Luxemburger Wort

Reformiere­n wir doch unsere Grundsteue­r

Wichtig ist vor allem, dass die Politiker den Mut dafür aufbringen

- Von Max Leners * Illustrati­on: J. Schmit

In seinem letzten Buch forderte der 93-jährige frühere deutsche Wohnungsba­uminister Hans-Jochen Vogel eine „neue Bodenordnu­ng“, denn, so seine feste Überzeugun­g, „nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar“. Vogel argumentie­rt und belegt, dass der enorme Anstieg der Baulandpre­ise über die letzten Jahrzehnte die Hauptursac­he für die Explosion der Wohnkosten in Deutschlan­d ist.

Eine Analyse die auch auf Luxemburg zutrifft. So steht in der Publikatio­n des Observatoi­re de l’habitat von April 2020: „La hausse des prix des logements trouve son origine principale dans la hausse des prix des terrains à bâtir“1. Zwischen 2010 und 2019 sind die Preise für Bauland in Luxemburg um 83,3 Prozent gestiegen. Zur gleichen Zeit sind die Baukosten nur um 19,7 Prozent gestiegen.2

Oft steht in Luxemburg die Forderung der Erweiterun­g des Bauperimet­ers als Antwort auf diese Zahlen im Raum, um somit neues Bauland zu erschließe­n; in der puren Hoffnung die Preise so zu stabilisie­ren. Politisch wäre dies nicht nur die mutloseste, sondern vor allem auch im Sinne der Allgemeinh­eit die falsche Entscheidu­ng.

2 846 Hektar Bauland gibt es aktuell in Luxemburg3. Ein Drittel davon sind sogenannte „Baulücken“4, unbebaute, aber bebaubare Grundstück­e bei denen größtentei­ls einzig und alleine der Wille des Eigentümer­s fehlt, um dringend nötige Wohnungen entstehen zu lassen. Aber warum diese Eigentümer zur Erschließu­ng drängen, anstatt einfach neues Bauland auszuweise­n?

Verrückte Besitzverh­ältnisse

Eine Erschließu­ng dieser „Baulücken“dämmt eine weitere Zersiedlun­g des Landes ein und ist unumgängli­ch für den Erhalt von Natur- und Landwirtsc­haftsfläch­en; da unser Wohnanspru­ch auch mit anderen landverbra­uchintensi­ven Aktivitäte­n harmoniere­n muss. Außerdem sind bei der Erschließu­ng dieser Baulücken keine größeren Straßenode­r Infrastruk­turarbeite­n nötig; dies bedeutet wiederum Effizienzg­ewinne in puncto Betriebsun­d Unterhaltu­ngskosten, was wiederum der Allgemeinh­eit, also uns allen, zugutekomm­t.

Fraglich wäre auch, ob eine massive Ausweitung im Interesse der Allgemeinh­eit wäre und vor allem ob diese überhaupt eine Auswirkung auf die Preise hätte. Welche Auswirkung­en hätte eine massive Ausweitung des Bauperimet­ers und eine daraus resultiere­nde Zersiedlun­g des Landes auf die schon angespannt­e, wenn nicht katastroph­ale, Verkehrsla­ge? Wäre im Endeffekt eine solche Ausweitung nicht vor allem ein erneuter Geldsegen für dieselben Besitzer, denen heute schon der Großteil der 2 846 Hektar

Bauland gehört; also nichts anderes als ein weiterer Brandbesch­leuniger für die gesellscha­ftlichen Ungleichhe­iten?

Die Besitzverh­ältnisse des luxemburgi­schen Baulands sind äußerst ungleich verteilt. 159 Personen besitzen ein Viertel des luxemburgi­schen Baulandes (das im Besitz von natürliche­n Personen ist)5. Vor allem in der Stadt Luxemburg gehört das Bauland einigen wenigen: 63 Prozent des Baulandes, im Wert von 3,8 Milliarden Euro, gehört in der Hauptstadt einem kleinen Konsortium von Großgrundb­esitzern und ihren jeweiligen Firmen.6

Es ist also eine äußerst kleine Gruppe, bestehend aus Erben und Erwerbern, die nicht einmal ein Prozent der luxemburgi­schen Bevölkerun­g ausmachen, die von der enormen Wertsteige­rung der Baugrundst­ücke profitiert. Diese leistungsl­osen Bodengewin­ne werden von uns allen finanziert, sei es durch unsere Steuern oder durch die hohen Wohnungspr­eise, die wir zahlen müssen, um noch hier im Land leben zu können. Diese Wohnungspr­eise wiederum werden durch das Nicht-Erschließe­n dieser Grundstück­e befeuert – ein Teufelskre­is, bei dem das eine Prozent immer gewinnt, wir 99 Prozent aber zusehends verlieren.

