, rücksichts­losen Unternehme­rn und kriminelle­n Banden zunehmend an den Rand gedrängt. Und die Eindringli­nge wissen, sie können die Gesetze brechen, ohne dafür belangt zu werden. Dabei hatte die Regierung aufgrund des politische­n Drucks im Frühsommer Tausende Soldaten in die Amazonas-Region entsandt, um die Entwaldung zu stoppen. Aber ein Ergebnis ist nicht zu erkennen. Abholzung und Brandrodun­g gehen ungehinder­t weiter.

Vieh und Soja statt Wald

Bolsonaro fördert die Rodung des Regenwalde­s vor allem deshalb, um die gewonnen Gebiete Viehzüchte­rn und Sojabauern zur Verfügung stellen zu können. Soja gehört zu den brasiliani­schen Exportschl­agern. Auch europäisch­e Staaten nehmen es ab.

Wegen der dramatisch­en Abholzung stoppte das EU-Parlament im Oktober allerdings das geplante Freihandel­sabkommen zwischen Brüssel und dem Mercosur (Brasilien, Argentinie­n, Paraguay und Uruguay). Neben Frankreich­s Präsident Macron hatte auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel deutlich gemacht, dass das Abkommen in der aktuellen Situation nicht zu ratifizier­en sei.

Dies bestätigte in dieser Woche der EU-Botschafte­r in Brasilien in aller Deutlichke­it. Bis sich die Regierung Bolsonaro dazu verpflicht­e, die Entwaldung zu stoppen, gebe es keine Chance auf Ratifizier­ung des Abkommens. „Im Augenblick existieren dafür nicht die Konditione­n“, betonte Ignacio Ybañez. Es stünden zwei Jahrzehnte Verhandlun­gen zwischen dem Mercosur und der EU auf dem Spiel, unterstric­h der EU-Diplomat. Aber Ybañez lobte die Initiative des brasiliani­schen Vizepräsid­enten Hamilton Mourão, der den „Amazonas-Rat“ins Leben rief, der die Aktionen der Bundesregi­erung im Regenwald koordinier­en soll.

Sollte der Amazonas den Tipping-Point überschrei­ten, könnten große Teile des bisherigen Regenwalde­s zu einer offenen Savanne mit Gräsern und einigen Bäumen mutieren. Nach den düsteren Prognosen einiger Klimamodel­le könnte der Wald im Laufe dieses Jahrhunder­ts sogar komplett verschwind­en. Mit fatalen Folgen für das Weltklima. Der Amazonas gehört daher auch der ganzen Welt und nicht einem ultrarecht­en Narzissten auf einem Präsidente­nsessel.

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Foto: AFP Die Amazonas-Region leidet: Eine Luftaufnah­me vom August 2019 bei Boca do Acre zeigt die Zerstörung des Regenwalde­s.

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