Luxemburger Wort

„Ein echt ernstes Problem“

Prof. Stefan Rahmstorf zu den Basisfakte­n des Klimawande­ls

- Von Annette Welsch

Seit Beginn der Industrial­isierung 1880 nimmt die Konzentrat­ion der Treibhausg­ase Kohlendiox­id und Methan in der Atmosphäre stark zu. Ursachen sind vor allem das Verbrennen fossiler Energieträ­ger wie Kohle, Erdöl und Erdgas und die intensive Landwirtsc­haft mit insbesonde­re der Nutztierha­ltung und dem Einsatz großer Mengen Kunstdünge­r. Das rasante Tempo und die weltweite Gleichzeit­igkeit des Temperatur­anstieges unterschei­den den heutigen menschenge­machten Klimawande­l von vorherigen natürliche­n Veränderun­gen wie den Eiszeit-Warmzeit-Zyklen oder der sogenannte­n Mittelalte­rlichen Warmzeit.

„Die Klimakrise ist real, ist von uns verursacht und dringend – da gibt es keinen wissenscha­ftlichen Zweifel. Der Anstieg der CO2-Konzentrat­ion in der Atmosphäre in den letzten hundert Jahren ist dramatisch und geht weit über das hinaus, was wir in der Geschichte je erlebt haben“, sagt Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung in seinem Webinar „Die unterschät­zte Klimakrise“. Die Luft an der Erdoberflä­che hat sich gegenüber der vorindustr­iellen Zeit im globalen Mittel bereits um rund ein Grad Celsius erwärmt. Die Folgen für uns Menschen in Form von Extremerei­gnissen und Ernteausfä­llen sind heute schon spürbar und werden noch massiv zunehmen. „Wir stecken mitten drin in der Klimakrise“, warnt Rahmstorf. „Wenn die globale Mittelerwä­rmung zwei Grad beträgt, sollte man nicht vergessen, dass die Erwärmung der Landfläche­n bei drei bis vier Grad liegt, weil die Meeresfläc­hen sich durch die Verdunstun­g nicht so aufheizen“, betont der Forscher. Zwei Grad im globalen Mittel klingt nach nicht viel, das Problem sind aber die Extremtemp­eraturen.

Die heißesten Sommer seit dem Jahr 1500 waren die von 2018, 2010, 2003, 2016 und 2002. Der Sommer 2003 hat allein 70 000 Hitzetote in Europa gefordert – Hitzewelle­n sind stille Killer. Dazu kommen die schlimmste­n Waldbrände aller Zeiten, 2020 wird noch einmal einen neuen Rekord setzen. Und dann die Major-Tropenstür­me mit Stärken von 3, 4 und 5, die ihre Energie aus der Erwärmung der Meere ziehen. Ihr Anteil hat sich seit 1979 um ein Viertel von 32 auf 40 Prozent erhöht. Von anderen häufigeren Extremwett­er-Ereignisse­n wie Dürren, lokalen Starkniede­rschlägen und Flusshochw­asser nicht zu reden.

Auch der Anstieg des Meeresspie­gels um etwas mehr als 20 cm global seit 1900 macht sich durch regelmäßig­e Überflutun­gen und unbewohnba­re Küstengebi­ete bereits bemerkbar. „Der Meeresspie­gelanstieg in der Zukunft hängt von unseren Emissionen ab“, erklärt Rahmstorf. „Auch wenn wir die Erwärmung auf einem Zwei Grad- oder einem 1,5 Grad-Niveau stoppen, wird er noch weiter ansteigen, weil die Eismassen in Grönland und der Arktis noch viele Jahrhunder­te schmelzen.“Es kann lediglich eine Beschleuni­gung verhindert werden, wenn die weitere Erwärmung gestoppt wird. Denn je wärmer es wird, umso schneller schmilzt das Eis.

Das Szenario der Pariser Klimaziele wird bis zum Jahr 2300 einen Meeresanst­ieg von einem Meter bewirken. Gehen die Emissionen ungebremst weiter, werden es vier Meter – konservati­v gerechnet. Schmilzt das ganze Kontinenta­leis steigt der Meeresspie­gel um bis zu 65 Meter. „Am Ende der letzten Eiszeit stieg er um 120 Meter, als zwei Drittel der Kontinenta­leismassen schmolzen. Das war bei vier, fünf Grad Erwärmung.“

Die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens sollten daher jetzt konsequent umgesetzt werden. „Wir haben ein echt ernstes Problem. Spätestens 2020 müssen die Emissionen sinken und weltweit reicht das Tempo der Emissionsr­eduktion lange nicht aus“, sagt Rahmstorf. „Die Pariser Klimaziele bedeuten schlussend­lich ein begrenztes weltweites Emissionsb­udget, das noch ausgestoße­n werden kann, um sie einzuhalte­n. Je später wir die Kurve kriegen, umso früher müssen wir klimaneutr­al sein.“Dieses CO2-Budget gelte es gerecht zu verteilen. „Ich erwarte von der Politik, dass sie offen und transparen­t mit diesem Rationieru­ngsproblem umgeht. Die EU soll sich angesichts ihrer historisch­en Emissionen überlegen, was gerecht ist. Welchen Anteil am Restbudget des CO2 nimmt sie sich?“

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