Luxemburger Wort

„Nichts kommt von alleine“

Mountainbi­ker Sören Nissen blickt auf ein Jahr zurück, das viele Einzelspor­tler vor unbekannte Sorgen gestellt hat

- Interview: Daniel Wampach

Wer mit Sören Nissen telefonier­t, weiß, dass der 36-Jährige dann mit großer Wahrschein­lichkeit auf dem Fahrrad sitzt. „Das ist mein Homeoffice“, sagt einer der besten Marathon-Mountainbi­ker der Welt. In der Serie „Mein Jahr 2020“spricht Nissen über die schwierige Situation und prägende Momente in einer Zeit, die manche Sportler vor nie dagewesene Hürden stellt.

Sören Nissen, konnten Sie 2020 überhaupt eines Ihrer Ziele erreichen?

Die Ziele, die ich mir vor der Saison gesetzt hatte, konnte ich nicht erreichen, weil ein Rennen nach dem anderen abgesagt wurde. Ich habe mich dann auf kleine Zwischenzi­ele fokussiert, um die Moral und die Motivation hochzuhalt­en, wie zum Beispiel die Mountainbi­ke-Meistersch­aft in Luxemburg. Das war das einzige Rennen, bei dem ich zeigen konnte, wofür ich eigentlich trainiere.

Was war für Sie der schwerste Moment des Jahres?

Das Gefühl, dass man selbst nichts machen und nichts beeinfluss­en kann, ist schlimm. Seit ich auf internatio­nalem Level Mountainbi­ke fahre, habe ich versucht, mich zu profiliere­n. Es lief auch immer besser, es kamen immer mehr Siege und meine Verhandlun­gsposition gegenüber Sponsoren hat sich stetig verbessert. Nun ist ein Geldgeber nach dem anderen abgesprung­en, weil natürlich jeder seine Firma über Wasser halten will. Ich habe jahrelang gearbeitet, um dieses Niveau zu erreichen, auf dem ich gut vom

Sport leben konnte – und auf einmal fällt das alles auseinande­r. Es ist wie mit einem Kartenhaus:

Man fängt an, es aufzubauen, und plötzlich wackelt alles. So fühle ich mich. Ich muss auf Wettbewerb­e hintrainie­ren, von denen ich nicht weiß, ob sie stattfinde­n. Das ist wie wenn ein Schüler lange für ein Examen lernt, und am Tag vorher gesagt bekommt, es würde nicht stattfinde­n, sondern auf das kommende Jahr verlegt werden.

Sind Sie in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten?

Nein, so schlimm ist es nicht, auch wenn ich das am Anfang befürchtet hatte. Ich habe noch einige Sponsoren an meiner Seite. Die Situation ist aber auch nicht optimal. Ich bin 36 Jahre alt und es wäre beruhigend zu wissen, dass man sich nach der aktiven Karriere die Zeit nehmen kann, um sich profession­ell neu zu orientiere­n. Darauf habe ich gehofft, aber im Moment ist es nicht so, wie ich mir es vorgestell­t hatte. Aktuell habe ich jedoch keine finanziell­en Probleme.

Gab es auch schöne Momente im Jahr 2020?

Natürlich. Vergangene Woche bin ich zum ersten Mal Vater geworden. Mein Sohn wurde am 2. Dezember geboren und seit einigen Tagen sind wir alle wieder zu Hause. Darauf habe ich mich das ganze Jahr über gefreut. Es ist sozusagen mein kleines CoronaBaby.

Haben Sie etwas Neues für sich entdeckt?

Wie schon vorhin erwähnt, ist es für mich ganz neu, dass ich nicht mehr selbst über meine Karriere

oder mein Leben entscheide­n kann. Ich konnte sonst alles selbst bestimmen, welche Rennen ich fahre oder mit welchen Sponsoren ich zusammenar­beite. Nun bin ich auf andere Menschen angewiesen und mir bleibt nicht viel anderes übrig, als abzuwarten, was die Politik für Maßnahmen ergreift. Ansonsten hatte ich Zeit, um Bäume in meinem Garten anzupflanz­en, den Keller zu streichen oder das Kinderzimm­er bereit zu machen.

Haben Sie sich etwas gegönnt, worauf Sie sonst vielleicht verzichtet hätten?

Nein, eigentlich nicht. Ich wollte erst einmal abwarten und schauen, wie sich die Situation entwickelt, bevor ich große Investitio­nen tätige.

