Vom Urlaubsspaß zum großen Hobby
Anne Houllard passt musikalisch in kein gängiges Klischee – die Luxemburgerin ist Alphornbläserin
Kleinbettingen. Ein Alphorn verbindet man gedanklich in erster Linie mit Bergen, Kuhglocken und Sennen. Dass es in Luxemburg auch Menschen gibt, die das ungewöhnliche Musikinstrument beherrschen, ist schon eher unerwartet. Und doch … bei Anne Houllard aus Kleinbettingen werden die gängigen Klischees über den Haufen geworfen. Die nächsten Berge sind nicht gerade um die Ecke und die dynamische Großmutter hat nicht viel gemeinsam mit einem Kuhhirten.
Somit drängt sich die Frage auf, wie die viel beschäftigte Frau dazu kam, Alphorn zu spielen? Dazu muss man etwas ausholen, und sie tut es mit großer Begeisterung: „Als ich jung verheiratet war, bin ich mit meinem Mann in Österreich in den Ferien gewesen. Wir sind dann an einem Ort vorbei gekommen, wo ein Alphorn ausgestellt war. Aus Jux bin ich dann hin und habe hineingeblasen. Ich erinnere mich noch, dass ich damals zu meinem Mann gesagt habe, dass ich irgendwann mal auf sowas spielen möchte. Aber das war’s dann zu dem Zeitpunkt.“
„Das ist nichts für Mädchen“
An Musik war sie schon seit ihrer Kindheit interessiert, aber die Anfänge waren mit Stolpersteinen gepflastert, wie sie voller Entrüstung erzählt: „Als ich als junge Frau in meinem Heimatdorf zur Klengbettener Musék gehen wollte, hat es damals geheißen: ,Das ist nichts für Mädchen‘, stellen Sie sich das einmal vor!“
Wenn ich spiele, gibt es nur mein Instrument und mich auf der Welt. Hektik und Stress verfliegen im Nu. Anne Houllard
Jahre später und in der Zwischenzeit als Mutter ihrer sechs Kinder, hat sie dann den Weg zur Musik trotzdem gefunden. Im Nachbarort wurde von der Musikgesellschaft ein Einführungskurs angeboten, bei dem sie während eines halben Jahres die Grundkenntnisse des Musizierens erlernte. Alles andere hat sie sich dann „in schwerer Arbeit“, wie sie sagt, angeeignet. Das war vor 30 Jahren.
Heute spielt sie nicht nur ein Musikinstrument, sondern gleich drei: Tuba, Sousafon und … Alphorn. Alles große Instrumente, die recht unhandlich sind. Bei der Erklärung der Auswahl braucht die dynamische Großmutter nicht lange zu überlegen: „Das ist ganz einfach. Bei allen anderen Blasinstrumenten gibt es so viele Knöpfe, die man drücken muss, und das mag ich nicht. So hatte sich zunächst die Tuba angeboten.“Aber auch bei dieser Wahl hat der Wechsel zu einer anderen Musikgesellschaft geholfen. „Bei mir im Dorf bin ich mit meiner Idee, so ein großes Instrument zu spielen, nicht auf Gegenliebe gestoßen. Erst im Nachbarort hatte ich mehr Glück, weil dort der Vorsitzende selbst Tuba spielte und Verstärkung suchte.“
Der Schritt zum Alphorn kam dann während eines Urlaubs im Allgäu. „Wir hatten ein Hotel gebucht, das seinen Namen nicht ohne Grund trug: Es hieß AlphornHotel – und wie es der Zufall so wollte, wurde genau zu dem Zeitpunkt ein Crashkurs in Alphornspielen angeboten. So wurde aus dem geplanten Wanderurlaub ein Musikunterricht.“Der Kreis zu dem Urlaubserlebnis viele Jahre früher hatte sich damit geschlossen. Anne Houllard dürfte auf diese Art zur ersten Luxemburger Alphornbläserin geworden sein.
„Wenn man so eine energiegeladene Frau hat, muss man zusehen, dass man sie beschäftigt“, zitiert sie ihren Ehemann. Und das trifft auch zu. In insgesamt drei verschiedenen Musikgesellschaften ist sie heute aktiv. Wobei das nicht ganz stimmt, denn es sind genau genommen vier.
Alphorn auf Luxemburgisch
Neben den klassischen Musikvereinen ist sie auch noch Gründungsmitglied der Äischdaller Alphornbléiser. Von ursprünglich drei Mitgliedern
Anne Houllard auf ihrer Veranda in Kleinbettingen.
ist die Gruppe in der Zwischenzeit immerhin auf sechs angewachsen. Und was ihr dabei wichtig ist: „Wir sind drei Frauen und drei Männer.“
Die Gruppe gab in Vor-CovidZeiten Konzerte und Ständchen bei verschiedensten Gelegenheiten. Besonders beliebt sind die Darbietungen in Seniorenheimen, wie sie schildert: „Eines unserer Gruppenmitglieder komponiert selbst. Er hat verschiedene Luxemburger Volksweisen und Lieder für Alphorn arrangiert. Wenn wir dann mit unseren Rieseninstrumenten in Stellung gehen, sieht man den
Zuschauern zunächst die Überraschung an. Umso größer ist dann die Freude, wenn bekannte Melodien ertönen.“
Als das Gespräch bei Anne Houllard zu Hause auf das Instrument kommt, verlässt sie kurz die heimische Veranda und kommt mit einem handlichen Koffer, ähnlich einer Sporttasche, zurück. Sie öffnet den Reißverschluss und zum Vorschein kommen drei ungleiche Holzröhren. Mit Schraubverschlüssen werden sie aneinandergefügt – und fertig ist das Alphorn.
In der „New York Times“Wegen der Pandemie sind die gemeinsamen Proben derzeit auf Eis gelegt und so probt sie notgedrungen allein. „Es ist herrlich, Alphorn zu spielen. Der Ton ist so beruhigend. Wenn ich spiele, gibt es nur mein Instrument und mich auf der Welt. Alle Hektik und aller Stress verfliegen im Nu“, fasst sie ihren Gemütszustand zusammen.
Eine nette Anekdote hat Anne Houllard dann noch zum Abschluss parat: „Vor acht Jahren im Sommer hatten wir uns verabredet, eine Probe im Tunnel des Fahrradwegs in Eischen abzuhalten. Während wir so probten, kam ein junges Paar vorbeigeradelt und sprach uns auf Englisch an. Dabei stellte sich heraus, dass der Mann ein Journalist aus den Vereinigten Staaten war.“Und so kam es, dass einige Wochen später in der angesehenen „New York Times“eine Reportage über Luxemburg veröffentlicht wurde. Als Highlights wurden dabei das Essen erwähnt, die Hilfsbereitschaft der Einwohner und … die Alphornbläser im Tunnel in Eischen.