Konzepte unter der Lupe
Infektionsexpertin Dr. Barbara Gärtner spricht über Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen im Sport
Die Sportwelt hat sich an das Corona-Virus angepasst. Unzählige Hygienekonzepte in allen möglichen Disziplinen wurden seit dem Ausbruch der Pandemie aufgestellt, um Training oder Wettkampf nicht aufgeben zu müssen. Die Maßnahmen reichen vom Breitenbis in den Spitzensport.
Eines der umfassendsten Konzepte wurde von der Deutschen Fußballliga (DFL) erstellt und betrifft unter anderem die Bundesliga. Als Mitglied der zuständigen DFL-Taskforce kennt sich Dr. Barbara Gärtner besonders gut mit den Einflüssen des Virus auf den Sport aus. In einem vom COSL (Comité olympique et sportif luxembourgeois) organisierten Videovortrag spricht die Fachärztin für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie über ...
... den Mindestabstand
„Die Frage ist, ob die im Alltag vorgegebenen 1,5 Meter im Sport reichen. Sportler atmen unter Belastung anders und brüllen vielleicht herum. Wenn man heftig ausatmet geht der Luftstrom teilweise weiter. Also sollte man im Sport auf mindestens zwei Meter aufrunden. Daraus ergibt sich vor allem im Indoorsport ein Problem, weil man in Sporthallen nicht so gut Stoßlüften kann. Zusätzlich haben Umkleidekabinen oftmals keine Fenster und kaum Anschluss an die Außenwelt.“
... die Auswahl der Maske
„Es existiert das Gerücht, dass der gewöhnliche, klinische Mund-Nasen-Schutz lediglich Fremdschutz und keinen Eigenschutz bietet. Das stimmt nicht. Bei den Masken, die sonst vor allem im Krankenhaus in Gebrauch waren, wurde nur der Fremdschutz geprüft. Ein gewisser Selbstschutz ist trotzdem gegeben. Die FFP-Maske („filtering face piece“, filterndes Gesichtsteil) ist hingegen in beide Richtungen geprüft. Wichtig ist, dass es ein mehrlagiger Schutz ist.“
„Der Mund-Nasen-Schutz beim Sport ist aber problematisch: Wenn man unter Belastung eine Maske trägt und einem deshalb die Puste ausgeht, dann ist die Maske dicht. Wenn das nicht passiert, taugt sie nichts.“
... die Effektivität von Blasen
„Das Konzept Bubble funktioniert in manchen Sportarten sehr gut, bei anderen weniger. In den USA wurden die Basketballer für die NBA-Endrunde nach Disney World geschickt. Dabei ist entscheidend, wie konsequent der Kontakt nach außen vermieden wird. Bereits eine Person, die ausschert, kann zum Problem werden.“
„Sportarten, bei denen das gut funktionieren kann, sind meistens die, in denen die Athleten wenig zu Hause sind, immer mit den gleichen Leuten zusammen sind oder in einem festen Team um die Welt reisen. Beispiele sind Radsport oder Wintersport. Hinzu kommen Sportarten wie etwa Schwimmen, bei denen der Mindestabstand gewährleistet ist. Problematisch ist hingegen der Fußball, bei dem die Spieler zu Hause mit ihren Familien leben.“
... das Platzen einer Blase
„Manchmal ist die Bubble einfach zu groß. Das heißt, dass Leute hineinkommen, die nicht hineingehören. In der Blase sollten nur die Menschen sein, die keine Maske tragen können oder total engen Kontakt haben. Im Fußball beispielsweise gilt das für Spieler, Trainer, Ärzte oder Physiotherapeuten. Ein Videoanalyst muss nicht getestet werden, der kann Abstand halten und Maske tragen.“
„Eine weitere Fehleinschätzung – auch unter Sportlern – ist, dass auch sicher ist, was erlaubt ist. Den Mindestabstand mit Maske zu unterschreiten ist erlaubt, aber nicht sicher. Und keine Testung führt dazu, dass irgendeine Maßnahme ausgehebelt wird. Wenn Athleten gemeinsam Essen gegangen sind und dabei 1,50 Meter Abstand gehalten haben, dann durften sie das, haben sich aber trotzdem einem unnötigen Risiko ausgesetzt.“
... die Interpretation von Tests
„Die größte Übertragungswahrscheinlichkeit besteht unmittelbar vor Symptombeginn. Danach geht die Kurve schnell runter und nach fünf Tagen ist kaum noch eine Gefahr da. Wenn man Sportler aus einer Blase rausnehmen will, um andere nicht zu infizieren, müsste man zwei Mal in der Woche testen – besser drei Mal. Weil Athleten aber infektiös sind, bevor sie krank sind, ist es manchmal schon zu spät, obwohl man zwei Mal pro Woche testet.“
„Dabei entsteht oftmals das Missverständnis, dass Menschen denken, sie seien nicht ansteckend, weil sie getestet wurden. Wer aber gestern negativ getestet wurde, könnte heute positiv sein. Auf ein negatives Ergebnis darf man sich nicht verlassen, es ist kein Beweis. Und deshalb kein Grund auf Abstand und Maske zu verzichten. Hinzu kommt, dass man nicht genau weiß, wie lange die Immunität nach der Erkrankung anhält.“
... die Glaubwürdigkeit von Tests
„Grundsätzlich ist es immer besser, wenn wie beim Doping eine unabhängige Stelle die Tests durchführt. Wenn es die Teams selbst machen, existiert eventuell ein gewisser Druck, den Abstrich mal mehr oder weniger sorgfältig zu machen.“
Dr. Barbara Gärtner gehört zur Corona-Taskforce der Deutschen Fußballliga.
