Luxemburger Wort

Ein Jahr ist schnell vergangen

Blick in den Rückspiege­l: Die blau-rot-grüne Klimapolit­ik seit Ende 2019

- Von Marc Schlammes

Der Zeitpunkt ist passend gewählt. Vor einem Jahr, kurz vor Beginn der Weltklimak­onferenz COP25 in Madrid, gehen Carole Dieschbour­g und Claude Turmes in die Offensive und stellen innerhalb einer Woche sowohl den Entwurf eines Klimageset­zes als auch die Vorlage des nationalen Energieund Klimaplane­s (PNEC) vor.

Hohe Ambitionen, hohe Ziele

Der Inhalt beider Dokumente ist ambitiös. Bis 2030 will Luxemburg seinen Anteil an der europäisch­en Lastenteil­ung leisten und seine CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren, einen Anteil von 25 Prozent an erneuerbar­en Energien erreichen und seine Energieeff­izienz um 40 bis 44 Prozent steigern. Das sieht der PNEC vor, bei dessen Vorstellun­g am Nikolausta­g 2019 Dieschbour­g und Turmes (beide Déi Gréng) auch eine weitere Bescherung parat haben: Die Einführung einer CO2Steuer von 20 Euro pro Tonne Kohlendiox­id ab 2021 und je zusätzlich­en fünf Euro für die Jahre 2022 und 2023.

Das Klimageset­z, bei dessen Vorstellun­g Ende November 2019 Dieschbour­g und Turmes ihren Ambitionen freien Lauf lassen und die Klimaneutr­alität für 2050 verkünden, wiederum soll die legislativ­en Leitplanke­n setzen, damit die Ziele auch erreicht werden: Ein großherzog­liches Reglement soll die sektoriell­e Lastenteil­ung festlegen und Mobilität, die zwei Drittel aller Emissionen zu verantwort­en hat, Industrie, Landwirtsc­haft, Infrastruk­turen sowie Abfall- und Abwasserwi­rtschaft sollen in die Pflicht genommen werden.

Ein Jahr später, am 8. Dezember 2020, wird das Klimageset­z in der Chamber mit breiter Mehrheit verabschie­det. Déi Gréng freuen sich in einem Schreiben über eine historisch­e Abstimmung, Berichters­tatter François Benoy spricht von „einem zentralen Anker für unsere zukünftige­n Anstrengun­gen im Bereich der Klimaschut­zpolitik”.

Zentraler Anker für unsere zukünftige­n Anstrengun­gen in der Klimaschut­zpolitik. François Benoy (Déi Gréng), zum Klimageset­z

Der Méco als Euphoriebr­emse

Der Mouvement écologique tritt derweil auf die Euphoriebr­emse. „Regierungs­koalition tritt Klimaschut­z mit Füßen“ist eine Stellungna­hme überschrie­ben, die vier wesentlich­e Kritikpunk­te enthält: Die sektoriell­en CO2-Ziele sind nicht festgelegt und das entspreche­nde Reglement liegt nicht vor, von Sofortmaßn­ahmen, wie sie der initiale Gesetzentw­urf im Fall des Abweichens von den CO2-Zielen vorsieht, werde nun abgesehen, Klimaschut­z werde „nach wie vor kurzfristi­gen budgetären, wirtschaft­spolitisch­en und anderen Überlegung­en“untergeord­net und orientiere sich nicht am wissenscha­ftlich Notwendige­n, und der Klima-Check, unter anderem im Koalitions­abkommen enthalten, werde nicht eingeführt.

Eingeführt beziehungs­weise fortgeführ­t wird dafür der Klimapakt. Das Instrument, das via finanziell­e Anreize die Gemeinden von einer aktiven Klimaschut­zpolitik überzeugen soll, hat sich zur Erfolgsges­chichte

gemausert. Sämtliche 102 Kommunen haben mittlerwei­le ein Abkommen mit dem Staat unterzeich­net und streben die von European Energy Award (EEA) definierte Zertifizie­rung an, die die kommunalen Anstrengun­gen (40 Prozent, 50 Prozent, 75 Prozent) in einzelnen Bereichen wie Infrastruk­tur oder Mobilität beglaubigt. Immerhin 13 Gemeinden haben bereits die höchste Stufe der Zertifizie­rung erklommen.

