Luxemburger Wort

Auf dem Weg in den Totalitari­smus

Venezuela steht nach der Parlaments­wahl vor dem völligen Ende der Demokratie – eine Analyse

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City)

Es wirkte wie absurdes Theater, als die Chavisten sich und die Rückerober­ung der Nationalve­rsammlung am Wochenende feierten wie einen großen Sieg. Dabei war es alles andere als das. Es war eine entscheide­nde Niederlage für die Demokratie in dem südamerika­nischen Land. Nach 22 Jahren an der Macht ist es den Linksnatio­nalisten gelungen, die Institutio­nen komplett auf Linie zu bringen, man könnte auch sagen: gleichzusc­halten. Der Ausgang der Parlaments­wahl war ein Triumph der Hoffnungsl­osigkeit, der vielleicht entscheide­nde Schritt in den Totalitari­smus.

Die Wahlbeteil­igung von 30 Prozent zeigt, wie demoralisi­ert und demobilisi­ert die Bevölkerun­g ist. Enttäuscht von der Politik und den Politikern. Von den regierende­n Chavisten sowieso, aber eben auch von der Opposition, die sich lieber untereinan­der bekämpft, als konsequent­e und konstrukti­ve Konzepte zu entwickeln, wie man die autoritäre­n Machthaber ablösen kann. Aber wie geht es jetzt in dem Land weiter, wo Menschen hungern, die Wirtschaft allein dieses Jahr um 30 Prozent einbricht und die Inflation 1 800 Prozent beträgt? Was macht die Regierung dagegen? Was passiert jetzt mit der Opposition, wie reagiert das Ausland?

Die Regierung ist dringend auf der Suche nach Investitio­nen und vor allem Devisen, die jene aus der schwindend­en Ölprodukti­on ersetzen. Zudem braucht das Land eine Quelle für Nahrungsmi­ttel. Caracas wird sich folglich noch näher an die Regierunge­n von Iran, Russland und China anlehnen, die ihrerseits große Freude daran haben, im „Hinterhof“Washington­s stark engagiert zu sein. Vor allem die neue Nähe zu Teheran hilft. Iran liefert gerne Öl und hat inzwischen auch eine eigene Supermarkt­kette in Caracas eröffnet, um die Lebensmitt­elknapphei­t zu lindern. Zwischen Venezuela und Iran soll es einen regelmäßig­en Flugfracht­verkehr geben.

In der Woche nach der Wahl begannen auf Seiten der Opposition die Grabenkämp­fe. Juan Guaidó, dessen Mandat als Vorsitzend­er

Am Donnerstag forderten Demonstran­ten in der Hauptstadt Caracas die Freilassun­g politische­r Gefangener. der Nationalve­rsammlung am 5. Januar mit Ende der Legislatur­periode ausläuft, klammert sich an die Macht. Er spricht von einer „Verwaltung­skontinuit­ät“des aktuellen Parlaments, weil er die Wahl vom vergangene­n Sonntag als unrechtmäß­ig erachtet. Er will die EU dazu bringen, ihn weiterhin als „Übergangsp­räsidenten“anzuerkenn­en. Dieses Ansinnen wirkt hilflos und ist lächerlich.

Juan Guaidó: König ohne Reich

Die Venezolane­r vertrauen ihm nicht mehr, er hat in seinen zwei Jahren auf der politische­n Bühne gezeigt, dass er ein König ohne Reich ist, dass er den versproche­nen Wandel nicht bringen kann. Er sollte gehen. Sein Widersache­r Henrique Capriles, Ex-Präsidents­chaftskand­idat, sagt laut und deutlich, dass neue Figuren, neue Ideen und neue Strategien notwendig seien. „Die Opposition ist führungslo­s“, unterstric­h er in einem Interview. Das ist völlig richtig, aber es stürzt die über 50 Staaten in ein Dilemma, die Guaidó anerkannt haben. Wer soll jetzt der Verhandlun­gspartner sein in Venezuela? Noch wichtiger ist aber die Frage, was künftig die USA machen? Donald Trump hatte bei den radikalen Anti-Chavisten die Fantasie auf ein schnelles, militärisc­hes Ende von Nicolás Maduro und seinem Regime geweckt. Dieses Szenario war vermutlich nie wirklich wahrschein­lich, aber ist jetzt zum Glück völlig vom Tisch. Joe Biden hat sich bisher zum Thema Venezuela weitgehend bedeckt gehalten, zumal er nach Übernahme der Präsidents­chaft wichtigere Themen anzugehen hat.

Sinnvoll wäre es allerdings, die breitfläch­igen Sanktionen gegen Land und Leute zu modifizier­en. Die persönlich­en Strafen gegen die Exponenten der chavistisc­hen Elite könnten bestehen bleiben. Aber Sanktionen wie die Importbloc­kade von Diesel haben das Land weiter in den Abgrund gestoßen. Wenn Laster und Busse nicht fahren können, weil es keinen Treibstoff gibt, werden Medikament­e nicht ausgeliefe­rt und verrotten die Lebensmitt­el. Und die Bevölkerun­g leidet. In der Folge droht eine neue massive Migrations­welle.

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