Machtdemonstration
Parlamentarische Frage: Bildungsminister Meisch attackiert das „Luxemburger Wort“wegen kritischer Berichterstattung
Der Ton, den Bildungsminister Claude Meisch (DP) in seiner Antwort auf eine parlamentarische Dringlichkeitsfrage der CSV-Fraktionschefin Martine Hansen und des CSV-Abgeordneten Claude Wiseler anschlägt, ist ungewöhnlich scharf und richtet sich gegen diese Zeitung. Es geht um den Bericht vom 25. November, in dem das „Luxemburger Wort“die wöchentlichen Statistiken und den Analysebericht des MENJE zum Infektionsgeschehen in den Schulen kritisch hinterfragt.
In seiner Antwort erklärt Claude Meisch, er bedaure, dass keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Bericht stattfinde und sich stattdessen auf die Autoren des Berichts eingeschossen werde. Der Artikel im „Luxemburger Wort“habe mehr zur Verunsicherung beigetragen als zur Aufklärung der Öffentlichkeit. Die Zeitung versuche, Widersprüche in die Zahlen des Bildungsministeriums hineinzuinterpretieren, Zahlen aus dem Zusammenhang zu reißen, falsch zu deuten und daraus falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Er bedaure zutiefst, „dass durch diese sachlich falsche und intransparente Vorgehensweise, die Analysen und Zahlen des Bildungsministeriums öffentlich infrage gestellt werden und damit auch das Vertrauen in die Lehrer, Eltern und Schüler und in die Arbeit des Bildungsministeriums untergraben werden soll“.
Rückblende
In dem besagten Artikel weist das „Luxemburger Wort“zunächst auf die Inkohärenz bezüglich der Anzahl der Infektionsketten hin. Laut dem Wochenbericht des Ministeriums befanden sich in der Woche vor den Herbstferien neun Klassen (Fondamental und Secondaire) in Szenario 4 (Infektionskette). In dem nachfolgenden Bericht des Bildungsministeriums, bezogen auf die Woche nach den Ferien, steht, es seien keine weiteren Infektionsketten hinzugekommen.
Bei einem Treffen am 16. November im Bildungsministerium, bei dem auch eine Journalistin der Wochenzeitschrift „d'Land“anwesend war, erhielten beide Medien einen Einblick in die vom Bildungsministerium geführten Statistiken, darunter eine Statistik mit elf Sekundarschulkassen in Szenario 4, also elf Klassen mit Infektionsketten in der Woche nach den Ferien – das LW hat einen Screenshot davon. Das sind zwei Infektionsketten mehr als in der Woche vor den Ferien. Die berechtigte Frage, die sich daraus ergibt: Wie kann das Ministerium behaupten, es sei nicht zu zusätzlichen Infektionsketten gekommen? Das „Luxemburger Wort“hat das Bildungsministerium vor der Veröffentlichung des Artikels um eine Erklärung dafür gebeten, aber keine erhalten. Nach der Veröffentlichung des Artikels wurde dem „Luxemburger Wort“vorgeworfen, dem Ministerium den Screenshot nicht geschickt zu haben. Hätte es das getan, hätte das Ministerium eine Erklärung liefern können, hieß es. Das ist verwunderlich. Das
Ministerium müsste sich in seinen eigenen Statistiken eigentlich zurechtfinden, zumal es ja offensichtlich kaum Klassen in Szenario 4 gibt. In dem Artikel hinterfragt das „Luxemburger Wort“auch die Vorgehensweise des Ministeriums bei der Ausarbeitung des Analyseberichts
über das Infektionsgeschehen seit der Rentrée, und bittet eine Wissenschaftlerin, die Statistiken und die Interpretation der Daten aus wissenschaftlicher Sicht zu prüfen. In seiner Antwort räumt der Minister ein, dass es sich nicht um eine „wissenschaftliche Forschungspublikation“handle – er zieht aber aus den Daten wissenschaftliche Schlüsse, und zwar, dass die Schulen keine Pandemietreiber sind. Die Wissenschaftlerin kommt zum Ergebnis, dass man die Schlussfolgerungen, die das Ministerium in Bezug auf die Virusverbreitung in den Schulen, zieht, „aufgrund der hier präsentierten Daten beim besten Willen nicht ziehen kann“. Um solche Schlussfolgerungen ziehen zu können, brauche man „eine robuste methodologische Vorgehensweise und eine solide wissenschaftliche Ausbildung“.
