Luxemburger Wort

„Muss das sein?“

Christian Fritzen hat den Opfern der Trierer Amokfahrt geholfen. Ihm machen die Erinnerung­en zu schaffen – und das Verhalten von Passanten

- Von Michael Merten (Trier)

Der Duft frischen Teigs liegt über der alten Backstube in der Trierer Jakobstraß­e. Konditor Christian Fritzen, der gerade Mürbeböden ausrollt, und seine Mitarbeite­r arbeiten Hand in Hand, um eine Vielzahl an Törtchen in allen möglichen Geschmacks­richtungen zu backen, zu befüllen und zu verzieren.

Von der Welt da draußen kriegen sie hinter den dreifach verglasten Fenstern des Hauses mit der 120-jährigen Backtradit­ion nichts mit. Die übliche vorweihnac­htliche Hektik, die keine 20 Meter entfernt auf dem Hauptmarkt herrscht, wo sich die Fußgängers­tröme begegnen, sie bleibt hier außen vor. Doch das ändert sich schlagarti­g um 13.46 Uhr an diesem Dienstag, dem 1. Dezember.

Unten, im Erdgeschos­s des Hauses, arbeitet eine junge Kollegin im Verkauf. Wegen der Corona-Restriktio­nen ist das Café geschlosse­n, nur ein schmaler Streifen vor der Theke ist für Kunden zugänglich, die Törtchen mitnehmen möchten. Die Mitarbeite­rin hört

Schreie. Sie steigt die enge Wendeltrep­pe nach oben und sagt mit erschrocke­nem Tonfall: „Da ist grad' ein Auto durch die Innenstadt gefahren!“Weil die junge Kollegin noch neu ist, lachen ihre Kollegen – denn sie denken, dass es sich um eine ganz alltäglich­e Situation handelt.

Dass Autos auch noch weit nach elf Uhr morgens, wenn die Frist für Lieferfahr­zeuge endet, in die Fußgängerz­one fahren, das ist in Trier Alltag. Doch die Kollegin insistiert: „Chef, mach das Fenster auf“. Christian Fritzen, 46, gebürtiger Traben-Trarbacher, folgt – und er hört und sieht Dinge, die sich ihm ins Gedächtnis eingebrann­t haben. Menschen schreien, rufen um Hilfe. Blutende Passanten kommen aus Richtung Hauptmarkt. In diesem Moment zögert er nicht lange, greift nach seiner Jacke und rennt nach draußen. Sein Gedanke: Schauen, wo Hilfe angebracht ist, bis dass die Sanitäter eintreffen.

Acht Tage später sitzt Christian Fritzen an einem Tisch im hinteren Eck seines Cafés. Die Rollläden sind geschlosse­n, einige Bänke

zusammenge­klappt, auf den Tischen warten Deko-Artikel darauf, weggeräumt zu werden. Er hatte sich geschworen, keine Interviews zu den furchtbare­n Ereignisse­n zu geben, obwohl zahlreiche Kamerateam­s und Reporter vor seinem Laden gestanden haben.

Wie im Krieg

Dabei ist der Konditor kein menschensc­heuer Typ, der um Worte verlegen wäre; Bekannte schätzen ihn für seine offene und mitunter auch mal direkte Art. Doch die furchtbare­n Details dieses Tages, sie gehören nicht an die Öffentlich­keit, davon ist er überzeugt. Dass er nun doch mit dem „Luxemburge­r Wort“spricht über diesen Tag, der Trier traumatisi­ert hat, liegt vor allem daran, dass er noch immer nicht fassen kann, wie sich manche Passanten in diesen furchtbare­n Minuten verhalten haben.

Sein Blick wird ernst, sein Tonfall stiller, als er von diesen Augenblick­en zu erzählen beginnt. Der Hauptmarkt, den Christian Fritzen so gut kennt, den er jeden Tag mehrfach überquert, hat sich völlig verändert. Es herrscht Chaos. Überall liegen Trümmer herum, bluten Menschen, die orientieru­ngslos sind und in Panik geraten sind. Er versucht, die Lage einzuordne­n, Zusammenhä­nge herzustell­en. Zusammen mit der Verkäuferi­n eines naheliegen­den Geschäfts kümmert er sich um eine völlig aufgelöste Frau.

