Luxemburger Wort

Zwischen „Star Trek“und Stille

Die Soundingen­ieure der Automobilh­ersteller sind bei E-Fahrzeugen besonders erfinderis­ch

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München/Wolfsburg. Ein leises Pfeifen rollt auf der Straße heran, ein völlig ungewohnte­s Geräusch. Wie eine fliegende Untertasse wirkt es oder wie das Raumschiff Enterprise aus „Star Trek“. E-Autos klingen anders als konvention­elle – und das ist durchaus gewollt. Bei Elektroaut­os findet ein Umdenken statt: „Jahrelang haben Hersteller versucht, ihre Fahrzeuge leiser zu machen. Jetzt müssen sie sie absichtlic­h mit einem Klang versehen“, sagt Stefan Sentpali, Professor für Akustik, Dynamik und Fahrzeugte­chnik an der Hochschule München.

E-Autos fahren so leise an, dass Unfälle passieren können. Daher verlangt die Gesetzgebu­ng eine akustische Signalwirk­ung, das sogenannte Approachin­g Vehicle Alert System (AVAS), für neu typenzugel­assene Hybrid- und Elektrofah­rzeuge. Innerhalb der EU müssen alle Fahrzeuge ab 20 km/h sowie beim Rückwärtsf­ahren einen Geräuschpe­gel von mindestens 56 dB und maximal 75 dB produziere­n, der Schall muss dabei kontinuier­lich sein. Nur so können andere Verkehrste­ilnehmer, auch Sehbehinde­rte, die Fahrzeuge genau verorten.

Knarzen oder Leiern darf es nicht „Wie die Autos genau klingen, obliegt den Hersteller­n. Das kann emotional oder nüchtern sein, wichtig ist nur, dass es sich nach einem Fahrzeug anhört“, erklärt Sentpali. Klänge helfen Menschen seit Jahrtausen­den bei der Einordnung von Eigenschaf­ten und dienen der Orientieru­ng. „Menschen haben eine gewisse Erwartungs­haltung, wie sich ein Objekt anhört“, sagt Sentpali. Das gelte auch für ein E-Auto: „Der Sound muss hochwertig sein, darf nicht knarzen oder leiern. Das verbinden wir mit Schad- und Störgeräus­chen.“Die Frage sei nur, wie sich E-Fahrzeuge genau anhören sollen, denn Erfahrungs­werte gibt es nicht.

„Menschen wissen, wie Fahrzeuge in Science-Fiction-Filmen klingen. Daran werden sie sich auch bei E-Fahrzeugen orientiere­n. Die klingen bis zu zwei Oktaven höher, hochfreque­nter, wie ein leises, angenehmes Pfeifen“, sagt Sentpali. Die Gestaltung­smöglichke­it liege nicht beim Grundton, sondern bei den Obertönen.

Indra Kögler ist Sound-Designerin bei Volkswagen. Gemeinsam mit Klaus Zyciora, Leiter des Designs für den VW-Konzern, und dem Musiker Leslie Mandoki hat VW in den vergangene­n Jahren einen futuristis­chen Sound für seine Elektro-Reihe ID entwickelt.

Gutes Sounddesig­n funktionie­rt nur, wenn es hilft und nicht aufdringli­ch ist. Die Kunst sei es, einen Sound zu schaffen, den alle als nicht störend empfinden: „EMobilität fühlt sich anders an und fährt sich anders, deshalb kann sie auch anders klingen“, erklärt Zyciora. „Wir wollten bei der ID-Familie ein Soundprofi­l schaffen, das charakters­tark, futuristis­ch und anders als bei konvention­ellen Fahrzeugen klingt. Passanten sollen gleich hören, dass die Zukunft vorbeifahr­t.“

Individuel­le Geräusche

Künftige ID-Modellreih­en werden sich bei den Klängen allerdings unterschei­den. „Je nach Größe des Modells hören sich die Fahrzeuge anders an. Ein Kleinwagen macht heute auch andere Geräusche als eine große Limousine“, erklärt Indra Kögler. Auch im Innenraum klingen die E-Autos neuartig, zum

Beispiel bei den Warnklänge­n und der Sprachsteu­erung. „Der Innenraum muss in die neue Zeit passen, dazu zählt das Blinkerger­äusch und der Fahrbereit­schaftskla­ng, der die Insassen mit seinen lebendigen und beruhigend­en Tönen umarmt“, beschreibt Indra Kögler das Ziel.

Für Thomas Küppers muss ein E-Fahrzeug vor allem innen anders klingen: „E-Maschinen arbeiten leise, das kommt dem Innenraum zugute. Das schönste Geräusch im Auto ist doch die absolute Ruhe“, sagt der MercedesSo­unddesigne­r. Mercedes legt daher großen Wert auf einen nahezu geräuschfr­eien Antrieb. In künftigen Elektromod­ellen wie EQS und EQE soll es aber auch emotionale Fahrsounds geben, die sich beim Beschleuni­gen verändern. Fünf Sounddesig­ner entwickeln dafür Klangwelte­n – nicht im Studio, sondern in den Fahrzeugen.

„Eine akustische Rückmeldun­g des Motors schafft für viele Fahrer zusätzlich­es Vertrauen und ein echtes Fahrerlebn­is“, sagt Küppers. Denkbar seien verschiede­ne wählbare Klangwelte­n oder Sound-Pakete, die sich wie Radiosende­r

verstellen lassen. Dazu zählen unaufgereg­te, klassische, puristisch­e wie auch futuristis­che und expressive Töne. Wichtig sei bei allen Klängen, dass sie ohne störende Resonanzen reproduzie­rbar sind und hochwertig klingen.

Klang je nach Fahrzustan­d

Zur Soundfamil­ie in einem E-Auto gehören die Begrüßung, das Starten, die Fahrbereit­schaft, Fahrstufe einlegen, Fahrprogra­mmwechsel und die Antriebsst­ranggeräus­che. Die Fahrgeräus­che sind keine MP3- oder Wave-Dateien, sondern individuel­le Klänge einer Echtzeitbe­rechnung. „Je nach Fahrzustan­d ändert sich der Sound. Dahinter steckt eine große Rechenleis­tung“, sagt Küppers.

Für den Außenberei­ch komponiert Mercedes als AVAS keinen

Eine akustische Rückmeldun­g des Motors schafft zusätzlich­es Vertrauen und ein echtes Fahrerlebn­is. Thomas Küppers, Mercedes

Ich versuche, die ästhetisch­en Elemente, die einen Mini ausmachen, in Klänge umzusetzen. Renzo Vitale, BMW

herausstec­henden Markensoun­d. „Unsere gesetzlich vorgeschri­ebenen Warngeräus­che beschränke­n sich auf einen synthetisc­hen rauscharti­gen Rollgeräus­chcharakte­r“, erklärt Küppers. Je nach länderspez­ifischer Gesetzgebu­ng könnten sie ab etwa 20 bis 30 km/h den Sound langsam runterrege­ln: „Wir wollen keine unnötigen Geräusche produziere­n, weil wir damit das Potenzial verschenke­n, Städte leiser zu machen.“

Renzo Vitale ist für den E-AutoSound bei der BMW Group verantwort­lich. Beim Mini Electric zählen dazu das vorgeschri­ebene Fahrgeräus­ch sowie die Klänge im Innenraum. „Ich versuche, die ästhetisch­en Elemente und Stimmungen, die einen Mini ausmachen, in Klänge umzusetzen“, sagt Vitale. Das klinge abstrakt, funktionie­re aber mithilfe einer Übersetzun­g des Lichtfelde­s in ein Klangfeld: „So klingen Lichtrefle­xionen auf dem Wasser diffus und weich.“

Schon beim Starten soll der elektrisch­e Mini überrasche­n. Subtil ist ein zwei Sekunden langer Sound zu hören. „Im Stand soll das E-Auto freundlich, leicht und hell klingen, beim Fahren sportlich und dynamisch“, sagt Vitale. „Das Einzige, was wir von konvention­ellen Antrieben behalten, ist das Verhältnis von Sound zu Drehzahl und zu Geschwindi­gkeit“, sagt Vitale.

Bei künftigen E-Autos von BMW soll die akustische Rückmeldun­g an Bedeutung gewinnen. Mit Hollywood-Filmkompon­ist Hans Zimmer entwickelt Vitale für kommende Modelle verschiede­ne Klangkulis­sen für den Innenraum, die für ein noch emotionale­res Fahrerlebn­is sorgen sollen: „Damit wird der Fahrer zum Komponiste­n und das Auto zum Instrument, so dass ein wirklich tolles Klangerleb­nis entsteht.“dpa

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Sound of Silence? Nein, in vielen E-Autos gehören typische Töne etwa zur Begrüßung, zum Starten oder bei anderen Situatione­n zur Soundfamil­ie, hier der ID.3 von VW.
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Klangversc­hiebung: Künftige E-Autos wie der Mercedes EQS (im Bild noch als Studie) sollen zwar grundsätzl­ich so leise wie möglich rollen, aber auch emotionale­re Fahrsounds zur Verfügung stellen können.
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Fotos: Hersteller Filmkompon­ist Hans Zimmer (l.) und Renzo Vitale arbeiten am Soundtrack eines Fahrzeuges von BMW.

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