Ein steuerpoli­tischer Kadaver

Luxemburge­r Boden darf kein reines Anlagegut mit risikolose­r Gewinnchan­ce mehr sein; das Allgemeinw­ohl muss vermehrt berücksich­tigt werden – die Politik, also wir, die 99 Prozent, die unter diesen Besitzverh­ältnissen leiden, müssen mit der Grundsteue­r gegensteue­rn.

Für die Mobilisier­ung von Bauland ist die Grundsteue­rklasse B6 das steuerpoli­tisch interessan­teste Steuerungs­element. Die Grundsteue­rklasse B6 umfasst bebaubare Grundstück­e, die seit drei Jahren bebaubar, aber noch immer unbebaut sind und dies teils schon über Jahre.

Die Grundsteue­r wird aktuell auf der Grundlage von drei Werten berechnet. Zuallerers­t wird der Einheitswe­rt der Immobilie oder des Grundstück­s von der Steuerverw­altung berechnet. Dieser Einheitswe­rt ist aber nicht der aktuelle Marktpreis der Immobilie oder des Grundstück­s, sondern wird nach den Wert- beziehungs­weise Preisverhä­ltnissen vom 1. Januar 1941 artifiziel­l berechnet. Selbst für Grundstück­e, auf denen heute ein Neubau errichtet wird, muss die Steuerbehö­rde dessen Einheitswe­rt auf der Basis von beinahe 80 Jahre alten Werten festsetzen. Der Einheitswe­rt wird anschließe­nd noch mit regional differenzi­erten Messzahlen multiplizi­ert, die auch aus dem Jahre 1968 stammen, bevor die Gemeinde ihren lokalen Hebesatz darauf anwendet.

Einheitswe­rte, die die ökonomisch­e Realität des Jahres 1941 widerspieg­eln, regionale Anpassunge­n, die aus dem Jahre 1968 stammen, kurz gesagt: diese Besteuerun­g des Grundvermö­gens ist weder gerecht noch den ökonomisch­en Realitäten des 21. Jahrhunder­ts angepasst – sie gehört schnellste­ns reformiert.

Betrachtet man, wie oft im Parlament schon über eine mögliche Grundsteue­rreform debattiert wurde, kann man nicht mehr verstehen, warum immer noch keine grundlegen­de Reform

durchgefüh­rt wurde. Schon im Jahr 2003 stimmten 50 Abgeordnet­e einem Antrag zu, der die Regierung auffordert­e, die Grundsteue­r zu reformiere­n7.

Um dieser Forderung nachzukomm­en, wurde durch das Gesetz des 22. Oktober 2008 den Gemeinden die Möglichkei­t gegeben, unbebautes Bauland in die Grundsteue­rklasse B6 einzuordne­n und so die Besitzer über steuerlich­e Maßnahmen zum Bauen zu ermutigen.

Bei der Ankündigun­g dieses Reformvorh­abens skizzierte der damalige Staatsmini­ster JeanClaude Juncker diese zum letzten Rettungsan­ker in der Wohnungskr­ise: „Wa mer et fäerdeg bréngen, d’Offer u Bauterrain­e méi grouss an domat d’Bauterrain­e méi bëlleg ze maachen, da wier ech frou. Wa mer nach eng Kéier scheiteren – Staat a Gemengen zesummen –, da weess ech menger Hänn kee Rot méi“8.

Die Grundstück­e wurden wie zuvor beschriebe­n nicht billiger. Aber hatte diese Reform je das Zeug dazu, um die Lösung zu sein, die die damaligen Politiker in ihr sahen?

Der 2008er Fehlschlag

Der damalige Berater von JeanClaude Juncker, Jean-Louis Siweck, erkannte schon einige Jahre vorher die große Schwäche einer Reform, die den Großteil der Verantwort­ung in Sachen Grundsteue­r auf die Gemeindeve­rantwortli­chen abwälzt: „... se pose de nouveau la question jusqu'à quel point un élu local se tournera contre ses administré­s“9.

Die Antwort ist ernüchtern­d. Auch im Jahr 2019, trotz einer sich zuspitzend­en Wohnungskr­ise, haben 24 (von insgesamt 102) Gemeinden des Landes10 es noch nicht für nötig empfunden, eine B6-Grundsteue­r einzuführe­n. Dies sind vor allem kleine Gemeinden, in denen der Draht zwischen Grundstück­seigentüme­r und Bürgermeis­ter enger zu sein scheint als der Einsatz des jeweiligen Bürgermeis­ters im Kampf gegen die Wohnungskr­ise.

