Trumps Gift
Die Wahlleute, das Electoral College, haben den Auftrag erfüllt, den ihnen die amerikanischen Wähler am 3. November erteilt haben. 306 Stimmen für den demokratischen Kandidaten Joe Biden – das ist exakt jene Zahl, die dem Wahlresultat entspricht, eine klare Mehrheit. Doch die damit verbundene Hoffnung, dass das inszenierte Gezerre um vermeintliche Unregelmäßigkeiten und Betrug bei der Wahl jetzt endgültig ad acta gelegt werden könnte, wird sich wohl nicht erfüllen. Nach wie vor weigert sich der Verlierer wie ein störrisches Kind, seine Niederlage einzugestehen.
Doch selbst wenn Trump irgendwann die Realität des Sieges von Joe Biden anerkennen sollte, ist der Schaden für die amerikanische Demokratie längst angerichtet. Millionen republikanische Wähler haben im Lauf der Wochen seine giftige Botschaft geschluckt, wonach die Wahlen manipuliert worden seien. Der Noch-Präsident verfährt dabei nach dem inzwischen vielfach erprobten Muster, dass Lügen nur oft genug wiederholt werden müssen, damit sie den gewünschten Effekt beim Publikum erzielen.
In einer beispiellosen Schmierenkomödie hat Trump seine Anhänger glauben gemacht, dass man ihren Kandidat, und damit sie selbst, durch Wahlfälschungen im großen
Stil um den sicheren Sieg betrogen hätte. Sie nehmen auch die Verschwörungstheorie für bare Münze, dass es massenweise „illegale“Wahlzettel gegeben habe, obwohl die Trump-Kampagne nicht einmal ansatzweise Beweise vorlegen konnte, die auf Betrug hindeuten, geschweige denn vor Gericht Bestand haben könnten. Über 50 Verfahren hat Donald Trump seit dem Wahltag angestrengt und verloren. Der Supreme Court wollte sich mit der hanebüchenen Klage des Staates Texas nicht einmal befassen.
Mögen Trumps juristische und politische Winkelzüge auch zum Scheitern verurteilt sein, so stellen sie dennoch einen massiven Angriff auf einen Pfeiler der Demokratie dar: Den Grundsatz und das Vertrauen der Bürger darin, dass nach Wahlen ein geordneter Machtwechsel stattfindet, der von allen Beteiligten akzeptiert wird. Als willige Helfer erweisen sich dabei die Republikaner, die Trumps Machenschaften nicht nur schweigend mittragen, sondern bis heute verteidigen. Diese Partei, die Trump einst auf den Schild gehoben hat, ist ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und als Hüterin von Recht und Verfassung völlig diskreditiert. Trump hat die „Grand Old Party“, die Partei Abraham Lincolns, im Würgegriff. Selbst Wochen nach der Wahl wagt keiner der Partei-Granden, sich dem Präsidenten in den Weg zu stellen. Sie fürchten sich davor, dass er mit einem Tweet oder einem Fingerzeig seine Fangemeinde gegen jeden missliebigen Politiker aufhetzen und Karrieren vernichten kann.
Die Folgen dieser teuflischen Allianz sind schon jetzt sichtbar: Für Millionen Amerikaner trägt der künftige Präsident das Stigma, auf unrechtmäßige Weise ins Amt gewählt worden zu sein. Viele andere hegen Zweifel an fairen und freien Wahlen. In dieser vergifteten Atmosphäre wird es Joe Biden trotz seines klaren Sieges schwer haben, ein Präsident für alle Amerikaner zu sein.
Der Schaden durch Trumps Schmierenkomödie ist angerichtet.