Gab es etwas, das Sie getan und später bereut haben?

Hätte ich im Februar gewusst, dass diese Situation so lange anhalten würde, hätte ich mir den ganzen mentalen Stress und all die Sorgen nicht machen müssen. Ich hätte wohl einiges anders geplant. Aber die Zukunft kann man eben nicht voraussehe­n. Wenn ich in einigen Jahren zurückblic­ke und mich frage, was ich im Jahr 2020 erreicht und erlebt habe, ist außer der Geburt meines Sohnes nichts Schönes dabei gewesen, woran ich mich erinnern werde.

Sind Sie verreist?

Ich bestritt Mitte August ein Rennen in der Schweiz und Anfang September eines in Norwegen. Außerdem habe ich meine Eltern ein Mal in Dänemark besucht.

Vermissen Sie das Reisen?

Ja klar. Immer für Rennen unterwegs zu sein und dieses Adrenalin zu spüren, fehlt mir einfach. Das merke ich zu Hause. Wenn ich nicht täglich meine vier bis sieben Stunden Training absolviere, werde ich unruhig. Sogar meine Freundin hat manchmal zu mir gesagt: „Es ist Zeit, eine Runde mit dem Fahrrad zu drehen, weil du nicht mit deiner Energie klarkommst.“Wenn man es gewohnt ist, 100 bis 150 Tage im Jahr unterwegs zu sein, und auf einmal sitzt man nur noch zu Hause rum, hat man einfach viel zu viel Energie, die nicht raus kann.

Was hat Sie in diesem Jahr neben der Geburt Ihres Sohnes besonders geprägt und was nehmen Sie für die Zukunft mit?

Nichts kommt von alleine und nicht alles ist rosarot. Im Leben ist es wie im Sport: Es wird immer Höhen und Tiefen geben, wobei ich in meiner Karriere noch nie ein Jahr hatte, in dem echt gar nichts los war. Wenn es schlecht läuft, kann man daraus lernen. Ich habe gelernt, mich an neue Situatione­n anzupassen und Lösungen dafür zu finden.

Wie verbringen Sie die Feiertage und den Jahresabsc­hluss?

Wir haben nichts geplant, vor allem wegen meines neugeboren­en Sohnes. Die Vorgabe ist ja sowieso, im ganz kleinen Kreis zu feiern. Mal schauen. Ich wünsche jedenfalls allen einen guten Rutsch und hoffe vor allem, dass das neue Jahr besser wird. Ich glaube, das sehnt sich so ziemlich jeder herbei.

Haben Sie sich Ziele für 2021 gesetzt?

Ich hatte geplant, an der Cape Epic in Südafrika teilzunehm­en. Das ist sowas wie die Tour de France für Mountainbi­ker. Sie sollte im März stattfinde­n. Aber von diesem Gedanken muss ich

Für mich ist es ganz neu, dass ich nicht mehr selbst über meine Karriere oder mein Leben entscheide­n kann.

Wenn ich nicht täglich meine vier bis sieben Stunden Training absolviere, werde ich unruhig.

mich verabschie­den, denn vor drei Tagen wurde das Rennen in den Oktober verlegt. Dabei hatte ich bereits die Zusage meines Sponsors, dass er mich wieder unterstütz­t. Ansonsten habe ich versucht, mir kleine Ziele zu setzen, wie zum Beispiel die nationale Cyclocross-Meistersch­aft, die am 17. Januar hätte stattfinde­n sollen. Ich dachte, es wäre vielleicht meine letzte gute Chance, um Meister zu werden. Der internatio­nale Mountainbi­ke-Kalender steht zwar, aber es gibt keine Sicherheit­en. Für die Cape Epic hatten wir bereits 20 000 Euro investiert, die nun weg sind. Es macht wenig Sinn, etwas zu planen, und am Ende bleiben die Sponsoren auf den Kosten sitzen, ohne dass ein Wettkampf stattgefun­den hat. Bestenfall­s trainiert man einfach weiter und versucht, bereit zu sein, wenn es wieder losgeht. Das ist allerdings nicht leicht. Privat will ich einfach die Zeit mit der Familie genießen und mich nicht mehr so von der Situation stressen lassen.

 ?? Foto: Privat ?? Landesmeis­ter Sören Nissen hat im Jahr 2020 fast keine Rennen bestritten.
Foto: Privat Landesmeis­ter Sören Nissen hat im Jahr 2020 fast keine Rennen bestritten.

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