Covid-19-Taskforce außen vor
Anders als im Sommer blieb bei diesem Bericht die Covid-19-Taskforce von Research Luxembourg außen vor, wie Sprecher Paul Wilmes im Artikel erklärt. Das Ministerium lehnte es trotz Nachfrage ab, die Namen der Personen zu nennen, die am Bericht mitgewirkt haben, und teilte lediglich mit, er sei von Mitgliedern der Generaldirektion des Fondamental, der Generaldirektion des Secondaire, dem Service statistiques und der Koordinationszelle des Bildungsministeriums ausgearbeitet worden, „darunter auch Personen mit einem wissenschaftlichen Hintergrund“. Santé-Direktor Dr. JeanClaude Schmit spricht in dem Artikel von einem Bericht „mit einer nicht besonders entwickelten Methodologie“, der ein Bild über die Lage in den Schulen abgebe. Mehr dürfe man da nicht hineininterpretieren.
Obwohl der Bericht – wie das „Tageblatt“gestern schrieb – „keinen wissenschaftlichen Anspruch hat“, dient er der Politik als Grundlage für Entscheidungen über sanitäre Maßnahmen in den Schulen,
wie es im Bericht heißt. Die erste Grafik in dem Rapport über die Entwicklung der Infektionszahlen bis zu den Herbstferien suggeriert, dass die Schülerfallzahlen viel weniger stark ansteigen als die Fallzahlen in der Gesamtbevölkerung. Dieser Vergleich mit absoluten Zahlen hinkt, da die Bevölkerungszahl sechsmal höher ist als die Schülerzahl und man davon ausgehen muss, dass die Schülerzahlen in der Gesamtbevölkerung enthalten sind. Das „Luxemburger Wort“hat anhand der Daten des Bildungsministeriums eine Grafik über die Entwicklung der Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung und in
Bildungsminister Claude Meisch
der Gesamtschülerschaft erstellen lassen, die etwas anderes erkennen lässt, und zwar einen ähnlichen Verlauf. Diese Grafik diente dazu, aufzuzeigen, dass man ein und dieselben Daten unterschiedlich darstellen kann.
Was andere Medien sagen
Sowohl die Wochenzeitschrift „d'Land“als auch die FAZ wiesen diese Woche darauf hin, dass die wöchentlichen Berichte des Bildungsministeriums zu den Neuinfektionen in den Schulen es Außenstehenden nicht erlauben, die Zahlen zu überprüfen und die Infektionen im Verlauf nachzuvollziehen. Das Ministerium lehnt es ab, die Zahlen aufgeschlüsselt nach Schulen und Klassen zu veröffentlichen – auch in anonymisierter Form. Die FAZ gibt zu bedenken, dass „unklar ist, zu welchem Zeitpunkt eine Schule etwa von Stufe 3 auf 4 wechselt“. Zudem gebe es Interpretationsspielräume: „Sind mehrere Fälle an einer Schule nur Einzelfälle oder schon eine Infektionskette?“, so die FAZ.
Es erfülle ihn mit großer Sorge, wenn in dieser Krisensituation die Integrität der öffentlichen Verwaltungen unbegründet infrage gestellt werde, schreibt Claude Meisch in seiner Antwort auf die parlamentarische Frage. „Wohin das führt, wenn die Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen untergraben wird und eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich ist, sehen wir bei verschiedenen Protestbewegungen in unseren Nachbarländern.“Damit spricht Meisch der Presse und allen Menschen in diesem Land das Recht ab, ihn und die Arbeit seines Ministeriums öffentlich infrage zu stellen und zu kritisieren.