... das Versagen von Hygienekonzepten
„In der Fußball-Bundesliga hatte man zwischen Mai und August einen vermeintlichen Erfolg. Die Ursache war eine Mischung aus dem Hygienekonzept und der saisonalen Abwesenheit des CoronaVirus. Denn fast alle respiratorischen (die Atmung betreffenden) Erreger haben eine Wintersaisonalität. Das es jetzt Gegenwind gibt (und die Fallzahlen auch in der Bundesliga rapide gestiegen sind) war zu erwarten. In Gänze funktioniert das Konzept also nicht. Das strikte Einhalten der AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) und die Heimquarantäne sind der einzig mögliche Schutz für alle Sportler.“
... das Risiko von Zuschauern
„Bei Zuschauern sind im Durchschnitt bis zu ein Prozent ansteckend. Das Problem von Sportveranstaltungen ist, dass man den Abstand nicht absichern kann. Im Stadion können Abstände vorgegeben werden, aber es gibt auch noch Pausen, Verpflegung sowie Anfahrt und Abfahrt. Zusätzlich sorgt Alkohol für irrationales Verhalten. Diese Probleme rechtfertigen Geisterspiele.“
„Zuschauer beim Sport sind momentan nur möglich, wenn die Anzahl der Menschen massiv reduziert wird und keine Gästefans zugelassen werden. Zusätzlich muss man einen hohen Überwachungsaufwand betreiben und braucht ein Transport- und Alkoholkonzept. Ein volles Stadion ist nicht vertretbar. Denn man sieht an vielen Beispielen: Sobald die Emotionen hochkochen, gilt nichts mehr.“
... das Impfen als Lösung
„Auf den Sport hat die geplante Impfung keinen direkten Einfluss. Das liegt daran, dass es einerseits nicht genug Impfdosen gibt und die Sportler andererseits die Letzten sind, die geimpft werden. Sie sind einfach zu jung, gehören keiner Risikogruppe an und sind nicht systemrelevant. Ohnehin braucht man zwei Impfungen im Abstand von drei bis vier Wochen. Und dann dauert es nochmal bis zu drei Wochen, bis die Immunität wirkt. Außerdem gibt es noch keine Informationen, wie sich die Impfung auf Training, Belastung oder Leistungsfähigkeit auswirkt.“
„Die Chance besteht im Gesamtkontext: Wenn die Risikogruppen immun sind, also chronisch kranke und alte Menschen, entfällt die Notwendigkeit für den Lockdown. Dann kann es sein, dass die Maßnahmen nicht mehr gebraucht werden. Denn es ist nicht so schlimm, wenn sich 15-Jährige infizieren. Somit könnte sich das Thema für die Sportler auch auf diese Art und Weise erledigen.“
... die Notwendigkeit von Strafen
„Es ist notwendig, dass auch im Sport Sanktionen ausgesprochen werden, falls Menschen gegen die Regeln verstoßen. Denn sie riskieren damit die Gesundheit ihrer Mit- und Gegenspieler. In der NFL (National Football League) gibt es teilweise saftige Strafen. Dabei können die Teams bei den Drafts sogar Wahlmöglichkeiten verlieren. Da können wir uns etwas abschauen.“
... das Problem mit der Fairness
„Es ist wichtig, dass die Sportverbände klare, gleichberechtigte Regeln aufstellen. Wenn die Gesundheitsbehörden entscheiden, kann es regional zu unterschiedlichen Maßstäben kommen. Hier sind Fans erlaubt, dort aber nicht. Oder das eine Team muss wegen eines Corona-Falls in Quarantäne, während das andere mit sechs Fällen spielen darf.“
... das Desinfizieren von Sportgeräten
„Das Desinfizieren von Sportgeräten ist nicht unbedingt notwendig. Denn Oberflächen sind bei Corona nicht das Hauptproblem. Die Frage ist nicht, ob auf einer Oberfläche Corona-Viren sind, sondern ob ein Mensch sie von dort lebend wieder runter und dann in den Mund bekommt. Im Einzelfall ist das möglich, aber eher unwahrscheinlich. Wenn der Erreger so stabil wäre, müssten wir auch bereits Lebensmittelausbrüche gehabt haben.“
... die Unterschiede beim Immunsystem
„Sportler, die sich durch Training ein gutes Immunsystem aufgebaut haben, sind nicht resistenter gegen das Corona-Virus. Eine angeborene Immunität kann ausschlaggebend sein, eine adaptive (erworbene, angepasste) Immunität aber nicht.“