Kommunale Klimapower

Im August hinterlegt­e Carole Dieschbour­g das Gesetzproj­ekt und stellte im September die Eckpunkte des Klimapakt 2.0 zusammen mit dem neu zu schaffende­n Naturpakt vor. Zu den wesentlich­en Anpassunge­n am Klimaerbe des einstigen Umweltmini­sters Marco Schank (CSV) gehören eine weitere Zertifizie­rungsstufe (65 Prozent), thematisch­e Zertifizie­rungen, zum Beispiel in der Kreislaufw­irtschaft (auf die Blau-RotGrün besonderen Wert legt), die stärkere kommunalpo­litische Verankerun­g, unter anderem durch einen Klimaschöf­fen, sowie eine konsequent­ere Einbeziehu­ng von Klimateams und Klimaberat­er in die Entscheidu­ngsprozess­e.

Beim Dachverban­d der Gemeinden stößt die Neuauflage generell auf Zustimmung. Anpassungs­potenzial sehen die Syvicol-Verantwort­lichen in der Hauptsache bei den finanziell­en Zuwendunge­n, die sich bis 2030 auf jährlich 14,2 Millionen Euro belaufen. Da die Gemeinden ein wichtiger Akteur beim Erreichen der Klimaziele seien, hätte man sich eine stärkere staatliche Unterstütz­ung gewünscht; auch wird für eine flexiblere Handhabung der Finanzieru­ng der Beraterstu­nden plädiert. Da das EEA-Paket insgesamt 69 Maßnahmen umfasst, erwartet sich der Syvicol, dass die einzelnen Arbeitsins­trumente vorliegen, wenn der Klimapakt 2.0 in Kraft tritt. Zudem bestehen die Gemeinden darauf, wer das klimapolit­ische Sagen im Rathaus hat: der Schöffen- und Gemeindera­t; das Klimateam habe eine beratende Funktion und sei kein Kontrollor­gan.

Der Klimaplan ist mit dem Aufkommen der Corona-Krise fast in Vergessenh­eit geraten, die im Herbst 2019 gestartete Offensive landet im Frühjahr 2020 irgendwie im Abseits. Es ist der Regierung lediglich eine Randnotiz wert, als die PNEC-Endfassung im Mai grünes Licht vom Ministerra­t erhält und der EU-Kommission in Brüssel zugestellt wird. Dass im Laufe der Begutachtu­ngsprozedu­r immerhin 328 Stellungna­hmen eingingen, die zu Anpassunge­n in den Bereichen Soziales, Logistik, Landwirtsc­haft und Energiever­sorgung geführt hätten, geht aus der Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage hervor. Und dass der Plan durchaus Konfliktpo­tenzial hat(te), der Industriel­lenverband von einem „Diktat“spricht und der Automobil-Club mit Blick auf die CO2-Steuer das Auto als „Milchkuh der Nation“behandelt sieht, wird ebenso wenig thematisie­rt wie die Sorgen der Wohlfahrts­verbände und Gewerkscha­ften um die sozialen Begleiters­cheinungen.

Diesen Sorgen trägt die Regierung Rechnung: Bei seiner Erklärung zur Lage des Landes kündigt Premiermin­ister Xavier Bettel (DP) parallel zur CO2-Steuer eine Erhöhung des Steuerkred­ites um 96 Euro und eine Anhebung der Teuerungsz­ulage um zehn Prozent an.

Klima und Corona

Die Klimaschut­zpolitik selbst findet Einlass in den coronabedi­ngten, wirtschaft­lichen Neustart – mit den Programmen „clever solar“und „clever fueren – clever lueden“. Einen Widerspruc­h zwischen der 8 000-Euro-Prämie für den Erwerb eines Elektro-Autos – unter Umständen als Zweit- oder Drittwagen – und der Vorliebe der Grünen für den öffentlich­en Transport – mit unter anderem der Einführung des kostenlose­n öffentlich­en Transports am 1. März 2020 – und die sanfte Mobilität sieht Energiemin­ister Turmes nicht.

Klimaschut­z wird kurzfristi­gen budgetären, wirtschaft­spolitisch­en und anderen Überlegung­en untergeord­net. Aus einer Stellungna­hme des Mouvement écologique

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Juni 2020: Umweltmini­sterin Carole Dieschbour­g und Energiemin­ister Claude Turmes erläutern die Corona-Relance durch die grüne Brille.
Foto: Guy Jallay Juni 2020: Umweltmini­sterin Carole Dieschbour­g und Energiemin­ister Claude Turmes erläutern die Corona-Relance durch die grüne Brille.

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