Mögliche Oscar-Vorzeichen
Regisseur Alexander Nanau nach dem Europäischen Filmpreis für die Luxemburger Koproduktion „Collective“im Interview
„Collective“, in Luxemburg von Samsa Film koproduziert, konnte sich am Samstag in der Kategorie „Beste Dokumentation“bei den Europäischen Filmpreisen durchsetzen. Gegenüber dem Luxemburger Wort verweist der Regisseur Alexander Nanau aber eher auf die Menschen, die er zeigen wollte – und dankt für die Luxemburger Hilfe bei dem Projekt.
Alexander Nanau, Sie werden einmal mehr viele Glückwünsche für Ihren Film erhalten haben, der die Arbeit investigativer Journalisten zeigt nach einem Nachtclub-Brand und dessen Folgen ...
Danke ja. Aber simpel gesagt, geht es darum, dass die Wahrheit nicht erwünscht ist, die diese Menschen aufdecken.
In Ihrer Dankesrede zum Europäischen Filmpreis haben Sie die Rolle des Investigativjournalismus hervorgehoben. Einerseits streuen Sie mit dem Projekt mehr Salz in die Wunden von heutigen Gesellschaften und doch sind die Bemühungen um Besserung der Verhältnisse trotz aller Mühen scheinbar doch eher Lippenbekenntnisse ...
Wir haben einen Film gemacht, der die Menschen zeigt, die die Wahrheit ans Tageslicht bringen, ihre Arbeit und das Risiko, das sie eingehen – und auch das Drama der Menschen, deren Leben durch Machthaber oder das korrupte Gesundheitssystem begraben wird. Dass wenig passiert ist etwas, was ein Film nicht beeinflussen kann. Und ich denke auch nicht, dass das der Sinn eines Films ist. Man kann es nur zeigen. Und es ist nun einmal so, dass wir auf der ganzen Welt gerade damit zu kämpfen haben, dass wir immer mehr herausfinden, wie verlogen sozusagen die Machthaber auch in Demokratien sind.
Die Bürger müssen verstehen, dass sie eine Rolle haben, in einer Demokratie mitzumachen und wählen zu gehen. Und in Rumänien zum Beispiel hatten wir Wahlen und 70 Prozent der Bevölkerung haben nicht gewählt. Das zeigt, dass die Menschen einfach überhaupt keine Verbindung zur Politik haben und sich in vielen Fällen nicht repräsentiert fühlen. Und es zeigt auch, dass die Medien nicht gut genug darin sind, Wahrheiten aufzuzeigen. Im Gegenteil: Sie helfen den Mächtigen, deren parallele Realität an den Mann zu bringen.
Aber was denn nun? Journalisten als Steigbügelhalter der Macht oder Aufdecker der Wahrheit?
Mit Medien meine ich den Mainstream, der schlicht News propagiert. Das, was investigative Journalisten tun, ist etwas anderes.
Ihr Luxemburger Koproduzent Bernard Michaux sprach kurz nach der Verleihung davon, dass der Film deswegen überall gut ankäme, weil er einen bestimmten Zeitgeist widerspiegelt. Sehen Sie das auch so?
Überall verlieren Menschen das Vertrauen in die Regierungen. Denn zum Beispiel mit der Covid19-Pandemie zeigt sich, was weltweit wirklich in den Gesundheitssystemen
los ist – und wie hoch die Korruption ist.
Gerade wenn solche sensiblen und politischen Themen Inhalt eines
Films sind, ist es oft schwierig, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Inwiefern hat Ihnen die Luxemburger Produktionsfirma Samsa und die Filmförderung dabei geholfen?
Samsa ist eine der besten und professionellsten Produktionsfirmen Luxemburgs und hat von Anfang an das Potenzial dieses Projekts erkannt; und auch wie wichtig es ist, diese Geschichte zu verfolgen – auch wenn damals noch nicht klar war, worauf das alles hinauslaufen würde. Und auch der Luxemburger Filmfund schloss sich direkt an. Und nicht zu vergessen unser Luxemburger Team, das die Postproduktion mit übernommen hat. Und das war eine sehr organische Zusammenarbeit, für die ich dankbar bin.
Soll diese Zusammenarbeit auch mit einem neuen Projekt weitergehen?
Mit Bernard und Samsa jederzeit.
Alles was der Film bisher schon an Öffentlichkeit erreicht hat und bei den Festivals an Anerkennung fand – ist das ein Vorzeichen für die Oscars 2021?
Alles ist eine Hilfe, was den Film sichtbarer macht. Und es ist an sich für uns das Wichtigste, dass er von so vielen Menschen wie möglich gesehen wird. Natürlich ist es erfreulich, dass er unter vielen Rankings der besten Filme des Jahres gelistet ist – wie in der New York Times, dem Time Magazine oder dem Guardian. Aber man darf auch nicht vergessen, dass er einer unter sehr vielen sehr guten Filmen ist. Und letztendlich entscheiden die geschätzt 8 000 Mitglieder der US-amerikanischen „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“darüber, wer überhaupt nominiert wird und in die letzte Runde für einen Oscar kommt. Und noch ist „Collective“lediglich einer unter 80 internationalen Vorschlägen, in diesem Fall von Rumänien, für die Kategorie „Best International Feature“.
Die Reaktion von Koproduzent Bernard Michaux (Samsa Film) von Samstagabend und ein breiterer Blick auf die Europäischen Filmpreise 2020 oder das Filmprojekt Collective finden sich online unter:
wort.lu/@collective