Auf dem Weg in den Totalitarismus
Venezuela steht nach der Parlamentswahl vor dem völligen Ende der Demokratie – eine Analyse
Es wirkte wie absurdes Theater, als die Chavisten sich und die Rückeroberung der Nationalversammlung am Wochenende feierten wie einen großen Sieg. Dabei war es alles andere als das. Es war eine entscheidende Niederlage für die Demokratie in dem südamerikanischen Land. Nach 22 Jahren an der Macht ist es den Linksnationalisten gelungen, die Institutionen komplett auf Linie zu bringen, man könnte auch sagen: gleichzuschalten. Der Ausgang der Parlamentswahl war ein Triumph der Hoffnungslosigkeit, der vielleicht entscheidende Schritt in den Totalitarismus.
Die Wahlbeteiligung von 30 Prozent zeigt, wie demoralisiert und demobilisiert die Bevölkerung ist. Enttäuscht von der Politik und den Politikern. Von den regierenden Chavisten sowieso, aber eben auch von der Opposition, die sich lieber untereinander bekämpft, als konsequente und konstruktive Konzepte zu entwickeln, wie man die autoritären Machthaber ablösen kann. Aber wie geht es jetzt in dem Land weiter, wo Menschen hungern, die Wirtschaft allein dieses Jahr um 30 Prozent einbricht und die Inflation 1 800 Prozent beträgt? Was macht die Regierung dagegen? Was passiert jetzt mit der Opposition, wie reagiert das Ausland?
Die Regierung ist dringend auf der Suche nach Investitionen und vor allem Devisen, die jene aus der schwindenden Ölproduktion ersetzen. Zudem braucht das Land eine Quelle für Nahrungsmittel. Caracas wird sich folglich noch näher an die Regierungen von Iran, Russland und China anlehnen, die ihrerseits große Freude daran haben, im „Hinterhof“Washingtons stark engagiert zu sein. Vor allem die neue Nähe zu Teheran hilft. Iran liefert gerne Öl und hat inzwischen auch eine eigene Supermarktkette in Caracas eröffnet, um die Lebensmittelknappheit zu lindern. Zwischen Venezuela und Iran soll es einen regelmäßigen Flugfrachtverkehr geben.
In der Woche nach der Wahl begannen auf Seiten der Opposition die Grabenkämpfe. Juan Guaidó, dessen Mandat als Vorsitzender
Am Donnerstag forderten Demonstranten in der Hauptstadt Caracas die Freilassung politischer Gefangener. der Nationalversammlung am 5. Januar mit Ende der Legislaturperiode ausläuft, klammert sich an die Macht. Er spricht von einer „Verwaltungskontinuität“des aktuellen Parlaments, weil er die Wahl vom vergangenen Sonntag als unrechtmäßig erachtet. Er will die EU dazu bringen, ihn weiterhin als „Übergangspräsidenten“anzuerkennen. Dieses Ansinnen wirkt hilflos und ist lächerlich.
Juan Guaidó: König ohne Reich
Die Venezolaner vertrauen ihm nicht mehr, er hat in seinen zwei Jahren auf der politischen Bühne gezeigt, dass er ein König ohne Reich ist, dass er den versprochenen Wandel nicht bringen kann. Er sollte gehen. Sein Widersacher Henrique Capriles, Ex-Präsidentschaftskandidat, sagt laut und deutlich, dass neue Figuren, neue Ideen und neue Strategien notwendig seien. „Die Opposition ist führungslos“, unterstrich er in einem Interview. Das ist völlig richtig, aber es stürzt die über 50 Staaten in ein Dilemma, die Guaidó anerkannt haben. Wer soll jetzt der Verhandlungspartner sein in Venezuela? Noch wichtiger ist aber die Frage, was künftig die USA machen? Donald Trump hatte bei den radikalen Anti-Chavisten die Fantasie auf ein schnelles, militärisches Ende von Nicolás Maduro und seinem Regime geweckt. Dieses Szenario war vermutlich nie wirklich wahrscheinlich, aber ist jetzt zum Glück völlig vom Tisch. Joe Biden hat sich bisher zum Thema Venezuela weitgehend bedeckt gehalten, zumal er nach Übernahme der Präsidentschaft wichtigere Themen anzugehen hat.
Sinnvoll wäre es allerdings, die breitflächigen Sanktionen gegen Land und Leute zu modifizieren. Die persönlichen Strafen gegen die Exponenten der chavistischen Elite könnten bestehen bleiben. Aber Sanktionen wie die Importblockade von Diesel haben das Land weiter in den Abgrund gestoßen. Wenn Laster und Busse nicht fahren können, weil es keinen Treibstoff gibt, werden Medikamente nicht ausgeliefert und verrotten die Lebensmittel. Und die Bevölkerung leidet. In der Folge droht eine neue massive Migrationswelle.