Blinde Gewalt
Versuchter Totschlag: Staatsanwaltschaft fordert zehn Jahre Haft für 24-jährigen Angeklagten
Luxemburg. Sieben Zentimeter lang ist die Stich- und Schnittwunde an der linken Wange und am Hals des Opfers. Die zerbrochene Glasflasche hat den siebten Hirnnerv durchtrennt, Halsschlagader und innere Drosselvene nur um Millimeter verfehlt – und das wegen einer Zigarette oder eines Sandwichs, je nach Darstellungsweise.
Mit einem Druckverband, der die Blutung stoppte, retteten die ersten Polizisten am Tatort am Abend des 5. August 2018 dem heute 20-jährigen Opfer wohl das Leben. Wäre die Arterie beschädigt worden, hätte das Opfer das wahrscheinlich nicht überlebt. Und auch eine Verletzung der Vene hätte tödlich enden können, denn die hätte womöglich Luft angesaugt und eine Luftembolie verursacht.
Deshalb forderte die Vertreterin der Anklage gestern vor der hauptstädtischen Kriminalkammer denn auch eine Haftstrafe von zehn Jahren gegen den 24-jährigen Angeklagten – wegen versuchten Totschlags.
Sinnlose Konfrontation
Der Tatort ist eine jener Stellen in der Hauptstadt, welche die meisten Menschen abends und insbesondere im Sommer lieber meiden. Am Brunnen an der Kreuzung der hauptstädtischen Rue de Bonnevoie mit der Rue du Laboratoire halten sich dann oft Jugendliche auf, die Alkohol und Drogen konsumieren und gerne Passanten anpöbeln. Es kommt auch schon mal zu Raubüberfällen und zu Messerstechereien.
Streit gab es auch in dem Fall, der nun vor Gericht verhandelt wird. Wenn auch der Anlass erschreckend geringfügig erscheint. Das spätere Opfer habe ein Stück von seinem Sandwich abhaben wollen, erklärt der Angeklagte vor den Richtern. Er habe das aber nicht gewollt. Sein Kontrahent sei daraufhin wütend geworden, habe eine Flasche zerbrochen und ihn damit angegriffen. Er selbst habe sich nur gewehrt und dem Anderen daraufhin selbst mit einer Bierflasche flach gegen den Kopf geschlagen – aus Angst. Das ist inzwischen die dritte Variante seiner Darstellung des Tatablaufs. Zuvor
hatte er etwa gegeben, das Opfer sei auf die Flasche gefallen.
Zweifel an den Aussagen
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft passt der Angeklagte seine Aussagen aber lediglich stets an den Stand der Ermittlungen an. Zudem gebe es Anzeichen dafür, dass es nicht nur einen Schlag mit einer zerbrochenen Flasche gegeben habe, sondern zwei. Der Angeklagte sage demnach nicht die Wahrheit.
Allerdings ist auch die Aussage des Opfers nicht ganz schlüssig. Der 20-Jährige hatte bei der Polizei angegeben, der Andere habe ihn um eine Zigarette gebeten und, als er diese verweigert habe, eine Bierflasche zerbrochen und zugeschlagen. Im Prozess konnte das Opfer indes nicht dazu befragt werden, weil der junge Mann inzwischen das Land mit unbekanntem Ziel verlassen hat.
Für die Staatsanwaltschaft ist aber trotz der Unklarheiten erwiesen, dass der Angeklagte das Opfer durch seinen Angriff in Lebensgefahr gebracht hat. Vorgehensweise und Verletzungsbild würden zudem die Tötungsabsicht belegen. Darüber hinaus habe er nichts unternommen, um dem Schwerverletzten zu helfen.
Das Urteil ergeht am 14. Januar.