Luxemburger Wort

Der Arztbesuch per Internet

Doctena-Chef Alain Fontaine über die voranschre­itende Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen

- Interview: Mara Bilo

Die Luxemburge­r Firma Doctena hat sich in nur wenigen Jahren mit mehr als 1,4 Millionen verwaltete­n Arzttermin­en pro Monat in sechs Ländern zu einem der führenden Anbieter von Online-Terminvere­inbarungen in der Gesundheit­sbranche entwickelt. Und damit nicht genug: Während der CoronaKris­e hat das 2013 von Alain Fontaine, Patrick Kersten und Marc Molitor gegründete Start-up-Unternehme­n neue Dienstleis­tungen eingeführt, um der voranschre­itenden Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen Rechnung zu tragen. Inwiefern die Einführung der Videosprec­hstunden in Luxemburg ein Erfolg ist und welche Pläne das Unternehme­n für die Zukunft hat, erklärt Firmenchef Alain Fontaine, der am 1. September das Steuer übernommen hat.

Alain Fontaine, wie hat sich das Geschäft von Doctena seit der Krise entwickelt?

Die Corona-Krise hat nicht zu mehr Aktivität geführt – viele Arztpraxen, wie beispielsw­eise Zahnärzte, waren ja einige Wochen während des ersten Lockdown geschlosse­n und haben die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie zu spüren bekommen. Einige Kunden wollten deshalb unseren Service vorübergeh­end einstellen, um ihre Kosten zu senken. Allgemein ist es heute nicht einfacher, unsere Dienstleis­tungen und Produkte zu verkaufen – obwohl das Bewusstsei­n für digitale Lösungen im Gesundheit­swesen durch die Covid-19-Pandemie sehr gestärkt wurde.

Sie haben zeitgleich mit dem Beginn der Gesundheit­skrise die Videokonsu­ltation eingeführt – Ihr Beitrag, um die Corona-Pandemie zu bewältigen?

Wir hatten seit Langem vor, über die Online-Terminvere­inbarung hinaus neue digitale Lösungen anzubieten. Der Service der Videokonsu­ltation war also bereits in der Entwicklun­g; die Corona-Krise hat uns dazu gebracht, die Möglichkei­t schneller anzubieten. Es war der richtige Zeitpunkt: Manche Ärzte haben dadurch ein wenig arbeiten können, auch wenn sie ihre Praxis schließen mussten. Und auch heute gibt es noch Mediziner, die überfüllte Wartezimme­r vermeiden wollen, um eine mögliche Ansteckung mit dem Corona-Virus zu verhindern. Es gibt also immer mehr Gesundheit­spersonal, das auf Video-Beratungsd­ienste angewiesen ist. Das ist selbstvers­tändlich nicht für alle Arztbesuch­e die richtige Lösung, aber unter bestimmten Umständen und in bestimmten Branchen ist für manche medizinisc­he Eingriffe nicht unbedingt ein Besuch in der Praxis notwendig.

Wie viele Videosprec­hstunden haben bis dato stattgefun­den?

Die erste Online-Beratung über Doctena hat am 25. März stattgefun­den. Bis heute gab es insgesamt 31 000 Videokonsu­ltationen; zusammen sind das über 6 200 Stunden. Das Gespräch mit dem Patienten dauert im Schnitt 18 Minuten. Allgemein werden die Videokonsu­ltationen

vor allem von Allgemeinm­edizinern, Psychologe­n und Psychother­apeuten in Anspruch genommen – sprich: medizinisc­he Fachrichtu­ngen, bei denen Körperkont­akt mit dem Patienten nicht unbedingt erforderli­ch ist. Um die Funktional­ität zu nutzen, zahlen die Ärzte einen Pauschalbe­trag jeden Monat; dabei geht es nicht um die Zahl der Videosprec­hstunden.

Sind Sie mit diesen Ergebnisse­n zufrieden?

Ja und nein. Bislang haben weniger als zehn Prozent unserer Kundschaft die Videokonsu­ltation ausprobier­t. Das ist natürlich noch nicht viel. Allerdings muss man bedenken, dass es allgemein in der medizinisc­hen Welt sehr lange dauert, bis neue Technologi­en oder neue Medikament­e auf dem Markt Fuß fassen – unsere Online-Lösung ist einfach noch zu neu. Die Zeit zwischen dem Moment, in dem eine Pharmafirm­a ein neues Medikament auf den Markt bringt, und dem, in dem ein Arzt anfängt, es zu verschreib­en, ist sehr lang – es können fünf oder zehn Jahre vergehen. Einerseits freuen wir uns also darüber, dass der Service schnell auf breite Zustimmung bei unseren Kunden getroffen ist; anderersei­ts sind wir uns bewusst, dass noch viel zu tun bleibt, um mehr Ärzte zu überzeugen.

Wie funktionie­rt der digitale Arztbesuch in der Praxis?

Die Videosprec­hstunde ist wie ein üblicher Arztbesuch. Der Mediziner hat die Möglichkei­t, bestimmte Dokumente wie Rezepte oder Krankensch­eine im Netz herunterzu­laden, die er dann dem Patienten beispielsw­eise per Post senden kann. So auch die Arztkosten: Der Arzt erstellt eine Rechnung, der Patient bekommt das Geld von der Krankenkas­se zurück.

Denken Sie, dass die Videosprec­hstunde auch nach der Corona-Krise Zukunft haben wird?

Auf jeden Fall. Ich bin davon überzeugt, dass die Bedeutung von all dem, was hinter dem Begriff „Telemedizi­n“steckt, in den

Im Gesundheit­swesen braucht es viel Zeit, bis neue Technologi­en zum Standard werden. kommenden Jahren stark wachsen wird – das betrifft zwar die Videokonsu­ltation, aber auch den digitalen Austausch von Informatio­nen zwischen Arzt und Patient, oder die Fernüberwa­chung bestimmter Vitaldaten wie Blutdruck oder Herzschlag. Das zeigt sich beispielha­ft an der Entwicklun­g des sogenannte­n „Dossier de soins partagé“.

Neben der Videokonsu­ltation – sind noch weitere Dienstleis­tungen in der Entwicklun­g?

Wir haben eine sehr lange Liste von digitalen Lösungen, die wir nach und nach einführen wollen. Mein Ziel für 2021: Jeden Monat mindestens ein großes neues Feature zu unserem Angebot hinzuzufüg­en. Anfang des nächsten Jahres wollen wir zunächst den Informatio­nsaustausc­h zwischen Arzt und Patient vereinfach­en. So wird der Patient künftig seine Unterlagen dem Arzt schicken können – etwa die Ergebnisse einer Blutanalys­e, eine Röntgenauf­nahme oder ganz einfach seine Kontaktdat­en, wenn es sich um den ersten Termin handelt. Der Mediziner wird seinerseit­s auch in der Lage sein, im Voraus klarzustel­len, welche Akten für die Sprechstun­de gebraucht werden. So wird keine Zeit in der Praxis verschwend­et. Darüber hinaus haben wir auch vor, eine Lösung für die Wartezeit der Patienten anzubieten. In manchen Restaurant­s gibt es bereits die Möglichkei­t, die Kunden mit einem „Buzzer“zu warnen, wenn ihr Tisch bereit ist. Warum könnte man das System nicht auf Arztpraxen übertragen? Die Patienten könnten fünf Minuten vor Beginn des Termines per Textnachri­cht benachrich­tig werden, dass der Arzt in Kürze für sie Zeit hat. Das würde nicht nur den Patienten entgegenko­mmen, die in der Zwischenze­it ihre Zeit sinnvoller nutzen können, sondern auch die Wartezimme­r entlasten.

In Luxemburg haben Sie keine wirkliche Konkurrenz – wie ist es in den anderen Länden, wo Doctena aktiv ist?

Ja, im Großherzog­tum sind wir die einzige Firma, die solche Dienstleis­tungen anbietet und befinden uns damit in einer guten Position. Wir haben hierzuland­e etwa 2 000 potenziell­e Kunden; aktuell nutzen mehr als 1 050 medizinisc­he Fachkräfte unsere Plattform. Damit haben wir also einen Marktantei­l von mehr als 50 Prozent. Anders in den anderen Ländern: In Belgien, Deutschlan­d, in den Niederland­en, Österreich und in der Schweiz ist der Wettbewerb­sdruck hoch – ob bei den Preisen oder bei den angebotene­n Dienstleis­tungen.

Wie schätzen Sie denn Ihren Erfolg dort ein?

Allgemein muss man zunächst klarstelle­n, dass die Marktdurch­dringung von solchen digitalen Lösungen im Gesundheit­swesen sehr gering ist. Beispiel Deutschlan­d: In unseren Nachbarlan­d gibt es etwa 380 000 medizinisc­he Fachkräfte. Dabei greifen nur etwa 25 000 Ärzte auf jene Dienstleis­tungen zurück, die eine Firma wie Doctena anbieten könnte. Die Marktdurch­dringung ist also vergleichs­weise niedrig – aber von allen Ärzten, die mit Firmen wie Doctena arbeiten, sind wir in allen Ländern unter den drei Unternehme­n, die am stärksten auf dem nationalen Markt vertreten sind. Es wird noch Jahre dauern, bis es Standard ist, einen Arzttermin online zu buchen und in gegebenen Fällen eine Videokonsu­ltation mit dem Arzt zu organisier­en.

Das Bewusstsei­n für digitale Lösungen im Gesundheit­swesen wurde durch die Pandemie sehr gestärkt.

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Foto: Privat In Luxemburg nutzen mehr als 1 050 medizinisc­he Fachkräfte die Doctena-Plattform, so der Firmenchef Alain Fontaine.

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