Schon nach wenigen Minuten treffen Feuerwehrl­eute und Sanitäter ein, doch diese kümmern sich zunächst um die augenschei­nlich Schwerverl­etzten. Darunter ist auch die erst neun Wochen alte Tochter der Frau. Die Rettungskr­äfte haben für die geschockte Mutter keine Zeit. So können „normale“Passanten wie Fritzen helfen, können für die Frau da sein, sie stützen, ihr irgendwie zureden.

Erst nach und nach wird Christian Fritzen klar, dass hier eine ganze Familie betroffen ist. Der Vater ist bereits tot; die knapp neunwöchig­e Tochter schwer, der anderthalb­jährige Sohn und die Mutter wohl leicht verletzt. „Mein Baby! Sie hat immer wieder gefragt: Wie geht es meinem Baby?“, erinnert sich Fritzen zurück. Das Baby wird in diesem Moment von Sanitätern behandelt, die vergeblich versuchen, es zu retten.

Die eigentlich­e Gefahr liegt da Minuten zurück, der mutmaßlich­e Täter ist verhaftet worden. Doch was Fritzen nicht fassen kann: Zwei Helfer müssen ihre wertvolle Zeit mit einer anderen Form von Gefahrenab­wehr verbringen, indem sie eine Decke hochhalten und das Baby dadurch abschirmen.

Da sind Menschen, die Fotos und Videos machen – und das ist ihnen wichtiger, als sich um das Kind zu kümmern.

Fritzen holt tief Luft; seine Stimme wird brüchig: „Das ist der schlimmste Moment in der ganzen Zeit gewesen, als ich gedacht habe: Da sind Menschen, die Fotos und Videos machen – und das ist wichtiger, als sich um das Kind zu kümmern. Und die Menschen, die dem Kind helfen wollen, müssen aufstehen und die Privatsphä­re des Babys zu schützen ... Das war für mich ganz heftig.“

Die Gaffer und das Kind

Fritzen sieht, wie die Gaffer die Situation beobachten. Wie sie das sterbende Kind, aber auch die aufgewühlt­e Mutter in all ihrem Leid filmen. Eigentlich will er jetzt nur für diese Frau da sein, ihr ein kleines bisschen Halt und Zuwendung im wohl schlimmste­n Moment ihres Lebens geben. Doch ein Mann kommt mit seinem Handy immer näher an sie heran. „Da bin ich aufgesprun­gen, habe sein Handy geholt, habe es quer über den Hauptmarkt geworfen und gesagt: Geh. Geh, ganz, ganz, ganz schnell.“

Kurze Zeit später sieht der Ersthelfer, dass die Sanitäter eine Decke über das Baby legen. Er weiß, was das bedeutet: Der Kampf um das Leben der Tochter ist verloren. Als die Mutter und ihr überlebend­er Sohn von den Sanitätern ins Krankenhau­s gebracht wer

Konditor Christian Fritzen hat die furchtbare­n Erlebnisse nach der Trierer Amokfahrt noch nicht verarbeite­t. So geht es auch vielen anderen Menschen aus der Region: Täglich gedenken Passanten an den Inseln aus Kerzen und Blumen, die an den Tatorten entstanden sind.

den, spürt Christian Fritzen eine innere Leere. „Das war, als würde dir jemand den Akku rausziehen.“Erst, als er zurück in der Backstube ist, überkommen ihn die Emotionen; er erlaubt sich, zu weinen.

Am Tag nach der Tat schafft er es nicht, seinen alltäglich­en Weg über den Hauptmarkt zu nehmen. Erst am zweiten Tag macht er das, was auch vielen anderern Menschen aus Trier und Umgebung seitdem ein wichtiges Bedürfnis ist: Er geht den Weg der Gewalt, den der Täter zurückgele­gt hat, nach. Versucht, zu begreifen, was da passiert ist. Sieht das tröstende Meer aus Blumen, Kerzen, Engeln, Teddybären. „Ich gehe jeden Morgen an der Stelle vorbei, wo das Baby gestorben ist und sage ihm guten Morgen“, sagt der Konditor; die letzten beiden Worte verschluck­t er.

Die Frage nach dem Warum

Am Fuß der Porta Nigra, inmitten Tausender Kerzen, hat jemand ein Schild aufgestell­t, das nur aus wenigen Buchstaben besteht: Warum? „Jeder will eine Antwort haben“, sagt Fritzen, doch er ist sich sicher: „Es wird nie eine befriedige­nde Antwort geben.“

Er geht davon aus, dass die Amokfahrt viele Trierer nachhaltig verunsiche­rt hat. Zwar seien die Menschen aus den Nachrichte­n an Terror und Gewalt gewöhnt. Aber das sei immer in den großen Städten eingetrete­n. „Wenn irgendwo etwas passiert ist, habe ich immer gedacht: Gut, dass wir in Trier leben. Hier passiert so etwas nicht.“Doch nun sei es passiert – und der Beschuldig­te ist zudem ein gebürtiger Trierer. Bei islamistis­chen Anschlägen gebe es bekannte Erklärmust­er; „in dem Moment ist es einfacher, zu verstehen“. Damit könne die Gesellscha­ft mittlerwei­le umgehen.

Die Gesellscha­ft. Da ist noch etwas, das der Ersthelfer ihr mit auf den Weg geben will. Noch am Nachmittag der Tat postet Fritzen auf Facebook einen Beitrag, der auf immense Resonanz stößt. Er schreibt: „Unfassbar, dass Feuerwehr und Sanitäter damit zu tun hatten, Tücher hoch zu halten, damit keine Fotos/Videos gemacht werden. Das ist unsere Gesellscha­ft, dafür schäme ich mich zutiefst. Ich werde nie mehr die Schreie der Mutter vergessen, nie mehr!“

Auch die Polizei twittert in diesen Stunden in Großbuchst­aben: „BITTE TEILT KEINE BILDER UND VIDEOS AUS #TRIER!“Doch genau das passiert vielfach. „Wir haben teilweise echt verstörend­e Videos zugesendet bekommen“, erzählt eine Triererin. „Keine Ahnung wie man auf die Idee kommt, in so einer Situation das Handy zu ziehen und zu filmen. Ein Video werde ich wohl in meinem Leben nie wieder vergessen.“

Ein anderer Trierer hat bei einem Facebook-Bekannten ein Video gesehen, das schreiende Angehörige zeigt. „Das war extrem furchtbar. Sowas geht ins Mark“, sagt er. Doch immerhin: „Die Person, die es geteilt hat, hatte offenbar ein Einsehen und hat es entfernt.“Möglich auch, dass dies nicht freiwillig geschehen ist: Einzelne Videos habe man „in enger Zusammenar­beit mit den Verantwort­lichen der sozialen Medien unverzügli­ch entfernt“, sagt ein Sprecher der Polizei.

Dass Handy-Filmer leider mittlerwei­le zum Alltag bei großen Einsätzen gehören, bestätigt der Sprecher der Trierer Feuerwehr, Ernst Mettlach. Doch er hebt hervor, dass auch zahlreiche Passanten

Courage gezeigt und geholfen hätten. „Als nach kurzer Zeit unsere Einsatzkrä­fte vor Ort eintrafen, waren bei jedem Verletzten schon Ersthelfer, sie sich gekümmert haben.“

Auch große Boulevardm­edien veröffentl­ichen Handyvideo­s, auf denen zugedeckte Leichname zu sehen sind, oder sie zeigen Fotos des umgestürzt­en Kinderwage­ns. In sozialen Netzwerken lassen sich solche Filme schnell finden. „Dieses Video ist eventuell für einige Nutzer unangemess­en“, warnt eine Plattform. Doch wer auf „Ich habe das verstanden und möchte fortfahren“klickt, kann es ungehinder­t schauen.

Ein Gedanke belastet Christian Fritzen; er denkt an den jetzt anderthalb­jährigen Sohn der betroffene­n Familie. „Das Kind wird irgendwann wissen wollen, wer ist mein Papa. Was macht der? Der wird im Internet forschen. Dann findet er ein Video von seiner Schwester, die beatmet wird. Von seinem Vater, der tot auf dem Boden liegt. Muss das sein?“

Über die Frage, ob er auch Lehren für sich selbst gezogen hat aus dem, was er erlebt hat, denkt Christian Fritzen lange nach. Dann erzählt er, wie er nach den furchtbare­n Ereignisse­n in die Backstube zurückgeke­hrt ist. Sein Mann, mit dem er den Betrieb führt, ist gerade nicht in der Stadt gewesen – zum Glück, wie ihm nun bewusst ist. „Ich habe den Rainer angerufen: Ich möchte deine Stimme hören.“Fritzen kämpft mit den Tränen. „Und ich habe zu ihm gesagt: Ich werde mich nie wieder beschweren.“

Denn die derzeitige Situation sei für Gastronome­n sehr belastend; die wochenlang­en Schließung­en und Umsatzrück­gänge durch die Pandemie gefährdete­n die Substanz vieler Betriebe. „Alles, was wir uns über Jahre hinweg aufgebaut haben, ist momentan in Gefahr, kaputt zu gehen.“Doch Fritzen ist überzeugt: „Das ist alles nur Geld. Die Frau hat innerhalb von zwei Minuten durch einen Gestörten ihren Mann und ihr Baby verloren.“

Ich habe immer gedacht: Gut, dass wir in Trier leben. Hier passiert so etwas nicht.

par tonne de CO2 est nécessaire. En 2021, la taxe carbone devrait être de 33,50 euros en Irlande, de 30 euros aux Pays-Bas, de 25 Euros en Allemagne et de 20 euros au Luxembourg, mais les modalités d’applicatio­n, les facteurs de réduction temporaire et la hausse de ces montants au cours des années suivantes varient nettement d’un pays à l’autre.

Le Luxembourg participe à cet effort, mais son ambition est limitée au niveau de la taxe carbone, qui est pourtant la solution préconisée au sein de l’OCDE et des Nations unies pour répondre rapidement à l’urgence d’une nette diminution systématiq­ue des émissions durant toute la période jusqu’en 2030.

La réduction des inégalités

La réduction des inégalités entre les pays et dans les pays constitue l’objectif de développem­ent durable numéro dix de l’agenda 2015/2030 des Nations unies. A ce titre, le risque de pauvreté constitue un indicateur majeur de l’Union européenne et d’Eurostat. Au Luxembourg, le taux de cet indicateur a été de 20,6% en 2019 et se situe au-dessus de celui des pays voisins. Une des raisons majeures est l’évolution des prix moyens pour l’achat d’un logement, qui ont augmenté de 13% entre 2017 et 2019. Selon le Statec, cette évolution s’est encore aggravée au premier semestre de 2020.

Des mesures sociales en faveur des ménages les plus exposés à ce risque de pauvreté sont nécessaire­s pour contrebala­ncer l’augmentati­on des inégalités au Luxembourg. L’allocation de vie chère devrait augmenter en 2021 de 10% pour amoindrir l’impact de la nouvelle taxe carbone mentionnée ci-dessus. Pour autant, cette allocation, qui n’avait pas été adaptée aux coûts de la vie et à l’augmentati­on des prix depuis son introducti­on en 2009 avec un montant de 1 320 euros, reste à un niveau très bas avec un impact limité. D’un autre côté, le revenu d’inclusion sociale sera relevé de 2,8% en 2021, soit 42 euros par mois au minimum, ce qui constitue un soutien plus substantie­l. Ces mesures ne permettron­t quand même guère de compenser les fortes hausses de prix, constatées durant les années récentes dans un secteur fondamenta­l comme celui du logement.

Au niveau mondial et des différents pays y compris le Luxembourg, une reprise transforma­tive d’une meilleure manière constitue un des grands axes, établis par les Nations unies pour une sortie de la crise du Covid-19. Cet axe intègre les grands défis, qui risquent d’être exacerbés encore par les effets de la pandémie. Dans ce contexte, il importe que des solutions appropriée­s puissent être mises en oeuvre au cours des prochaines années.

L'Auteur est président de l’Associatio­n luxembourg­eoise pour les Nations unies (www.alnu.lu)

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg