Jetzt aber flott
Deutschland hat sich mit dem harten Lockdown Zeit gelassen – nun kommt er binnen drei Tagen
Die Kanzlerin hat einen Frosch. Also im Hals. Ein ums andere Mal muss Angela Merkel sich räuspern. Und wenn das erst bei der Fragerunde losginge … Als die Ministerpräsidenten Michael Müller links von ihr und rechts Markus Söder sagen sollen, ob Merkel, die es in Sachen Corona-Regeln ja stets schneller und heftiger haben wollte als die Länderchefinnen und –chefs, ob also Merkel nicht am Ende recht behalten habe: Wenn die Kanzlerin erst da in einem fort „hrrrmm“machen würde – man dürfte das für einen Kommentar halten.
Sehr schnell und entschlossen
Aber so ist Merkel heute nicht gestimmt. Noch am Mittwoch hat sie im Bundestag mehr Gefühl gezeigt als je in ihren 15 Kanzlerinjahren. Heute ist sie zurück im bekannten Sachlichkeitsmodus. Vielleicht auch vor Erschöpfung. Nach dem Emotionsappell im Parlament in Sachen Pandemie – Kontakte ’runterfahren was geht! Vernünftig sein! – kam der EU-Gipfel. Und nach dem wiederum jetzt die Videokonferenz mit den Ministerpräsidentinnen und – präsidenten Sonntagmorgen ab zehn. Später wird man lernen, dass in den zwei, drei Tagen zuvor quer durch die Republik telefoniert und gemailt und vorbereitet worden ist.
Deshalb ist es nun so ungewohnt rasch gegangen: 72 Minuten vom Start der Videokonferenz bis zum Auftritt vor der Presse. Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) erklärt das so: „Man hat nicht über jede einzelne Maßnahme hoch und runter diskutiert“. Was ein sehr grelles Licht auf den Verlauf der vorangegangenen Konferenzen wirft.
Diesmal also laut Müller „sehr schnell und sehr entschlossen“. Weil, so Merkel, „dringender Handlungsbedarf“. Denn, so Söder, der CSU-Bayer, „Corona außer Kontrolle“.
Vollbremsung ab Mittwoch
Tatsächlich steigen in ganz Deutschland sämtliche Werte massiv – trotz des Lockdown light seit 2. November. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz hat die 150erMarke passiert, mehrere Tage wurden mehr als 25 000 Infizierte gemeldet – und die Intensivstationen füllen sich sehr. „Alle drei Minuten“, sagt Söder, „stirbt jemand in Deutschland an Corona.“Und fügt hinzu: „Teilweise gibt es schon Triage“.
Das ist seit den Spätwinter-Bildern aus Norditalien ihre Angst: Dass das Gesundheitssystem kollabiert. Dass in den Kliniken Ärztinnen und Ärzte entscheiden müssen, wer leben darf und wer sterben muss. „Bergamo“, sagt Söder – der bei den Presseauftritten immer für die Überschriften zuständig ist und fürs druckreife Mahnen – „Bergamo ist näher als der Eine oder Andere glaubt.“
Deshalb soll jetzt die Vollbremsung her. Ab Mittwoch. Republikweit. Kitas und Schulen zu. Geschäfte dicht – außer jenen für den täglichen Bedarf. Dazu Appelle an alle Unternehmen, ihr Personal – wo nur irgend möglich – in Betriebsferien oder Homeoffice zu schicken. Und inständige Bitten an „alle Bürgerinnen und Bürger“: „In den nächsten Tagen von Kontakten Abstand zu nehmen.“(Merkel) „Man muss auch nicht alles machen, was möglich ist.“(Müller) „Die Philosophie heißt Daheimbleiben.“(Söder)
Das alles gilt bis 10. Januar. Und anders als sonst geben sie zu, dass dieses Datum nur ein Mindestens ist. „Wie es im Januar weitergeht“, so die Kanzlerin, „kann man heute noch nicht sagen.“Für den Dezember schon: Null Ausnahmen für den Jahreswechsel, keine Feten, und der Verkauf von Feuerwerk wird verboten. „Es wird halt“, sagt Söder, „ein stilles Silvester.“Auch da gilt die Regel für Treffen in Familie: maximal fünf Erwachsene aus maximal zwei Haushalten.
„Klare Regeln für alle“
Bleibt als einzige Lockerung: Weihnachten. Erlaubt sind Treffen mit vier Personen „über den eigenen Hausstand hinaus“zuzüglich Kindern bis 14 Jahre. Engster Familienkreis: Eltern, Kinder, Geschwister. Vorsichtshalber rät Merkel zu einer Art Vorweihnachtsquarantäne.
Sie ahnen, welche Fragen kommen werden. „Warum erst jetzt? Warum nicht härter?“, referiert Müller. Die Antwort ist schlicht: Weil Einigung seit dem Frühjahr stets so unendlich schwer war. Und die Ergebnisse stets so kompliziert. Diesmal, lobt Söder, gebe es „klare Regeln für alle“, das sei „verständlicher“.
Über all dem fällt fast nicht auf, dass die Runde Zuwachs hat: Erstmals ist Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dabei. Und das ist die eigentliche Nachricht des Tages. Scholzens Auftritt zeigt, dass auch auf der wirtschaftlichen Ebene um Existenzen gekämpft wird – mit „Überbrückungshilfen“. Scholz kalkuliert knapp elf Milliarden Euro. Pro Monat.
Bleibt die Frage, ob Merkel es von Anfang an besser gewusst hat. Die Kanzlerin geht darüber hinweg. Dafür sagt Müller, niemand habe „den Königsweg“gekannt. Und Söder, es gehe nicht um die Frage, „wer die bessere Figur“mache. Sagt er tatsächlich.