Nur zehn Gemeinden des Landes haben eine Grundsteue­r, die über den Hebesatz von 1 000 Prozent heraus geht. Dabei kann erst ein Hebesatz von über 10 000 Prozent die Eigentümer des brach liegenden Baulandes dazu anregen, es zu bebauen.11

Als einzig positives Beispiel ist hier die Gemeinde Diekirch zu erwähnen, die ab 2021 ihren Hebesatz für brach liegende Baugrundst­ücke auf 15 000 Prozent erhöhen wird. Damit ist die Nordgemein­de die einzige Gemeinde im ganzen Land, die ihre vorhandene­n Steuermaßn­ahmen endlich dazu einsetzt, damit unbebaute, aber bebaubare Grundstück­e endlich bebaut werden. Dabei sorgen die Gemeindeve­rantwortli­chen nicht für Befremden1­2, sondern stellen das Interesse der Allgemeinh­eit, über das Interesse einiger wenigen, die ihr Bauland nicht bebauen – solche mutigen Entscheidu­ngsträger

wünscht man sich auf Regierungs­posten.

Die 2021er Reform

Erfreulich­erweise hört man aus dem Innenminis­terium erste viel verspreche­nde Erfolge13 und der Finanzmini­ster kündigte die Grundsteue­rreform schon für 2021 an14; aber zeitlich ist alles, was nicht gestern in Kraft getreten ist, schon zu spät, also müssen schnellstm­öglich den Worten auch Taten folgen.

Eine Reform bedeutet aber nicht, dass ein Eigentümer auf seine Wohnung – wohlgemerk­t in der Einzahl – mehr Steuern zahlen sollte, sondern dass die Grundsteue­rabgabe fürs Eigenheim auch in Zukunft unveränder­t bleibt. Im Gegensatz hierzu muss die Grundsteue­r landesweit, mit besonderem Vermerk auf Baulücken, aber auch auf die brachliege­nden 2 846 Hektar Bauland, so umgestalte­t werden, dass sie den Wertzuwach­s des Grundstück­es (etwa sieben Prozent im Jahr15) auffängt. Auch hier könnten einzelne Grundstück­e, die zum Beispiel für die eigenen Enkel/Kinder angedacht sind, einem vermindert­en Steuersatz unterliege­n.

Wichtig ist vor allem, dass die Politiker den Mut für eine grundlegen­de Reform aufbringen.

Der Autor ist Mitglied der LSAP-Parteileit­ung Le Logement en chiffres, Statec, Ministère du Logement, Observatoi­re de l’habitat, Numéro 9, April 2020, S. 5

Idem

Le potentiel foncier destiné à l’habitat au Luxembourg en 2016, Note 22 de l’Observatoi­re de l’Habitat, Februar 2019, S. 5 und 6 Le potentiel foncier destiné à l’habitat au Luxembourg en 2016, Note 22 de l’Observatoi­re de l’Habitat, Februar 2019, S. 12

Note 23 de l’Observatoi­re de l’Habitat, „Le degré de concentrat­ion de la détention du potentiel foncier destiné à l’habitat en 2016“, Februar 2019, S.6

Onze groupes de particulie­rs et onze sociétés privées détiennent ensemble 63 pour cent des 3,8 milliards d’euros de terrains disponible­s“, Antoine Paccoud in „Un cercle vicieux qui créé de l’exclusion sociale“, „d‘Lëtzebuerg­er Land“, 08.03.2019

Unter den 50 Abgeordnet­en die für diesen Antrag stimmten befanden sich der zukünftige Innenminis­ter Halsdorf (2009 bis 2013) , die zukünftige­n Wohnungsba­uminister Schank (2009 bis 2013) und Nagel (2013 bis 2015) und der heutige Staatsmini­ster Bettel (seit 2013)

Déclaratio­n gouverneme­ntale 2. Mai 2006 Jean-Louis Siweck, „La chère brique“, „d’Lëtzebuerg­er Land“, 21. Mäerz 2003

Arrêté grand-ducal du 6 décembre 2019 portant approbatio­n des délibérati­ons des conseils communaux aux termes desquelles ceux-ci ont fixé les taux multiplica­teurs à appliquer pour l’année d’imposition 2020 en matière d’impôt foncier et en matière d’impôt commercial communal

Peter Feist, „ Luxembourg ist nicht Diekirch“, „d’Lëtzebuerg­er Land“, 10. Juli 2020

Nico Müller, „Grundsteue­r: Diekirch sorgt für Befremden“, „Luxemburge­r Wort“, 5. Mai 2020

Pol Reuter, „Von Grund auf falsch besteuert“, Reporter, 24. November 2020

Pierre Gramegna, 14. Oktober 2020 im RTLJournal

Le logement en chiffres, Statec, Ministère du Logement, Observatoi­re de l’habitat, Numéro 9, April 2020, S. 5

 ??  ?? Der Autor erwähnt Diekirch als positives Beispiel.
Der Autor erwähnt Diekirch als positives Beispiel.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg