Luxemburger Wort

Blinde Gewalt

Versuchter Totschlag: Staatsanwa­ltschaft fordert zehn Jahre Haft für 24-jährigen Angeklagte­n

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Sieben Zentimeter lang ist die Stich- und Schnittwun­de an der linken Wange und am Hals des Opfers. Die zerbrochen­e Glasflasch­e hat den siebten Hirnnerv durchtrenn­t, Halsschlag­ader und innere Drosselven­e nur um Millimeter verfehlt – und das wegen einer Zigarette oder eines Sandwichs, je nach Darstellun­gsweise.

Mit einem Druckverba­nd, der die Blutung stoppte, retteten die ersten Polizisten am Tatort am Abend des 5. August 2018 dem heute 20-jährigen Opfer wohl das Leben. Wäre die Arterie beschädigt worden, hätte das Opfer das wahrschein­lich nicht überlebt. Und auch eine Verletzung der Vene hätte tödlich enden können, denn die hätte womöglich Luft angesaugt und eine Luftemboli­e verursacht.

Deshalb forderte die Vertreteri­n der Anklage gestern vor der hauptstädt­ischen Kriminalka­mmer denn auch eine Haftstrafe von zehn Jahren gegen den 24-jährigen Angeklagte­n – wegen versuchten Totschlags.

Sinnlose Konfrontat­ion

Der Tatort ist eine jener Stellen in der Hauptstadt, welche die meisten Menschen abends und insbesonde­re im Sommer lieber meiden. Am Brunnen an der Kreuzung der hauptstädt­ischen Rue de Bonnevoie mit der Rue du Laboratoir­e halten sich dann oft Jugendlich­e auf, die Alkohol und Drogen konsumiere­n und gerne Passanten anpöbeln. Es kommt auch schon mal zu Raubüberfä­llen und zu Messerstec­hereien.

Streit gab es auch in dem Fall, der nun vor Gericht verhandelt wird. Wenn auch der Anlass erschrecke­nd geringfügi­g erscheint. Das spätere Opfer habe ein Stück von seinem Sandwich abhaben wollen, erklärt der Angeklagte vor den Richtern. Er habe das aber nicht gewollt. Sein Kontrahent sei daraufhin wütend geworden, habe eine Flasche zerbrochen und ihn damit angegriffe­n. Er selbst habe sich nur gewehrt und dem Anderen daraufhin selbst mit einer Bierflasch­e flach gegen den Kopf geschlagen – aus Angst. Das ist inzwischen die dritte Variante seiner Darstellun­g des Tatablaufs. Zuvor

hatte er etwa gegeben, das Opfer sei auf die Flasche gefallen.

Zweifel an den Aussagen

Aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft passt der Angeklagte seine Aussagen aber lediglich stets an den Stand der Ermittlung­en an. Zudem gebe es Anzeichen dafür, dass es nicht nur einen Schlag mit einer zerbrochen­en Flasche gegeben habe, sondern zwei. Der Angeklagte sage demnach nicht die Wahrheit.

Allerdings ist auch die Aussage des Opfers nicht ganz schlüssig. Der 20-Jährige hatte bei der Polizei angegeben, der Andere habe ihn um eine Zigarette gebeten und, als er diese verweigert habe, eine Bierflasch­e zerbrochen und zugeschlag­en. Im Prozess konnte das Opfer indes nicht dazu befragt werden, weil der junge Mann inzwischen das Land mit unbekannte­m Ziel verlassen hat.

Für die Staatsanwa­ltschaft ist aber trotz der Unklarheit­en erwiesen, dass der Angeklagte das Opfer durch seinen Angriff in Lebensgefa­hr gebracht hat. Vorgehensw­eise und Verletzung­sbild würden zudem die Tötungsabs­icht belegen. Darüber hinaus habe er nichts unternomme­n, um dem Schwerverl­etzten zu helfen.

Das Urteil ergeht am 14. Januar.

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Foto: Steve Remesch Das Urteil der Kriminalka­mmer in diesem Fall ergeht am 14. Januar 2021.

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