Wie im Blutrausch
US-Präsident Donald Trump bricht mit Hinrichtungsserie im Bundesgefängnis von Terre-Haute alle Normen
Reality-TV-Star Kim Kardashian, Verfassungsrechtler Alan Dershowitz und der katholische Erzbischof Paul Coakley versuchten bis zur letzten Minute, das Leben Brandon Bernards zu retten. Sie ließen ihre Kontakte ins Weiße Haus spielen, um den US-Präsidenten zu einer Begnadigung des Todeskandidaten zu bewegen, auf den wegen seiner Beteiligung an einem grausamen Doppelmord die Giftspritze wartete.
Vergeblich. Während Donald Trump kriminelle Freunde wie Roger Stone, Michael Flynn und Sheriff Joe Arpaio nur zu gerne begnadigte, ließ er sich in diesem Fall nicht erweichen. Dabei hatte Bernard zum Zeitpunkt der Tat gerade erst die Volljährigkeit erreicht. Als seine Henker ihn am Donnerstagabend im Bundesgefängnis von Terre-Haute im Bundesstaat Indiana hinrichteten, war er 40 Jahre alt.
Trump schafft tödliche Fakten
„Er war eine ganz andere Person. Hoffnungsvoll und positiv bis zum Ende”, twitterte Kardashian, die kurz vor der tödlichen Injektion noch einmal mit dem Delinquenten sprechen konnte. „Ich bin völlig neben der Spur”, schrieb sie nach der Hinrichtung.
Kritiker halten Trump vor, sich in einem Blutrausch aus dem Weißen Haus zu verabschieden. Seit sein Justizminister William Barr im Juli auf Drängen des Präsidenten das Moratorium bei der Vollstreckung von Todesurteilen auf Bundesebene beendete, beförderten die Henker mit Brandon nun schon neun Menschen ins Jenseits.
Bis zur Amtsübernahme Joe Bidens, der versprochen hat, sich dafür einzusetzen, die Todesstrafe auf Bundesebene abzuschaffen, sind noch fünf weitere Hinrichtungen angesetzt. „Das bewegt sich völlig außerhalb der Norm”, sagt die Direktorin des „Death Penalty Information Center” Ngozi Ndulue zu der beispiellosen Serie an Exekutionen. Zwei Vergleiche zeigen, wie ungewöhnlich das Verhalten
des Präsidenten ist, der persönlich auf die Vollstreckung bestanden hat.
Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe auf Bundesebene im Jahr 1988 bis zum Ende des Moratoriums in diesem Sommer gab es insgesamt nur drei Hinrichtungen in Bundesgefängnissen. Beim Ausscheiden Trumps aus dem Weißen Haus werden es 13 innerhalb eines halben Jahres sein.
„Sie müssen bis zum Jahr 1896 zurückgehen, um ein anderes Jahr zu finden, in dem es mehr als zehn Hinrichtungen gab”, sagt Ndulue. Und noch nie hat die US-Regierung in der Übergangszeit nach den Wahlen bis zur Amtseinführung des gewählten Präsidenten ein Urteil vollstreckt.
Es sei „einfach skrupellos”, zu diesem Zeitpunkt mit den Hinrichtungen fortzufahren, beschwert sich Verteidiger Shawn Nolan, der zwei Delinquenten vertritt, über den Hochbetrieb in den Todeszellen zum Jahreswechsel.
Weder die zahlreichen Covid19-Infektionen in dem Bundesgefängnis noch die Erkrankung von Mitgliedern des Hinrichtungsteams änderte etwas an der Entschlossenheit Trumps.
Um sicherzustellen, dass der eingesetzte Giftcocktail nicht zu einem Problem vor Gericht wird, erlaubte Justizminister Barr im November alternative Hinrichtungsmethoden. Dazu gehören Erschießungskommandos, der elektrische Stuhl und der Tod durch Gas. Die Änderungen treten an Heilig Abend in Kraft.
Trumps Verhalten steht im Widerspruch zu dem Einstellungswandel der Amerikaner. Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2019 bevorzugen 60 Prozent der Amerikaner eine lebenslange Haft über die Todesstrafe. Der Trend spiegelt sich in der Praxis der Gliedstaaten, in denen in der Vergangenheit die meisten Todesurteile vollstreckt wurden. Als 22. Bundesstaat beendete Colorado in diesem Jahr die international verurteilte Praxis.
„Die öffentliche Unterstützung ist niedriger als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der letzten zehn Jahre”, sagt Ndulue. Den Todeskandidaten, deren Hinrichtungstermine vor der Amtseinführung Bidens liegen, hilft das nicht. Gestern wollte die Regierung mit Alfred Bourgeois (56) den nächsten Mörder in Terre-Haute hinrichten.